Text: Kathia Baltisberger | Fotos: Erna Drion & Olivia Pulver
Das «Kle» ist das erste vegane Restaurant in der Schweiz, das einen Michelin-Stern erhalten hat. Ist Veganismus endlich in der gehobenen Gastronomie angekommen?
Ja, ich glaube, es gibt eine Veränderung. Der Veganismus klopft an die Tür und auch traditionelle Institutionen wie GaultMillau oder Michelin gehen aufgeschlossener damit um. Der Michelin-Stern und GaultMillau-Punkte helfen uns mit Gästen, die nicht in ein veganes Restaurant gehen würden, weil sie die klassischen, stereotypen Vorurteile haben. Für diese Gäste bedeutet der Stern: Hier kannst du vegan essen und zwar auf dem gleichen Niveau wie in nicht veganen Restaurants mit einem Stern. Aber es gibt auch die andere Seite. Es gibt Leute, die sagen, jetzt hätten wir grösseren Druck, verändern die Küche oder erhöhen die Preise. Aber die Auszeichnung bekommt man für das, was man gemacht hat. Wieso sollten wir etwas ändern? Für mich persönlich macht ein Stern keinen Unterschied. Ich koche so, wie ich will.
Sie und ihr Küchenchef Alessandro Scaccia, der lange bei Stefan Heilemann war, lernten klassisch zu kochen. Wie wichtig ist diese Grundlage für einen Chef, wenn man geniale vegane Gerichte kochen will?
Ich bin zum Beispiel sehr gut darin, Fische auszunehmen oder Tiere zu zerlegen. Dieses Können nützt mir heute gar nichts. Viel wichtiger ist, zu verstehen, wie Essen im Gaumen und im Hirn reagiert. Wir haben einen extrem gut geschulten Gaumen. Mein Geschmackssinn ist meine Stärke. Den hatte ich vor meinen Stages nicht. Man kann auch ohne tierische Produkte auf hohem Niveau kochen. Aber es hilft, wenn man weiss, wie Fisch schmeckt. Dann kann man mit Algen einen ähnlichen Geschmack schaffen. Man muss auch wissen, welche Funktion Lebensmittel haben. Wofür werden Eier eigentlich gebraucht? Wenn ich das weiss, kann ich sie ersetzen durch Aquafaba als Emulgator für Mayonnaise oder Schwarzsalz, das einem Gericht den Geschmack von Ei verleiht.
Aber sie sind keine Magierin. Wenn die Produkte nicht gut sind, können Sie daraus auch kein gutes Gericht zaubern. Wie wichtig ist die Zusammenarbeit mit herausragenden Produzenten?
Uns ist wichtig, dass wir mit Bauern zusammenarbeiten, die die gleichen Werte haben wie wir. So wie Matthias und Sam von Slow Grow, Salvador Garibay oder Gmüeser. Diese Produzenten machen unseren Job einfacher. Wenn der Kürbis alleine gut ist, muss ich nicht mehr viel machen. Das liegt daran, dass die Böden unserer Produzenten sehr reichhaltig sind. Das ist etwas anderes als im Supermarkt, wo ich manchmal das Gefühl habe, dass eine Gurke genau gleich schmeckt wie eine Melone. Unsere Produzenten gehen auf uns ein, fragen, was sie anpflanzen sollen, und probieren Neues aus.
Vermissen Sie Fleisch oder Milchprodukte?
Ich vermisse nichts. Weder beim Essen noch beim Kochen. Aber ich bin ehrlich. Auswärts essen ist nach wie vor schwierig. Ich war gerade erst in Paris und hatte meine Schwierigkeiten. Und wenn ich in einem veganen Lokal bin und das Essen nicht gut ist, dann hilft das der Sache auch nicht.
Vegane Ernährung ist ein sehr populäres Thema, das laut diskutiert wird. Aber nur 0,7 Prozent der Schweizer ernähren sich vegan. Ist das nicht ein Widerspruch?
Ja, das ist es. Ich halte Veganismus nicht für einen Hype. Das Thema hält an, beeinflusst unser Verhalten. Die Leute werden nicht sofort Veganer. Sie sind aber offener, Flexitarier oder Vegetarier. Viele wollen ihren Fleischkonsum reduzieren. Wenn man tierische Produkte bei einer Mahlzeit pro Woche weglässt, macht das einen Unterschied. Und das ist sehr erfreulich.
Sie sind nicht nur eine erfolgreiche Köchin, sondern haben auch einen Bestseller auf dem Markt. «Taste of Love» wurde zum besten veganen Kochbuch im deutschsprachigen Raum gekürt.
Wenn ich etwas mache, dann mache ich es zu 200 Prozent. Wir hätten sogar noch viel mehr Rezepte gehabt. Ich gebe alles und suche mir für solche Projekte Menschen aus, die in dem, was sie machen, besser sind als ich. Ohne Art Designerin Delia Guerriero würde das Buch nicht so aussehen. Auch Fotografin Erna Drion weiss genau, wie ich mir etwas vorstelle und kann sich jederzeit anpassen. Und jemanden zu finden, der meine Gedanken in Worte fasst, ist ein Glück (Anm. d. Red: Die Autorin dieses Interviews hat die Texte in «Taste of Love» geschrieben). Die Leute denken jetzt, ich spreche fliessend Deutsch! Und ich habe Menschen in meinen Restaurants wie Emily Barratt und Lisa Meier, die alles möglich machen. Menschen, die meine abstrakten Ideen realisieren. Aber zum Glück gab es eine Deadline! Sonst wären wir heute noch dran. Es ist ein sehr dickes, persönliches Buch mit vielen tollen Rezepten.
Viele Leute, die Ihre Geschichte lesen, sind wahnsinnig beeindruckt. Ist Ihnen bewusst, was Sie erreicht haben?
Das Buch ist eine gute Möglichkeit, meinen Weg aufzueigen. Oft sieht man nur den Erfolg, die Punkte, die Sterne, die mediale Aufmerksamkeit. Aber das ist nicht alles. Ich hatte für eine sehr lange Zeit keine Ferien mehr. Mein ganzes Leben dreht sich nur um den Job. Ich realisiere schon, was ich geschafft habe, aber ich will auch nicht in der Vergangenheit stecken bleiben. Die Frage ist, was ist grösser: mein Ego oder der Einfluss, den wir haben? Mir ist wichtig, dass wir die Leute mit dem, was wir machen, erreichen können. Ginge es um mein Ego, würde ich Fleisch und Fisch kochen in meinen Restaurants. Darin war ich sehr gut. Vegan zu kochen, war ein Risiko. Wir müssen Karotten auf das Level eines Hummers bringen. Aber ich bin sehr glücklich, das gemacht zu haben, weil ich meine Bestimmung gefunden habe.
Ein Vögelchen hat gezwitschert, dass Roger Federer bei Ihnen im «Kle» gegessen hat. Plaudern Sie mal ein bisschen aus dem Nähkästchen.
Er ist eine Ikone, das war schon speziell. Als er durch den Haupteingang reinkam, war es für ein paar Sekunden wanz still. Jeder Mitarbeiter durfte mal einen Gang servieren und meinem Küchenchef Ale hat Roger sogar noch ein T-Shirt unterschrieben, weil er so ein grosser Tennis-Fan ist. Die Quittung von diesem Abend habe ich aufbewahrt.
Bald ist Weihnachten. Eine schwierige Zeit für Veganer mit all dem Fondue Chinoise, Enten und Braten. Was servieren Sie an Weihnachten?
Ich empfehle eine Tajine. Die wird mit Zimt und Ingwer gemacht, so hat man die ganzen weihnachtlichen Geschmäcker. In Spanien serviert man oft auch Tapas zu Weihnachten. Die kann man gut vorbereiten und es gibt jede Menge vegane Optionen: Patatas Bravas, Pa àmb tomàquet, Bombas oder Croquetas (Rezept siehe unten).
Im Januar kochen Sie am St. Moritz Gourmet Festival im Badrutt's Palace. In der «Hotelrevue» haben Sie gesagt, dass die Gäste sich darauf einstellen sollen, mit den Händen essen werden. Wie meinen Sie das?
Nein, im Gegenteil. Besteck ist ein soziales Konstrukt. Unsere Hände sind unser primäres Werkzeug. In Marokko essen wir zum Beispiel eine Tajine mit Brot und von Hand. Ich lade die Gäste ein, die Gerichte so zu essen wie in Marokko. Schliesslich haben sich die Organisatoren für das Thema «Middle Eastern Cuisine» entschieden. Man muss nicht für jeden Gang die Hände benutzen. Und wenn jemand alles mit Besteck essen möchte, darf er das gerne tun.