Text: David Schnapp Fotos: Olivia Pulver
Ein Star ohne Allüren. Premiere bei GaultMillau Schweiz: Zum ersten Mal ehrte der Feinschmecker den «Patissier des Jahres». Dass Julien Duvernay den Titel abräumte und mit viel Applaus und einer riesigen «Cooking Chef»-Maschine von Titelsponsor Kenwood nach Hause ging, war keine allzu grosse Überraschung. Der stille Franzose ist ein Star. Aber einer ohne Allüren.
«Duvernay fürs Volk». «Meinen ersten Cake habe ich mit sieben oder acht Jahren unter Aufsicht meiner Mutter gebacken.» Es ist Nachmittag, Julien Duvernay steht, wie immer ganz in Schwarz gekleidet, in seinem kühlen Reich: Im Untergeschoss des legendären Restaurants Stucki von Tanja Grandits in Basel ist er der unbestrittene König der Süssigkeiten. Seine Desserts gehören zum Besten, was man in einem Schweizer Restaurant an Nachspeisen bekommen kann. Aber Duvernay bäckt auch immer noch Cakes: kleine und grosse, getränkt etwa mit Passionsfruchtsirup und versehen mit einem Ingwer-Zitronen-Confit. Sie werden in Tanja Grandits’ Quartierladen verkauft. Zusammen mit Joghurtmischungen, Brotaufstrichen oder Tafelschokoladen sind sie gewissermassen «Duvernay fürs Volk» und neben den Restaurantdesserts der zweite wichtige Inhalt der langen Arbeitstage des jungen Franzosen.
Kuchen für die Nachbarn. Mit den Cakes hat auch alles angefangen. Duvernays Eltern hatten eine Textilfabrik in Roanne, und der 1982 geborene Sohn baute seine Backtätigeit schon als Achtjähriger schnell aus. «Bald belieferte ich die Belegschaft und die Nachbarn mit meinen Kuchen», erzählt er lachend. Mit 15 Jahren wusste er, dass er einen Beruf erlernen wollte, «in dem man mit den Händen arbeitet». Schreiner oder Patissier/Confiseur kam in Frage. «Am Ende war es eine Zufallsentscheidung für die Patisserie», sagt er. Bereut habe er sie nie.
«Klassisch» geht bei Tanja nicht. Julien Duvernay und die Patisserie sind ein Traumpaar. Wenn der schmale, drahtige Mann mit den kräftigen Armen und dem akkuraten Haarschnitt zum Beispiel Baiser-Tupfen aus einem Spritzbeutel auf eine Silikonmatte aufträgt, sind das schiere Tempo und die uhrmacherartige Präzision des Vorgangs ein beeindruckendes Schauspiel für den Besucher. Doch dass der junge Franzose überhaupt noch im «Stucki»-Patisseriekeller arbeitet, ist nicht selbstverständlich. Als Tanja Grandits und René Graf 2008 das «Stucki» übernahmen, war Duvernay schon da. Er war direkt nach seiner Lehre als Patissier, Confiseur und Chocolatier 2002 nach Basel gekommen. In dem Restaurant wurde damals klassische französische Haute Cuisine gekocht; Duvernay machte Desserts wie «Poire Helène». Das wollte so gar nicht zum Kochstil der neuen Chefin passen, die mit asiatischen Einflüssen, exotischen Aromen und bunten Farben hantierte und einen unverwechselbaren modernen Stil etablierte.
Wunderwerke in Süss. «Tanja hat mir Carte blanche gegeben, aber ich musste mich natürlich schon anpassen», erzählt Duvernay. Fragt man Tanja Grandits nach dieser Zeit, gibt sie zu, dass sie oft gezweifelt habe, ob es mit ihr und ihrem Mitarbeiter in der Patisserie klappen würde. Nach etwa vier Jahren, so schätzt Duvernay es selber ein, habe er aber seinen Stil gefunden. Souverän verarbeitet er heute selbst Schwarzwurzeln zu einem Dessert. Seine Tafelschokoladenkombinationen, die zum Beispiel mit Ingwer, Tannennadeln und grünem Pfeffer gewürzt werden, sind geschmacklich überraschende, fein ausbalancierte, rechteckige kleine Wunderwerke in Süss.
Neue Ideen nach Mitternacht. Dass Julien Duvernay nicht nur ein hochbegabter Handwerker ist, sondern auch noch ziemlich fleissig, ist immer wieder Anlass für Pausengespräche im Restaurant. Seine Chefin sagt, dass er nach einem 12- bis 14-Stunden-Arbeitstag oft der Letzte sei, der aus dem Haus geht und das Licht löscht. Er selbst wird bei der Frage nach seinem enormen Arbeitspensum leicht verlegen und sagt: «Ich brauche nicht viel Schlaf, fünf Stunden reichen eigentlich.» Duvernay sieht es pragmatisch: «Nachts nach dem Service habe ich endlich die Ruhe und die Zeit, die ich brauche, um neue Ideen entwickeln zu können.» Dann steht er an seiner gekühlten Marmorplatte in der Mitte des Raums und fügt im Kopf Gewürze, Obst, Beeren und Gemüse zu Kreationen zusammen, die nicht auf den ersten Blick wie ein feines Dessert zusammenzukommen scheinen: Zimtblüte und Preiselbeeren zum Beispiel. Oder Pralinen mit Pflaume, Saké und Schwarztee.
Desserts mit einem Dutzend Komponenten. Was ihn schon als Achtjährigen dazu brachte, Cakes an Nachbarn und Mitarbeiter seiner Eltern auszuliefern, treibt ihn auch heute noch an: Julien Duvernay möchte die Gäste mit seinen Kompositionen überraschen; das Glück liegt für ihn auf sorgsam, aus gut einem Dutzend Komponenten zusammengesetzten Desserttellern. Was ihn wirklich zufriedenstellt, sind Leute, die seine Süssspeisen, Cakes oder Schokoladen mögen. Umgekehrt gilt: Gäste, die kein Dessert bestellen, können nicht mit Duvernays Sympathie rechnen.