Text: David Schnapp I Fotos: David Biedert, Attila Czinke
Stilprägender Chef. Im Laufe des Abends bei Heiko Nieders Gourmetfestival The Epicure im Dolder Grand Hotel sagt der freundliche Mann aus Australien diesen oder einen ähnlichen Satz mehrfach: «Das haben wir schon vor vielen Jahren so gemacht, heute sieht man es überall.» Peter Gilmore hat mit seinem «Quay» im Hafen von Sydney viele Trends gesetzt, mitgeprägt oder vorneweg genommen, aber dem bescheiden auftretenden 54-Jährigen liegen laute, öffentlichkeitswirksame Auftritte nicht besonders. Seine beiden Bücher «Quay: Food Inspired by Nature» (2010) und «Organum: Nature, Texture, Intensity, Purity» stehen dennoch in den Regalen vieler Chefs in Europa und waren stilprägend. (Grosses Bild oben: Gilmore zusammen mit seinen Köchen Rhiann Mead und Jun Woung Cho.)
Aromatische Erbsenblüten. Einen eigenen Garten beispielsweise pflegt Peter Gilmore seit 2006. «Damals habe ich angefangen, für mich wichtige Entdeckungen zu machen: Dass eine Erbsenblüte beispielsweise ein erstaunliches Aroma hat, oder das jung geerntete Zucchinis ganz weiche schmackhafte Kerne haben», sagt er. Seither sind Blüten selbstverständlich Teil von Gilmores Kreationen. «Heute sieht man das überall», sagt er mit einem feinen Lächeln. «In meinen Gerichten geht es mir um Harmonie und Klarheit der Aromen, natürlich die Qualität der Produkte, vor allem aber auch um die Texturen, die für mich entscheidend für ein gutes Essen sind», erklärt der Australier sein kulinarisches Konzept.
Unscheinbar-spektakulär. Was Peter Gilmore damit meint, ist beispielhaft an dem Gericht zu sehen, das jetzt unter Mithilfe vieler Hände in der Küche von Heiko Nieder angerichtet wird: Eine Art feste Creme auf Basis eines stark reduzierten Räucheraal-Fonds, um die Chips aus getrockneter Seegurke wie ein Gartenzaun drapiert werden. Grüne Mandeln, Kaviari Oscietra-Kaviar und weisse Blüten vervollständigen das leicht jodige-rauchige Gericht, das beim Essen mal knuspert, mal knackt und gleichzeitig cremig den Gaumen umspielt – ein zunächst unscheinbarer Teller in weissen Farben, der sich dann aber durch die Kombination aus Aromen und Texturen als spektakulär erweist.
Fünf Tage für Seegurken-Chips. Bis es so weit ist, braucht es vor allem Geduld. «Aus Seegurken Chips herzustellen ist ein fünftägiger Prozess», sagt Peter Gilmore. Die Stachelhäuter werden erst getränkt, dann gedämpft, gerieben, getrocknet und schliesslich frittiert. «Mit der Natur zu arbeiten, ist sehr erfüllend, aber braucht natürlich Zeit. Ich habe mittlerweile drei Farmer, die für mich spezielle Gemüsesorten und andere Dinge anbauen, und oft beginnen wir fünf, sechs Monate, bevor ein Menü serviert werden soll. Wenn es gelingt, ist das einfach grossartig. Aber man muss flexibel sein, manchmal scheitert man auch», erzählt Peter Gilmore.
Knochenmark-Pasta. Flexibilität bedeutet bei seinem Gastspiel in Zürich etwa, dass Königskrabbe statt australischer Steinkrabbe für sein nächstes Gericht verwendet wird. Das Highlight seines Menüs besteht aus Pasta, die ohne Ei, dafür aber mit Knochenmark hergestellt wird. Dazu gibt es Königskrabbe sowie eine Sauce auf Basis von Geflügelfond, der mit einer leicht säuerlichen Koji-Butter angereichert ist. «Koji-Pilze züchten wir schon seit zehn Jahren», sagt Gilmore über eine weitere seiner Zutaten, die er seit langem verwendet, und die sich mittlerweile explosionsartig in den hiesigen Küchen ausgebreitet hat.
Reise nach Island. In Peter Gilmores Küche werden verschiedene (Welt-)Küchen und Techniken vereint, und sie ist in dieser Hinsicht wohl auch sehr «australisch»: «Es gibt keine alte kulinarische Tradition wie in Frankreich oder Italien bei uns. Unsere Kultur ist von Grund auf schon multikulti», sagt der Koch aus Sydney. Dank Heiko Nieders Bemühungen können sich die Gäste von The Epicure noch heute Abend sowie morgen Sonntag über einen aussergewöhnlichen Kochstil freuen, der ebenso stilprägend wie einmalig ist: Schweinenacken gibt es mit hausgemachter Salami, fermentiertem Shitake-Chawanmushi und einem grandiosen, zweifach geklärtem Schweinejus. Das Dessert erinnert an eine Koralle aus federleichter, gefrorener Mousse von weisser Schokolade mit Kirschsorbet. Nach dem Gastspiel in Zürich nutzt Peter Gilmore die Zeit in Europa noch für einen besonderen Abstecher: «Meine Frau und ich verbringen noch ein paar Tage in Island, das wollte ich schon immer einmal sehen.»