Text: David Schnapp

Christian Hümbs, Sie sind und waren in sehr unterschiedlichen Welten unterwegs: Zwischen Spitzenküche, Hotel-Patisserie und TV-Backen liegen Universen. Worin liegt die Faszination in der jeweiligen Welt?

Es liegen tatsächlich Lichtjahre dazwischen. Beim Backen im Fernsehen geht es ja darum, was ganz normale Hobbybäcker zu Hause machen. Diese Leute kennenzulernen, macht mir unheimlich viel Spass, weil sie eine enorme Passion an den Tag legen. Im Fine Dining hat man dafür einen ganz anderen Bezug zu den Produkten und die Vorbereitung für ein Dessert dauert oft Monate, weil man Sachen einlegt zum Beispiel. Das klassische Backen, wie ich es jetzt im «Dolder» wieder pflege, ist mein ursprüngliches Handwerk, und es ist enorm populär, wie ich bei jedem Post auf Instagram wieder merke.

 

Sie haben das «Atelier» im «Bayrischen Hof» in München mit dem Swiss Deluxe Hotel «Dolder Grand» in Zürich getauscht. Wollten Sie das Fine Dining bewusst verlassen?

Ja, man muss sich ja immer wieder hinterfragen und überlegen, wohin es beruflich gehen soll. Das «Atelier» mit Jan Hartwig in München war mein grösster beruflicher Erfolg, wir haben es in acht Monaten von zwei auf drei Sterne geschafft, das war mein absoluter Höhepunkt. Aber was kommt danach? Möchte ich für die Ewigkeit diese Arbeitszeiten, bei denen man erst nach Mitternacht zu Hause ist? Was ist mit Familienplanung? Da habe ich mich entschieden, jüngeren hervorragenden Patissiers den Vortritt zu lassen und mich darauf zu konzentrieren, was ich mal gelernt habe: klassische französische Patisserie in einem der schönsten Häuser Europas.

 

Beim «Grossen Backen» sehen Sie viele Laien unter Zeitdruck mal versagen, mal über sich hinauswachsen. Was beeindruckt Sie an diesen Kandidaten?

Die Leute sind in einer Wettkampfsituation in einer völlig fremden Küche. Jeder, der zu Hause selber bäckt, weiss, wie schwierig es ist, wenn man den Ofen nicht kennt oder nicht weiss, wo Zucker und Mehl stehen. Bei einer TV-Aufzeichnung ist der Druck enorm und mir macht es Freude, die Kandidaten zu unterstützen. Am Fernsehen sieht man ja nur einen Bruchteil davon.

 

Worin sollte man investieren, wenn man zu Hause gut backen will?

Für mich ist ein guter Ofen etwas vom Wichtigsten und für eine hochwertige Küchenmaschine sollte man etwas Geld in die Hand nehmen. Alles andere kommt nach und nach. Je versierter man wird, desto mehr Equipment braucht man. Da sollte man immer in gute Qualität investieren, egal ob das ein Zauberstab ist, oder ob man Töpfe kauft.

 

Im «Grossen Backen» werden teilweise fast schon absurd schwierige Aufgaben gestellt. Ist ein Kuchen, der beim Aufschneiden das Muster des britischen Union Jack aufweist, nicht sehr weit hergeholt?

Beim «Grossen Backen» geht es immer sowohl um geschmackliche als auch um dekorative Qualität. Meine Kollegin Bettina «Betty» Schliephake-Burchardt kennt diese ganzen Trends aus England oder den USA, und so kommen diese Aufgaben zu Stande. Und sie sind wirklich schwer. Für mich ist klar: Ein Kuchen, der nur hübsch aussieht, kaufst du nur einmal. Nur wenn er auch gut schmeckt, kaufst du ihn auch ein zweites Mal.

 

Würden Sie selbst bei einem solchen Wettbewerb antreten wollen?

In meinen 22 Jahren Berufserfahrung war ich einmal als Koch und einmal als Konditor bei einem Wettbewerb und bin beide Male gescheitert. Das ist nicht meine Welt.

 

«Backen ist nicht kochen», sagt Tim Raue gerne. Stimmen Sie zu?

Das stimmt, das eine kommt eher aus dem Handgelenk, beim anderen sind Rezepte die Grundlage der Arbeit. Für mich hat beides seinen Reiz, aber er meint es vermutlich eher negativ, weil er es einfach nicht kann. Beim Kochen kann man vieles retten, beim Backen ist es vorbei, wenn man es nicht richtig angeht.

Das grosse Backen

Christian Hümbs und Torten-Königin Bettina «Betty» Schliephake-Burchardt bei «Das grosse Backen».

Hümbs Promibacken Angelina Heger

«Das macht mir unglaublich viel Spass»: Hümbs mit Influencerin Angelina Heger bei «Das grosse Promibacken».

Was braucht ein guter «Zuckerbäcker»?

Vielseitigkeit ist heute sehr wichtig. Man muss handwerklich viel abdecken können – von der nordischen bis zur klassischen französischen Küche. Einen Blätterteig oder eine Crème brûlée machen zu können, gehört neben den modernen, reduzierten Desserts für mich halt auch dazu. Ich habe alles mal gesehen und konnte mich daraus entwickeln. Das Gemüse im Dessert ist ja zum Beispiel auf einer klassischen Basis entstanden, weil ich Koch und Konditor gelernt habe.

 

Ist Gemüse im Dessert eine vorübergehende Modeerscheinung?

Das glaube ich nicht. Für viele Gäste ist es heute wichtig, was sie zu sich nehmen. Und viele wollen halt nicht zu viele Kalorien essen. Mit weniger Zucker zu arbeiten, halte ich deshalb für unglaublich wichtig. Und mit Gemüse kann man einen Eindruck von Süsse schaffen und gleichzeitig den Zuckeranteil reduzieren.

 

Andy Vorbusch, der heute in Bad Ragaz mit Sven Wassmer arbeitet, und Sie gelten als die talentiertesten Patissiers ihrer Generation in Deutschland. Und Sie beide haben damals angefangen, mit Gemüse im Dessert zu arbeiten. Gab es je Streit darüber, wer der Erfinder dieses Trends war?

Nö, Streit gab es sowieso nicht, jeder macht sein eigenes Ding. Ich kann rückblickend auch nicht mehr aufdröseln, wer, wann, was gemacht hat. Und ehrlich gesagt, ist es mir auch scheissegal. Ich glaube, ich habe in den vergangenen fünfzehn Jahren einiges erreicht, auf das ich stolz sein kann. Das hat es noch nicht oft gegeben. Der Berufsstand des Patissiers hat nicht zuletzt dank meiner TV-Präsenz eine gewisse Popularität erfahren. Was andere sagen oder machen ist mir deshalb relativ Wurst.

 

Ist das Ihre persönliche Anleitung zum Glück?

Ich kann mich doch ständig damit beschäftigen, was jener sagt, oder was ich selbst vor zwanzig Jahren mal gesagt oder getan habe. «Das grosse Backen» schauen 2,8 Millionen Zuschauer, ich arbeite in diesem fantastischen Haus in der Schweiz mit einem tollen Team von neun Patissiers und die Bewerbungsschlage ist länger als die Lobby: Irgendetwas habe ich also richtig gemacht.

Patissier Christian Hümbs Dessert

Hümbs-Dessert aus dem Restaurant Saltz im «Dolder Grand»: Heumilch mit Preiselbeeren und Pekannüssen.

Pekannuss Schnitte Christian Hümbs

Klassische französische Patissierie: Pekannuss-Schnitte mit Crème Chantilly, wie sie in der «Dolder»-Lobby serviert wird.

Zurück zum Hobby-Bäcker: Welche Fehler machen viele Leute beim Backen zu Hause?

Der Faktor Zeit wird oft unterschätzt. Die Zutaten für einen Madeleine- oder Canelé-Teig zusammenzurühren, ist kein Hexenwerk. Aber danach muss der Teig für 12 oder 24 Stunden in den Kühlschrank, und diese Zeit muss man sich nehmen. Man kann in 20 Minuten ein schönes Gericht zusammenkochen, aber beim Backen entstehen in kurzer Zeit keine richtig guten Sachen.

 

Von all den Hobby-Bäckern, die Sie in der Zeit bei Sat.1 gesehen haben: Gab es da Kandidaten, die Sie direkt eingestellt hätten?

In acht Jahren haben immerhin zehn Kandidaten später bei mir Praktika gemacht, fünf haben direkt eine Lehre angehängt und etwa drei sind mittlerweile Konditor-Meister. Die Leute haben sprichwörtlich ihr Hobby zum Beruf gemacht.

 

Welche Trends gibt es im Torten-Segment?

Etwas, was sich durchgesetzt hat, ist das «Crunch»-Element. Wenn es knusprig ist und etwas passiert im Mund, macht eine Torte einfach mehr Spass.

 

Und welche Gewürze oder Aromen sind angesagt?

Ich sehe dieses Jahr viel Kardamom, das passt zu vielen Beeren, zu Buttercreme und zu vielen Alkoholsorten. Zimt ist eines meiner Lieblingsgewürze und Vanille kommt bei mir fast überall mit dran.

 

Welche Torte haben Sie zu Ihrem eigenen Bedauern noch nicht gebacken?

Sehr, sehr viele. Im Moment bin ich gerade an einer Saint-Honoré, und der Engadiner Torte will ich mich auch annehmen…

 

Wenn Sie an sowas arbeiten: Backen Sie dann zehn Torten, bis Sie zufrieden sind, oder wie muss ich mir das vorstellen?

Ganz so viele Versuche brauche ich nicht (lacht). Ich versuche, erst dem Original möglichst nahe zu kommen und bringe dann meine eigene Note rein. Bei der Engadiner Torte kommen Zimt, Vanille und Tonkabohne an die Nussmasse sowie etwas Zartbitterschokolade. Das verändert den Backprozess nicht, aber das Schnittbild und die Konsistenz werden etwas besser und die Aromatik ist leicht angepasst.  

Urs Schwarzenbach

«Ein Riesenkompliment»: «Dolder»-Besitzer Urs E. Schwarzenbach mag das Wald-Dessert von Christian Hümbs.

Hotel Grand Resort Bad Ragaz 2020: Andy Vorbusch mit seinem Brot

Hümbs' Vorgänger im «Dolder»: Patissier Andy Vorbusch (Restaurant Memories, Grand Resort Bad Ragaz).

Wie bleibt man fit als Konditor?

Mit Sport und mit guten Genen, aber ich esse wirklich gerne Süsses. Ein Franzbrötchen zum Beispiel liegt am Morgen in der Küche immer für mich bereit. Und in meinem Kühlschrank zu Hause hat es immer Überraschungseier von Kinder-Schokolade, damit bin ich gross geworden.

 

Als Koch und als Patissier entwickelt man sich im Idealfall laufend weiter. Auf welche Ihrer Ideen oder Geschmackskombinationen sind Sie trotzdem bis heute stolz?

Ich bin auf alles stolz, was ich mal gemacht habe, auch wenn ich manches heute vielleicht nicht mehr genau so umsetzen würde. Im Moment bin ich für die Nachspeisen im Restaurant Saltz zuständig und da haben wir gerade das Dessert «Der Wald» etabliert, was sich mit Fichte, Douglasie und Lärche stark an der Aromatik des Wald anlehnt und das Thema in verschiedenen Texturen als Creme, Granité oder Staub widergibt. Das habe ich im «Atelier» entwickelt, und wir schicken das heute in einem deutlich grösseren Restaurant.

 

Wie kommt eine solche Kombination in einem Traditionshaus wie dem «Dolder» an?

«Dolder»-Besitzer Urs E. Schwarzenbach mag normalerweise klassische Desserts wie Mascarpone-Eis mit heissen Himbeeren, hat aber das Wald-Dessert schon fünfmal bestellt. Er ist begeistert davon, und das ist ein Riesenkompliment für mich.

 

Sie sind 2019 aus München in die Schweiz gekommen, wohin geht die Reise als nächstes?

Ich bin gekommen, um zu bleiben und will längerfristig in der Schweiz leben, nicht nur für ein Jahr oder zwei. In Deutschland habe ich alle Zelte abgebrochen und fühle mich sehr wohl in Zürich und in diesem Haus.

 

>> Das grosse Backen, Sonntag, 6. und 13. Dezember 2020, 17.30 Uhr auf Sat.1