Text: Kathia Baltisberger Fotos: Olivia Pulver
«Oh, ein Marienkäfer!» Das Insekt chräsmet durch den Mangold, den Chefin Zineb Hattab eben ausgebuddelt hat. «Zizi» steht beim «Hof Narr» in Hinteregg ZH auf dem Feld. Der «Hof Narr» ist kein gewöhnlicher Gemüse-Bauernhof. Hinter dem Projekt steht ein gemeinnütziger Verein, ein Lebenshof für Tiere. Zizi kauft unter anderem hier ihr Gemüse für das Restaurant Kle (14 Punkte) in Zürich ein: Mais, Tomaten, Peperoni, Kartoffeln, Salat. Als sie sich entschied, vegan zu leben, ist sie auf diesen Hof gestossen. «Es hat mich interessiert, ob es in der Schweiz Lebenshöfe gibt. Tiere retten ist eine gute Sache, aber ich wollte wissen, was mit den Tieren danach passiert», erzählt die 30-Jährige.
Neue Wege. Bei «Hofnärrin» Sarah Heiligtag ist sie am richtigen Ort. Sarah ist Philosophin und hat eine Landwirtschaftliche Grundausbildung absolviert. Heute hilft sie anderen Bauern auf eine tierfreie Produktion umzustellen. Was man in der Wirtschaft Consulting nennt, ist für Heiligtag ein Mix aus Leidenschaft und Überzeugung: «Die konventionelle Landwirtschaft hat keine Zukunft.» Fleischproduktion, Milchwirtschaft oder Hühnerfarmen hätten früher oder später ausgedient und die neuen Möglichkeiten sind offensichtlich.
Gesellschaftlicher Druck. Alternative Milch-Produkte erleben einen Hype. Aber: «Was wir an Hafermilch konsumieren, ist importiert», erklärt Heiligtag. Umsteigen könnte man also auf Hafer. Auch die Erbsen-Produktion werde immer wichtiger, gerade für vegane Burger. Jeder Hof ist individuell und braucht einen eigenen Umsetzungsplan. Die Finanzen seien bei der Umstellung nicht das Problem. «Der finanzielle Druck ist zu bewerkstelligen. Der gesellschaftliche Druck ist meist die grössere Hürde.» Es sei auch schon vorgekommen, dass ein Bauer das Projekt wieder begrub, weil die Familie nicht dahinterstand. Ein Ausnahme. «Ich habe jede Woche mehrere Anfragen von Bauern, die umstellen wollen.»
Freunde statt Nutztiere. Der «Hof Narr» zeigt auf, wie Landwirtschaft auch funktionieren kann. Und die Hofnarren tragen das auch nach aussen. Es gibt Schulungen, Führungen, Feste, ganze Schulklassen kommen vorbei. Die rund 100 Tiere auf dem Hof leisten ebenfalls ihren Beitrag. Doch welchen Zweck haben Nutztiere in Zukunft, wenn sie keinen Nutzen mehr haben? «Tiere sollen Freunde sein, so wie Hunde und Katzen auch. Man soll Ziegen oder Kühe haben, weil man sie mag», so Heiligtag. Wer möchte, kann eine Patenschaft übernehmen. Die Begeisterung für den «Hof Narr» ist Zizi Hattab anzusehen. «Wir haben erst kürzlich einen Team-Ausflug hier hin gemacht.»
Glitzernder Baumspinat. Ein weiterer Zweig, um wirtschaftlich zu sein, ist eben der Gemüseanbau. Dafür ist Alexander Garcia zuständig. «Wir bewirtschaften 10'000m2 Land für Gemüse und Kartoffeln», sagt er. Zizi streift durch dieses Schlaraffenland aus Gemüse, begutachtet Auberginen, Zucchetti, Peperoni, Chili, Gurken und Melonen. Überall dazwischen wuchert Basilikum. Auch spezielle Sachen wie Baumspinat wachsen hier. Der wilde Spinat sieht aus, als wäre er mit einem pinken Glitzerspray behandelt worden. Das meiste, was hier wächst, geht via Gemüse-Abo an Privathaushalte oder in den Hofladen.
Verkohlter Mais. Zizi Hattab ist die einzige Kundin aus der Gastronomie. Sie kriegt sogar eine «Sonderbehandlung». «Unsere Kunden haben am liebsten grosses Gemüse. Zizi hingegen möchte immer möglichst kleine Exemplare», sagt Alexander, der das Gemüse dann nach Wunsch zusammenstellt. Doch nicht die Speisekarte bestimmt die Bestellung. «Alexander sagt mir, was er hat. Daraus kreiere ich dann die Gerichte», sagt Zizi. Aktuell gibt es verkohlten Mais mit einem Kaktus-Salat, konfierte Tomaten an einer Ahorn-Estragon-Vinaigrette und grilliertem Austernpilz. Die Kartoffeln kommen mit einer Miso-Mayonnaise und Ketchup aus gerösteten Randen. Was nicht direkt gebraucht wird, macht die Chefin ein für den Winter. Sarah Heiligtag war kurz nach Zizis Besuch auf dem Hof selbst im «Kle», um sich ein Bild zu machen. «Das Restaurant und ihr Konzept sind so stimmig mit unserer Philosophie. Ich habe Zizi sofort ins Herz geschlossen», schwärmt Sarah.