Text: Anita Lehmeier I Fotos: David Birri
TOP OF EUROPE: GEWALTIG! Viel mehr WOW! geht kaum. Hier oben auf 3454 Meter über Meer und Alltag verschlägt’s einem erst mal den Atem – und die Worte. Der Ausblick auf die glitzernde, blendend weisse Heimat der Jungfrau ist gewaltig, die Windstärke auf der Gitterplattform ebenso. Die Böen reissen jeden Ausruf des Entzückens mit zum Gipfel und jede Kapuze vom Kopf. Die Angaben auf dem Display hüpfen zwischen 45 und 64 km/h Windgeschwindigkeit, zusammen mit den Minus sechs Grad Celsius, die bei unserem Besuch auf der Aussichtsplattform namens Sphinx herrschen, ergeben Wind und Kälte ein gefühltes Sibirien-Klima. Nix für Gförlis, doch die absolut einmalige Location auf dem Dach Europas mit dem Blick auf den Aletschgletscher muss so lange wie klimatisch möglich genossen und mit WOWs gewürdigt werden. Aufwärmen kann man sich dann in der Beiz. Grosses Bild oben: Gerhard Moser, Gastgeber im Bergrestaurant Kleine Scheidegg.
GLAS, EIS UND HEISS. Drinnen, einen Stock tiefer, wartet das A-la-carte-Restaurant Crystal mit 110 Plätzen und einem vielfältigen Angebot, das einem schnell warm ums Herz und im Bauch wird. «Fondue und Rösti zählen zu dem Favoriten, gerade bei asiatischen Gästen», sagt Chef de Service Andreas Simon. Wir wollen die Küche auf die Probe stellen und ordern von der umfangreichen Karte das Rindsfilet an einer Sauce von Rugenbräu-Whiskey, dazu Kartoffel-Pastinaken-Pürée, Blattspinat und glasierte Karotten im Speckgürtel. Alles auf dem Teller mundet fein, hat es aber trotzdem schwer, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Denn auch hier im Crystal mit den schweren Glastischen, den Eiszapfenlampen und dem rustikalen Holzboden kennt der Blick nur eine Richtung: nach draussen, in das hochalpine Winterwunderland.
SAHNEHAUBEN UND EISKUNST. Den Kaffee danach gibt’s in der Pikantus-Bar eine Etage tiefer, eine gemütliche Lounge mit wiederum WOW-View. Nicht alle geniessen sie. Einigen Gästen setzt die Höhe zu, sie nicken und knicken ein in den kuscheligen Sesseln. Sven Dürl, der Betriebsleiter, erklärt, dass stets zwei Leute vom Personal Erste Hilfe leisten könnten, falls mal jemand umkippt. «Die Höhe setzt einigen schon zu, die erstmals zu uns hier hochkommen. Wir raten zu viel Flüssigkeit und Langsamkeit.» Der Kaffee «Top of Europe» mit der dicken Sahnehaube und einem Schuss Karamell fährt auch ohne Schnaps drin heftig ein. Die hauseigenen Tassen mit den Gipfeln von Eiger, Mönch und Jungfrau samt Höhenangaben sind beliebte Souvenirs, ebenso die «Eigerspitzli» aus dunkler Schoggi mit dem weissen Spitzen, «home made on 2320 m» in Restaurant Eigergletscher.
Single Malt & Humagne Blanche im Eisstollen. Vom Joch, der höchstgelegenen Bahnstation Europas, geht’s wieder durch den Tunnel runter mit der Jungfraubahn, die seit 111 Jahren Gäste aus aller Welt auf 3454 Meter hochfährt. Im Showroom «Alpine Sensation», einem Must-See für Jungfraujoch-Neulinge, sind die abenteuerlichen Bauarbeiten von 1912 ausführlich mit historischen Fotos dokumentiert. Eine Skulptur des visionären Jungfraubahn-Gründers Adolf Guyer-Zeller begrüsst Besucher am Eingang des hochalpinen Indoor-Panoramas – der Schlechtwetteroption zur Sphinx. Eine weitere Exklusivität ist der Eispalast, eine künstlich angelegte Eisgrotte, in der Bären, Adler und Pinguine lebensecht in Eis nachgebildet sind, ebenso der Pianist Lang Lang in Lebensgrösse am Flügel – er gab vergangene Ostern hier oben in Schnee und Eis ein Openair-Konzert! Im Eisstollen lagern auch Fässer von Rugenbräu mit Schweizer Highland Single Malt Whisky «Ice Label». Auf Anmeldung gibt’s für Gruppen exklusive Tastings in der privaten Eisbar. Ausgeschenkt wird er in allen Restaurants rund um die Jungfrau. Von Gregor Kuonen, Salgesch, reift erstmals Wein der autochtonen Walliser Rebsorte Humagne Blanche in Eichenfässern seiner Trinkreife entgegen, geschützt hinter einer Eiswand. Im April wird man davon probieren können.
Willkommen im «Frittenhimmel». Seit gut zwei Jahren ist der Eiger-Express in Betrieb. Moderne Kabinen bringen Skifahrerinnen, Snowboard-Fans und Schneewanderer in nur 15 Minuten von Grindelwald zur Station Eigergletscher, dem neuen Hub im Jungfraugebiet. Und einem kulinarischen Hotspot auf 2320 Höhenmetern – dank dem Restaurant Eigergletscher und der Skibar Schreiner nebenan auf der Piste. Die coole Pistenbeiz, einst die Schreinerei der Jungfraubahnen, nennt sich auch Frittenhimmel und hat die regional hotteste Terrasse, voll frontal zur Jungfrau. Die Frites werden alle frisch auf Bestellung gemacht, aus Berner Kartoffeln mit Schale. «An guten Tagen lassen wir 300 Kilo raus!», sagt Geschäftsleiterin Stephanie Heller. Der Renner von der Karte: saftiges Pulled Pork auf Frites. Im Trendlokal gibt’s auch Vegi-Fritten und vegane Gemüsesuppe. An der Fritteuse steht Dawa Kangsar, ein Tibeter und Ex-Sherpa im Himalaya. Die flüssigen Favoriten: Kafi Luz, Bailey’s Coffee und der hauseigene Hobelkafi, mit Röteli drin und Schoggispänen drauf. Die Skibar Schreinerei setzt auf Self Service, niemand will lange warten zum Bestellen oder Bezahlen, wenn draussen die Abfahrten locken. «Tempo ist auch für uns matchentscheidend», ist Stephanie Heller überzeugt. PS: Ein Must-see für Ladies: Die Toilette mit der schönsten Aussicht in den Alpen, direkt auf das Lauberhorn.
MARKE EIGERNESS. Wer gemütlich, ausführlich und richtig gut essen will, geht ins Restaurant Eigergletscher. Drinnen ist Platz für je 80 bis 90 Gäste, ebenso draussen auf der umlaufenden Terrasse. Im Haus arbeiten drei Patissiers; fertigen Kuchen, die vielgerühmten Rahmschnitten und Schoggi in Tafeln, als Pralinés und in Stengelform. Geschäftsführer Beat Wyss legt Wert auf regionale Produkte und Machart, hier Eigerness genannt. Käse und Milchprodukte stammen von Eigermilch in Grindelwald, die Würste von der berühmten Metzg Die Blaue Kuh in Matten bei Interlaken, der Holzmattenschinken von der Metzgerei Toni Roth, die Pickles vom Cafe 3692 in Grindelwald, das Sauerteigbrot ist hausgemacht. Die Bestseller auf der Karte: Käseschnitte im Gusseisenpfännli, das opulente Vesperplättli mit Käse, Alpenbutter und Wurst und die Oberländer Gerstensuppe mit Speck. «Seit der Eiger Express fährt, haben wir viele Stammgäste aus dem Tal, die nicht wegen der Pisten, sondern wegen unserer Küche hierherkommen», erklärt Wyss stolz. Von der Station Eigergletscher haben Ski-Fans die Wahl von schwarzen (schweren) bis blauen (leichten) Pisten Richtung Kleine Scheidegg, Wengen oder Grindelwald Männlichen. Für Fussgänger sind 100 Kilometer Wanderwege angelegt, für Schlittenfans sind 50 Kilometer präpariert.
TAVOLATA & HÜTTENZAUBER. Die Kleine Scheidegg hat ihren Spitzenplatz als Hub und Hotspot der Station Eigergletscher abtreten müssen, ein kulinarischer Stop lohnt sich trotzdem. Allein schon für das Bergrestaurant Kleine Scheidegg, eigentlich das Bahnhofbuffet, das Gerhard Geri Moser leitet. Hier hat man sich auf Familien spezialisiert, serviert werden Pasta- und Pizza-Tavolata der üppigen Art, immer dreierlei mit einer Schüssel Salat. Deftiges wie Hackbraten oder Grindelwalder Chäskuchen und Süsses wie Kaiserschmarrn, Eigerschnitten, Panettone oder hausgemachter Apfelkuchen ergänzen das Angebot von Chef Hans-Joschi Vejic. Das Hinterzimmer des Lokals ist eine Augenweide, ein Art-Deco-Raum mit lila-goldener Tapete, gestirntem Velourteppich und Jugendstilleuchter an der Holzdecke. An der elegant überdachten Rundfront des Bahnhofgebäudes bekommen Eilige Kaffee und hausgemachte Nussgipfel to go. An der Seite ist ab 11.30 Uhr ein Grill in Betrieb, wo Gulasch, Minestrone, Rösti & Bratwurst sowie Currywurst auf hungrige Gäste warten. Auf Reservation sitzen Gruppen im hübschen Fondue-Stübli im ersten Stock zwischen Cheminée, Fellen und Hirschhorn-Lampen. Vor dem Start des Lauberhorn-Rennens wärmt sich hier die Schweizer Ski-Nati jeweils auf. Après-Ski-Rummel à gogo mit Schlagermusik und heissen Drinks gibt’s gleich ennet der Geleise der Wengernalpbahn in der «Hütte». Hot Gin und Schümli-Pflümli sind hier die Einheizer, Uta Zwanzig aus Leipzig verbreitet mit Trauffer-Songs und Hochprozentigem Party-Stimmung.
GOURMET-MENÜ IN WENGEN. Den krönenden Abschluss von Skitagen im Jungfraugebiet bietet abends in Wengen das Hotel Regina mit dem Fine-Dining-Restaurant «Chez Meyer’s». Seit 15 Jahren und noch bis Ende Saison ist der Franzose Mickaël Cochet Küchenchef im nostalgischen Viersternhaus und Lokalmatador mit 15 GaultMillau-Punkten. An seinem Chef’s Table sass schon Dr. Ruth Westheimer, TV-Sextalkerin der ersten Stunde («kleine Dame, grosser Appetit», so der Chef.) Cochet vier- bis sechsgängiges Gourmet-Menü bietet mit jedem Teller Augen- und Gaumenfreunden. Die Schweizer Weinreise, Empfehlungen von Gastgeber Guido Meyer, sorgen für viel Leichtigkeit im Kopf und Spass in der Gurgel. Vom «Chez Meyer’s» aus geniesst man noch einmal den Ausblick auf die Jungfrau, im abendlichen Rosa-Lila. Ein letztes WOW!