Fotos: Nik Hunger

Erdäpfel für die 16-Punkteküche. «Meine Kartoffeln haben die beste Aussicht!» Was Starchef Hansjörg Ladurner da behauptet, hat durchaus Berechtigung. Er steht auf dem wunderbar gelegenen «Bergacker» bei Lain, 1300 M.ü.M, wo er den Sommer durch Ackerbohnen, Mais, Getreide und Kartoffeln anbaut. Diese Zutaten verwandelt er im Restaurant «Scalottas Terroir» in Lenzerheide, ausgezeichnet mit 16 GaultMillau-Punkten, in bodenständige und zugleich raffinierte Gerichte. Heute gilt es, die «Erdäpfel» (so klingt das mit seinem Südtiroler Akzent) zu ernten. Es ist fast schon ein gesellschaftliches Ereignis: Einige vertraute Bauersleute sind da, Souschef René Bissig, Restaurantleiterin Maria. Wie der Chef selbst auch, kniet das gute Dutzend Helfer in der humusreichen Erde und gräbt von Hand nach den Knollen, die während dieses Sommers hier gewachsen sind. Anders als im Unterland reichen dafür keine 100 Tage, es dürften deren 130 gewesen sein: «Die Saatkartoffeln haben wir in den letzten Apriltagen gesetzt.» 

Zu schade für Bio-Gas! Was macht ein Starchef mit diesen Kartoffeln, die er dem alpinen Boden hier fast schon abgetrotzt hat? Es sind wie angedeutet Terroir-Gerichte, denen Ladurner allerdings geschickt einen Gourmet-Twist verleiht. So werden die traditionellen Maluns – geraffelte, mit Mehl vermengte und dann langsam mit Butter geröstete Kartoffeln – nicht nur von Apfelmus begleitet, sondern auch von einer Kugel Käseglace. Es sei eine Zubereitung, für die auch Kartoffeln Verwendung finden, die bei anderen «bestenfalls im Viehfutter, schlimmstenfalls als Biogas enden», sagt er pointiert.  

Hansjoerg Ladurner , Scalottas Lenzerheide, Maluns mit Käseeis

Bündner Spezialität Maluns aus Bergacker-Kartoffeln mit Käse-Glace.

Hansjoerg Ladurner , Scalottas Lenzerheide

Kann mit der Schaufel, aber auch mit Pinzette: Starchef Hansjörg Ladurner.

Hansjoerg Ladurner , Scalottas Lenzerheide, Geiss und Lamm, Bohnen, Kartoffelschaum

Geiss, Lamm, Bohnen & Kartoffelschaum, der auch wirklich nach Kartoffeln schmeckt.

Kartoffeln dürfen hier Kartoffeln sein. Ein weiteres vegetarisches Gericht: Kartoffelbrötchen mit Ackerbohnen-Erbsen-Stampf, pochiertem Ei, Alpschnittlauch-Öl und Balsamico-Mayo. Hansjörg Ladurner kann aber auch mit Fleisch: Dafür steht ein Teller mit gebratenen, im Kern perfekt rosa Koteletts vom Schwarznasenschaf und einem «schnellen» Ziegenragout. Die Beilagen? Grüne und gelbe Bohnen, ebenfalls selbst geerntet. Und ein luftiger Kartoffelschaum, der auch ganz ohne Nussbutter herrlich schmeckt. «Bei mir dürfen Kartoffeln halt noch Kartoffeln sein», sagt der Starchef und spielt damit auf die klassisch-französische Küche an, die seiner Meinung alles daran setzt, Form und Geschmack der Erdäpfel zu verändern: «Denken Sie an Pommes Dauphine oder, noch schlimmer, an die tournierten Salzkartoffeln.» 

8-jährige Geiss, 13-jährige Kuh. Bei seinem Fleisch ist der Küchenchef nicht weniger wählerisch als bei den Zutaten aus dem Bergacker. Besagtes Schaf- und Geissenfleisch wird nur einige wenige Minuten vom Restaurant entfernt grossgezogen. Petra und Bruno Hassler lassen die Tiere in freier Natur weiden, streng bewacht von den Herdenschutzhunden Nox und Matzko. Dass Ladurner nicht nur die beiden Hunde, sondern auch viele der Paarhufer auf der Weide beim Namen kennt, sagt eigentlich alles über seine Überzeugung aus. Er hat in seiner Küche auch schon mal eine Geiss zubereitet, die achtjährig war und die er, wie seine Grossmutter früher, erst in Milch einlegen musste. Oder eine Kuh von 13 Jahren, «die bis dahin ein schönes Leben hatte.» Und wenn er gerade hier auf der Weide steht, bespricht er mit den Schafzüchtern auch gleich, welche Tiere wann zur Schlachtung kommen. Nach Möglichkeit ist er dort nämlich stets dabei. «Über den Preis sprechen wir dann man bei einem Kaffee», hört man ihn sagen. 

Hansjoerg Ladurner , Scalottas Lenzerheide, Kartoffelernte in Lain

Eine wirklich herzhafte Kartoffel aus dem Bergacker bei Lain!

Hansjoerg Ladurner , Scalottas Lenzerheide, Kartoffelernte in Lain

Die geernteten 200 Kilo dürften bis Februar fürs «Scalottas Terroir» reichen.

Bio ist bei seinen Partnern logisch! Seine Lieferanten sind für ihn, so beschreibt er es, seine Freunde! Und von sieben Bauernbetrieben in der Region, von denen er sich beliefern lässt, seien deren sechs bio-zertifiziert. «Für mich zwar nicht das Wichtigste, aber es ergibt bei unserer Philosophie fast von selbst», so Ladurner. «Bio-logisch halt.» Zu den Freunden zählt auch Martin «Floh» Bienerth, der ihm besten Käse liefert. Bauer Marcel Heinrich, der ihn mit Gemüse versorgt und bei seinem Bergacker unterstützt. Nicht zuletzt Fleischveredler Jörg Brügger in Parpan, der dort das vielleicht beste Bündnerfleisch des Landes reifen lässt. Zudem sei er dran, erklärt Hansjörg Laduner, sich bei Bio Cuisine zertifizieren zu lassen. Wird es denn für ein begehrtes Blüemli reichen? Dafür muss der Anteil an zertifizierten Produkten in einem Restaurant bei über 30 Prozent liegen: «Ich denke, es werden eher zwei», sagt der «Scalottas Terroir»-Chef selbstsicher. Sprich: über 60 Prozent! «Ich muss einfach mal die Zeit finden, um die ganzen Quittungen zu sortieren.» 

Hansjoerg Ladurner , Scalottas Lenzerheide, bei Schafen und Ziegen von Petras und Bruno Hassler, in Valbella

Hansjoerg Ladurner (m.) mit Petra & Bruno Hassler und deren Tieren.

Hansjoerg Ladurner , Scalottas Lenzerheide, Bergackerkartoffelbrot, Ackerbohne, pochiertes Ei

Pochiertes Ei, Bergacker-Kartoffelbrot, Ackerbohnen & Erbsli.

Hansjoerg Ladurner , Scalottas Lenzerheide, Kartoffelernte in Lain

«Meine Kartoffeln haben die beste Aussicht», sagt Hansjörg Ladurner.

Es zählt einzig der Geschmack. Zurück auf den Bergacker, wo die Erntehelfer nach getaner Arbeit noch am Plaudern sind. Ist der Starchef zufrieden mit der Ernte? «Ein Kartoffeljahr war es ehrlich gesagt nicht», sagt er. «Aber es dürften gegen 200 Kilogramm sein, die wenigstens bis Februar reichen dürften.» Weil es viele kleine Knollen sind, fürchte er ein wenig um seine Finger – er spielt damit auf die Chips an, die er im Restaurant oft daraus zubereite. Aber erstmals kommen die Kartoffeln jetzt in den Keller, wo sie noch eine Woche trocknen müssen. Dann werde nochmals jedes Exemplar einzeln in die Hand genommen; die lagerfähigen «Erdäpfel» von denen getrennt, die man sofort weiterverarbeitet. Was ihn dabei kaum interessiert, sind Form oder Grösse. Denn während eines Besuchs bei Hansjörg Ladurner lernt man nicht zuletzt: «Der Geschmack macht die Qualität einer Kartoffel aus – nicht das Aussehen.» 

Das Label «Bio Cuisine» zeigt den Gästen, wie viel Nachhaltigkeit sie auf dem Teller erwartet. «Bio Cuisine» ist dreistufig aufgebaut und zeichnet den Anteil an Bio- sowie Knospe-Produkten im Betrieb aus. Basis ist der Einkaufswert der Lebensmittel und Getränke. GaultMillau Schweiz unterstützt diese «Bio-Cuisine»-Initiative. www.bio-cuisine.ch