Text: Kathia Baltisberger | Fotos: Darya von Bergen/Olivia Pulver
Mailand, 3.30 Uhr in der Nacht. Raúl Garcia wacht auf und kann nicht mehr schlafen. In dreieinhalb Stunden muss er beim Kochwettbewerb S.Pellegrino Young Chef antreten. Nervös ist er nicht, doch an Schlaf ist nicht mehr zu denken. «Also bin ich kurz joggen gegangen», sagt er, als wäre es das Normalste der Welt, mitten in der Nacht durch die italienische Metropole zu rennen. Einige Stunden später steht Raúl in einer grossen Halle in seiner Wettbewerbsküche. Die Messer liegen alle im exakt gleichen Abstand bereit, die Schälchen für die Zutaten sind in einem perfekten rechten Winkel auf der Küchenzeile angeordnet. Raúl Garcia ist organisiert. «Ich überlasse nichts dem Zufall, dann kann auch nichts schief gehen.»
Perfekte Artischocken. An seiner Seite steht Guy Ravet. Der 17-Punktechef aus dem «Grand Hôtel du Lac» in Vevey ist sein Mentor. «Raúl hat einen ganz genauen Zeitplan erstellt. Ich schaue, dass er diesen einhält», sagt Ravet. «Er hat genügend Zeit. Er hat so geübt, dass er alles alleine schafft. Jetzt hat er noch einen Commis. Ich habe ihm gesagt, er soll sich beim Rüsten der Artischocken Zeit lassen.» Denn die Details könnten am Ende den Ausschlag geben. «Mein Gericht ist sehr klassisch. Es sind eigentlich Basics. Aber sie müssen perfekt zubereitet sein. «Es gibt keinen Mittelweg. Entweder ist der Fisch perfekt gegart oder eben nicht. Das Gleiche gilt für die Artischocken», sagt Raúl.
Hauptkomponente Zander. Raúl verarbeitet einen ganzen Zander. Delikatessenhändler Bianchi hat dem jungen Koch ein perfektes Exemplar mit nach Mailand gegeben. Zirka 3,5 Kilo bringt der Fisch auf die Waage. Das Filet kommt pochiert auf den Teller, den Bauchlappen verarbeitet Raúl zu einem Ceviche und die Abschnitte landen in einer Fischfarce, die auf dem Filet landet. Dazu gibt es Muscheln und Artischocken. Alles läuft nach Plan, Raúl ist die Ruhe selbst. Sein grösstes «Problem»? Die Klarsichtfolie reisst zweimal hintereinander nicht schön ab. Der 21-Jährige, der normalerweise vor 12 Uhr mit niemandem spricht, ist sogar zum Scherzen aufgelegt. Er wirft einen Blick auf seine Tomatenwürfel, die unter dem Salamander liegen und sagt trocken: «Wird das was?»
Kurz und knapp. Es wird was. Raúl kann pünktlich anrichten und sein Gericht der Jury präsentieren. Storytelling wird bei S.Pellegrino gross geschrieben. Jeder Kandidat darf mehrere Minuten über sein Gericht und seinen Werdegang sprechen, woher er die Idee hat und was ihn zum Gericht inspiriert hat. Da wird über Spaziergänge in chinesischen Wälder bis hin zu selbstgemachten 3D-Blumenkohl-Geschirr erzählt. Das ist nicht so Raúls Ding. Der wortkarge Ostschweizer fasst sich kurz: «Es handelt sich um ein Nose-to-Tail-Gericht», bringt er es auf den Punkt und erklärt die wichtigsten Schritte und Techniken.
Kurz und knapp. In der Jury sitzen vier Chefinnen (!) und ein Chef: Nancy Silverton (Mozza, Los Angeles), Pia Leon (Kjolle, Lima), Hélène Darroze (The Connaught, London), Vicky Lau (Tate Dining Room, Hongkong) und Riccardo Camanini (Lido 84, Gardasee). «Der Garpunkt des Fisches ist wirklich perfekt. Und ich bin begeistert, wie du die Aromen zusammen bringst», sagt der Italiener Camanini. Pia Leon fragt noch etwas kritischer nach: «Das Gericht ist wirklich sehr klassisch. Wo siehst du die Innovation in dem Gericht?» Raúl antwortet souverän. «Die Details machen den Unterschied. Das Gericht ist zwar klassisch französisch, aber ich kombiniere Elemente aus der japanischen Küche wie den Sansho-Pfeffer. Dadurch hebt sich das Gericht ab.»
Die perfekten Socken. Ob es für den Sieg reicht, wird sich am Donnerstagabend zeigen. Raúl hat auf jeden Fall alles beeinflusst, was in seiner Macht stand. Das zieht sich übrigens durch bis in die Fussspitzen. «Ich habe die perfekten Socken für den heutigen Tag ausgesucht. Auch einen Stift, den ich von meinem Chef Patrick Mahler geschenkt bekommen habe, ist dabei. Solche Dinge geben mir Sicherheit.» Hoffen wir, dass sie auch Glück bringen.