«Können sich bitte alle stumm schalten?», schreie ich in meinen Laptop, um 342 Teilnehmende auf Zoom in den Griff zu bekommen. Die 173 Zuschauer, die sich via Instagram Live zugeschaltet haben, können zum Glück nur schreiben, nicht reden. Am Mittwoch, 8. April führte ich meinen allerersten Weinkurs per Livestream durch. Auf zwei Kanälen. Mit 515 Weinanfängern. Während zwei Stunden habe ich ihnen drei Weine nähergebracht, einen Crashkurs über Weinproduktion, Terroir und Aromaentstehung gegeben und im Sekundentakt Fragen beantwortet. Zu behaupten, dass alles seine Ordnung gehabt hätte, wäre nur leicht übertrieben. Mein Adrenalin ging durch die Decke und der Ablaufplan der Degustation den Bach runter. Was nicht schlimm war, denn währenddessen fiel mir vor allem eines auf: ein neues Gefühl von Gemeinschaft.
Vorweg erhielten alle Teilnehmenden auf Bestellung einen Karton mit drei Weinen und lauter Degustationsmaterial nach Hause geschickt. Anhand einer Anleitung wurden sie über den Aufbau inkl. Gläser und Serviertemperatur instruiert. Typisch schweizerisch leisteten alle Folge. Was mich aber während des Kurses so berührte, war die Art und Weise, wie sie sich eingerichtet hatten. Ich erblickte Tapas- und Antipasti-Tellerchen, Laptops an angeschlossenen TVs, dekorierte Balkontischchen, Karaffen und flackernde Kerzen.
In jedem Kästchen meines Bildschirmes spielte sich ein individueller Film ab. Ich machte mehrere Dutzend WG-Mitbewohner, ein paar Familien und viele Paare aus. Ein halbschlafender, alter Mann, der mir nur zugehört hat, aber eigentlich gar nicht teilnahm, konnte ich auch noch erblicken. Im Hintergrund wurde gekocht, im Vordergrund gelacht. Es wurden Notizen gemacht, Fragen im Chat gestellt, Aroma diskutiert und Telefonnummern ausgetauscht. Ich sass mit meinen Weinen vor meinem Laptop und konnte mitverfolgen, wie sich virtuell Fremde annäherten und sich alle einen wunderbaren Abend gönnten. In einer völlig absurden Situation fühlten sich alle wohl. Alle getrennt durch die Quarantäne, aber vereint in geteiltem Genuss.
An diesem Abend entstand eine Gemeinschaft, die ich noch nie erlebt habe. Die Teilnehmenden sassen alle im gleichen Boot, «eingesperrt» zu Hause, doch sie machten das Beste daraus. Über Bildschirme hinweg erhoben wir unsere Gläser und vergassen kurz die angespannte Situation. Lachende Gesichter zu sehen, tat allen gut.
Der Abend führte mir vor Augen, wie ungern Menschen über lange Zeit alleine sind und die Gemeinschaft suchen. In diesem Sinne freue ich mich auf den 11. Mai, wo wir uns peu à peu wieder zueinander gesellen dürfen. Denn wir sind uns einig, wo ist es geselliger als im Restaurant?
Hier die Weine, die wir während des Weinkurses verkostet haben:
Hebed eu Sorg, Madelyne