Text: Daniel Böniger I Fotos: Ellin Anderegg
Ken darf an den Mörser. Dieser Küchenkniff von Martin Göschel überzeugt! Anstatt das Grün der Rüebli nach dem Rüsten wegzuwerfen, verwendet der 18-Punkte-Chef es für ein cremig-herbes Pesto. Das Kraut kommt gut gewaschen mit gerösteten Mandeln, geriebenem Parmesan, Pinienkernen und Leinsamenöl in einen Mörser - und diesen bedient Ken, der wie ich an diesem Morgen am Kochkurs im The Alpina Gstaad teilnimmt. Auf Fünfsterne-Niveau eine Selbstverständlichkeit: Das Mise en Place für den Workshop steht grösstenteils schon parat.
Andrea filetiert den Zander. Nach dem Händewaschen und dem Umbinden der Schürzen hat sich Ken freiwillig für den Karottenpesto-Job gemeldet: «Ich stehe sonst nie in der Küche!», sein treffendes Argument. «Das dürfte nicht allzu schwierig sein!» Ich dagegen bin nicht unbedingt an meinem Wunsch-Posten, eigentlich hätte ich lieber den Zander filetiert. Doch diese Aufgabe hat sich Kens Partnerin Andrea geschnappt: Sie darf den fast halbmeter grossen Fisch jetzt nicht nur entschuppen und mit einem mächtigen Messer in schöne Filets zerteilen, sondern sie macht aus den übrigen Karkassen auch Fischfond. Und aus den Abschnitten stellt sie mit Vollrahm eine Farce her. Sogar die Haut wird von ihr weiter verwendet: Diese wird in einer Bratpfanne flachgedrückt und bei schwacher Hitze getrocknet, so dass daraus hübsch gestreifte Fisch-Chips entstehen. Meine «anspruchsvolle» Aufgabe an diesem Morgen? Aus Mehl, Eiern, Milch und, notabene, gemahlenem altem Brot einen Crêpes-Teig mixen. Von wegen «Böniger tranchiert».
Göschel spart eine Tonne Plastik! Es ist offensichtlich: Martin Göschel und sein Mitarbeiter Toni haben sich im Vorfeld ganz viele Gedanken gemacht, wie man möglichst alle Bestandteile der eingekauften Zutaten in ein Gericht einbaut. «Die grossen Berge von altem Brot, die hier jeweils übrigblieben, haben mir die Augen geöffnet», sagt der Starchef. Schon bald habe er daraus Paniermehl, Dumplingfüllungen und Cracker gemacht. Nicht genug: Ganz generell wird versucht möglichst nachhaltig zu sein («nicht ganz einfach in einem Fünfsternehotel»): Aus Randen- und Rüeblischalen entstehen Gummibärchen; aus Biertreber gibt es Fitnessriegel. Es werden auch keine Speisen mehr in vakuumierten Plastiksäckchen gelagert, wie praktisch überall üblich - die Ersparnis im The Alpina Gstaad hiermit: Rund zwei Tonnen Plastik pro Jahr!
Ich entscheide mich gegen eine Crêperie. Während Martin Göschel erzählt, stehe ich also am Herd und bereite Crêpes zu. Eine schwere Gusseisenpfanne? Scheint man mir nicht zuzutrauen. Doch der Küchenchef beschwichtigt: «Auch Berufsköche verwenden bei uns hierfür eine Teflonpfanne wie zu Hause üblich.» Da der Teig wegen des Paniermehls eher dickflüssig ist, gelingt es mir nur schwerlich, mit bloss zwei Kellen «flüssigem» Teig den ganzen Pfannenboden zu bedecken. Ich drehe und wende die Pfanne immer wieder - und bin mir nach 20 Minuten Crêpes im Akkord sicher, dass ich nie und nimmer eine Crêperie eröffnen werde. Immerhin gelingt es mir, die Pfannkuchen mit einer schwungvollen Bewegung zu wenden. Sogar Ken und Andrea blicken da kurz auf, die Stimmung wird noch munterer als schon zuvor. Beim Plaudern mit Andrea erfahre ich übrigens, dass Ken daheim tatsächlich höchstens mal ein Spiegelei brät, wenn sie mal nicht zu Hause ist: «Am Telefon frage ich dann immer, ob er schon etwas gegessen hat», erzählt die Romande.
Guter Tipp für die Fischroulade! Nicht jede Foodwaste-Idee hat auf Anhieb funktioniert, gesteht Martin Göschel: «Unsere Teigwaren aus altem Brot wurden erst nur sehr zögerlich bestellt, da mussten wir noch an Rezeptur und Storytelling schrauben...» Doch da sind schon alle Zutaten für unseren Hauptgang – Zanderrolle mit Karotten, Sauerteigbrot & Kräutersauce - beinahe servierfertig. Nun geht es bloss noch darum, aus Fischfilets, Karottengrün, Zitronenabrieb, Farce und meinen Crêpes eine satte Fischroulade hinzubekommen. Jetzt dränge ich mich vor, damit auch ich auf den folgenden Zmittag ein wenig stolz sein kann. Leider geht das Rollen nicht ohne Plastikfolie - aber ich nehme noch einen Kniff mit nach Hause: Die Folie wird an der äusseren Kante zusammengeknüllt, damit eine sichtbare Naht entsteht. So wird das Öffnen der Roulade wesentlich einfacher!
Traumhaftes Dessert aus alten Croissants. Nach rund 80 Minuten werden wir aus der Küche entlassen. «Keine Schnitte in den Fingern?», fragt der Chef de Service schmunzelnd. «Vom Crêpesteig mixen?», denke ich mir, schweige aber höflich. Zur Masterclass gehört, dass wir nun auf der Terrasse einen Salat, unseren Hauptgang und ein Dessert nach Wahl serviert bekommen. Und genau diese Süssspeise erweist sich als die beste Rezeptur gegen Food-Waste, die mir bisher begegnet ist, da stimmen mir auch Andrea und Ken zu: Übrig gebliebene, auffallend buttrige Croissants vom Frühstück werden flach gepresst, leicht gezuckert und nochmals gebacken. Und zwischen diese dünne, karamellisierten Teigscheiben kommt Buttercreme - fertig ist ein Millefeuille, das besser als jede Cremeschnitte schmeckt. Und erst noch das Gewissen beruhigt!
>> www.thealpinagstaad.ch, mehr Informationen zum «Offcut-Kochworkshop» lesen Sie hier.