Text: Daniel Böniger I Fotos: François Wavre

Comme à la maison! «Twiitwiitwitiitwiitwii…» Der schrille Alarm jagt mir und den anderen Kursteilnehmern einen gehörigen Schrecken ein. Brennt es in der Hotelfachschule von Glion? Nein, Stéphane Décotterd führt gerade vor, wie man das Fleisch für Rehpfeffer scharf anbrät. Und dabei produziert er offensichtlich mehr Rauch, als im Schulraum - ausgestattet mit einer formidablen Heimküche - zulässig ist. Wir sind fünf Teilnehmer bei diesem Kochkurs, in dem der 18-Punkte-Chef sich Wildgerichten widmet. Wichtig sei ihm, dass die gezeigten Zubereitungen auch zu Hause funktionierten. Oder wie es in der während der Lektion gebräuchlichen Sprache heisst: «Comme à la maison!» 

Kochen im Kopf. Ich habe ja auch schon über Kochkurse von Starchefs geschrieben: Martin Göschel zeigt Kniffe, wie man Food Waste verhindert (lesen Sie hier!). Koch des Jahres 2024, Silvio Germann, hat uns Artischocken schälen, kochen und einlegen lassen (lesen Sie hier!). Bei Stéphane Décotterd nun erinnert das Setting erst ein wenig an «Frontalunterricht»: Er zeigt in gut zweieinhalb Stunden, sehr sportlich, ganze vier Wildgerichte vor. Die Teilnehmer auf der anderen Seite der Arbeitsfläche sehen bloss zu, machen Notizen. Erst mit der Zeit wird mir klar, dass diese Vorgehensweise viel mehr Sinn macht als erwartet: Das Niveau der «Schüler» (und einer «Schülerin») ist ziemlich hoch. Und so kocht jeder im Kopf mit. Und überprüft in seiner Vorstellung, ob er daheim jeweils ähnlich vorgeht.

 

Atelier "cuisine de la chasse" avec le Chef Stéphane Décotterd en compagnie du journaliste Daniel Böniger. Maison Décotterd, Glion, 21 octobre 2023.

Butterzart: der Rehrücken von Décotterd.

Atelier "cuisine de la chasse" avec le Chef Stéphane Décotterd en compagnie du journaliste Daniel Böniger. Maison Décotterd, Glion, 21 octobre 2023.

Erinnert den Chef an Fribourg: Wild-Atriaux.

Atelier "cuisine de la chasse" avec le Chef Stéphane Décotterd en compagnie du journaliste Daniel Böniger. Maison Décotterd, Glion, 21 octobre 2023.

Kraftvoll: Rehpfeffer.

Fleischnadel statt Thermometer. Décotterd findet etwa, dass es heutzutage durchaus reicht, einen Pfeffer - sei es Reh, Hirsch oder Gämse - bloss eine Nacht lang zu marinieren: «Weil Wild nicht mehr so streng schmeckt wie früher. Und es nicht mehr darum geht, es zu konservieren.» Und ich dachte immer: je länger, desto besser. Der Starchef erklärt uns, dass ein solcher Pfeffer auf dem Herd nur ganz leicht köcheln muss. Samt nachvollziehbarer Erklärung: «Die Flüssigkeit wird eh nie heisser als 100 Grad.» Ebenso nachvollziehbar: dass man eine Trockenmarinade für Rehrücken (oder bei mir daheim für Lammkoteletts) auch mal zwei Tage einwirken lassen kann. Und dass dabei die Plastikfolie möglichst eng ums Fleisch gewickelt wird. Noch ein Tipp: Wer kein Fleischthermometer besitzt, kann die Temperatur im Fleischkern auch mit einer Küchennadel messen, die erst ins Fleisch gesteckt und dann an die temperaturempfindlichen Lippen gehalten wird. 

 

Wild auf Fribourger Art: Atriaux. Fast im Minutentakt profitiere ich von neuen Ausführungen von Stéphane Décotterd. Und mir gefällt, dass während des ganzen kurzweiligen Morgens keine Geräte wie Pacojet oder Thermomix vorkommen - bis wir zum Rezept für «Atriaux de Gibier» kommen, also grobe Wildwurst im Schweinsnetz zubereitet. Für diese in Fribourg verbreitete Spezialität kommen Wildfleisch, Kalbsleber und weitere Zutaten in den Fleischwolf. Gewürzt wird mit der Haus-Gewürzmischung für Wild, die sich aus je fünf Teilen getrocknete Orangenzeste, fünf Teilen Wacholder und zwei Teilen Gewürznelke zusammensetzt. «Und wenn ich keinen Fleischwolf daheim habe?», frage ich gar vorwitzig. Décotterd zögert keine Sekunde und rät zur Moulinette. «Allerdings sollte man nur zweimal kurz auf den Knopf drücken, sonst hat man Fleischpüree.» 

 

Atelier "cuisine de la chasse" avec le Chef Stéphane Décotterd en compagnie du journaliste Daniel Böniger. Maison Décotterd, Glion, 21 octobre 2023.

Statt Notizen: So mancher Kursteilnehmer züchte auch mal das Handy.

Atelier "cuisine de la chasse" avec le Chef Stéphane Décotterd en compagnie du journaliste Daniel Böniger. Maison Décotterd, Glion, 21 octobre 2023.

Der Kochkurs ist besser als ein Youtube-Tutorial, findet Autor Böniger (l.).

Champagner? Erst nach der Lektion. Kurz nach 11 Uhr probieren wir den fertigen Rehrücken mit Jus. Dann das Atriaux mit Zwiebeln & Geschnetzeltes mit Pilzrahmsauce. Schliesslich den Rehpfeffer, der geschmacklich zwar überzeugt, aber am nächsten Tag wohl noch zarter sein wird. Alles ohne all die sonst üblichen Beilagen wie Spätzli, Rotkraut und Marroni. Doch die Runde ist sich einig: Dies ist ein gutes spätes Frühstück an einem Samstagmorgen! Einverständnis herrscht auch darüber, dass dieser Kochkurs mehr bietet als ein Youtube-Tutorial. Es riecht nämlich gut (und raucht manchmal!). Man spürt die Fettspritzer, darum machen auch die geschenkten Schürzen Sinn. Und man kriegt etwas zwischen die Zähne! Übrigens beginnt der Morgen hier nicht mit einem Glas Champagner, wie bei vergleichbaren Kursen - das gibt es erst am Schluss! Noch ein Beleg dafür, wie ernst es Stéphane Décotterd mit seinen Kochlektionen ist. 

 

>> Stéphane Décotterd bietet regelmässig Kochkurse an, die Infos darüber finden Sie hier: www.maisondecotterd.com