Fotos: Valeriano Di Domenico
Ein Halbeli Hallauer am Stammtisch. Der beste Schwartenmagen der Schweiz? So behauptet es zumindest Philipp Blum auf seiner Speisekarte - und natürlich weckt dieses Selbstvertrauen meine Neugier! Auf nach Roggliswil im Nordwesten des Kantons Luzern, in den Ochsen, wo schon morgens kurz nach zehn Uhr die Stammgäste beim Frühschoppen sitzen. «Grüezi mitenand!», sage ich beim Eintreten in die Gaststube und setze mich hinzu. Auf dem Tisch liegt der «Blick», an einer Wand hängt das schwarze Brett, auf dem mit Steckbuchstaben das Halbeli Hallauer für Fr. 17.50 angepriesen wird. Bald schon nimmt auch der 62-Jährige Blum Platz und erzählt von seinem Schwartenmagen.
Schwartenmagen? Magen ist keiner drin. «Fast jeder hat gern Schwartenmagen, auch immer wieder junge Frauen», widerspricht der gelernte Metzger jeglichem Klischee. Kritische Gäste im Ochsen frage er nicht selten, ob sie denn überhaupt wüssten, was ein Schwartenmagen sei - tun sie nicht immer. Magen sei da nämlich keiner drin. Und spätestens wenn sie probiert hätten, seien die meisten angetan von der Zubereitung. «Vielleicht müsste man der Spezialität einen anderen Namen geben!», werweisst Blum. Vor gut zwei Stunden habe er Schnörrli, Zunge und Wädli - vom Metzger in Nachbardorf eingesalzen und vorbereitet - ins Kochwasser gegeben, jetzt sei es dann der Moment, die fertig gesottenen Stücke klein zu schneiden. Ob ich mitkommen möchte? Und ob ich will.
Streifen statt Würfeli. Und Radio Eviva. Wir sind jetzt im gekachelten Raum, den Philipp Blum die «Wursterei» nennt. Es läuft Radio Eviva, Gerätschaften wie Waage, Blitz und Räucherkammer stehen hier. Da ich kein Frühstück gegessen habe, ist der Blick auf die aufgereihten Schnörrli in einer grauen Plastikbox schon recht heftig. Blum nimmt ein Messer, schärft es erst am Stahl und beginnt dann zu zerkleinern: «Andere machen Würfeli, ich schneide Streifen, weil es die bessere Zeichnung ergibt!» Ob ich etwas Zunge probieren wolle? Ja, eigentlich schon.
Das Rezept des Urgrossvaters. Weil das Kochwasser von vorhin ganz viel Collagen enthält, wird es fürs nachfolgende Aufkochen mit Aspik nochmals verwendet. So haben es schon Blums Vater und Urgrossvater gemacht. Zusammen mit den Fleischstreifen, etwas Essig und Gewürzen kommt es in der Hauptküche in einen grossen Kochtopf. Hier läuft Radio Virus. Wirklich keine weiteren Zutaten im Schwartenmagen? «Nein, ich mag keine Gürkli und ähnliches drin.» Und obwohl wir inzwischen beim Duzis angekommen sind - welche Gewürze er genau verwendet hat, verrät er mir nicht.
Ein angenehm vornehmer Fleischgoût. Zwei Stunden sind seit meiner Ankunft vergangen. Die nochmals aufgekochten Fleischtranchen sind jetzt in Chromstahlwannen geschichtet, mit flüssiger Sulz übergossen und kühl gestellt - gut 36 Stunden dauert es, bis alles durchgekühlt und fest ist. «Ein Tag reicht nicht ganz.» Endlich fragt mich Philipp Blum, ob ich eigentlich auch mal von seinem fertigen Schwartenmagen versuchen wolle? Aber schon sicher. Er schneidet ein grosszügiges Stück vom Block - und ich bin mehr verblüfft. Das schmeckt weder plump nach Bouillon wie sonst oft. Noch ist es übertrieben salzig - sondern vielmehr ist ein angenehm vornehmer Fleischgoût auszumachen, ähnlich wie bei einer guten Lyoner-Wurst! Die Konsistenz - zart, aber doch mit leichtem Biss - ist perfekt. Der beste Schwartenmagen der Schweiz? Vielleicht. Zumindest hatte ich noch keinen besseren.
Deluxe-Version bei Christian Kuchler. Zurzeit begegnet mir dieses Gericht regelmässig - es ist ja irgendwie das Gericht der Stunde: Mehr «Nose to tail» geht kaum mehr… Gerade kürzlich hatte ich bei Christian Kuchler «Schwartenmagen»: Der 18-Punkte-Chef serviert im «Schäfli» Wigoltingen eine Deluxe-Version - all die Fleischstücke sind millimeterklein geschnitten, so dass man kaum mehr zwischen Schnörrli und Filet unterscheiden kann, Dazu gibt es Zwiebelconfit und eine vornehme Vinaigrette, die der Sache Leichtigkeit verleiht. Auch das «Rosa Pulver» in Winterthur serviert als Snack ein knopfgrosses Stück Schwartenmagen mit ein paar Fäden Sauerkraut und einem Laugencracker. Bei Blum hier im Ochsen geht es weniger filigran zu und her: Einige geniessen die Delikatesse nature, «mit einem guten Stück Brot», manche nehmen Senf oder Vinaigrette dazu.