Fotos: Sedrik Nemeth
Fendant ab 11 Uhr. Die Wettervorhersage orakelt: 28 Grad am Nachmittag im Rhonetal. Und was kommt im Château de Villa in Sierre mittags auf den Teller? Geschmolzener Käse natürlich. Und zwar - dies ist in diesem Lokal einmalig - in Form von fünf verschiedenen AOP-Raclettes aus fünf Orten im Wallis. Ich will sie alle probieren… Aber zuvor gönne ich mir, wie alle anderen Gäste auf der Gartenterrasse auch, ein Glas Fendant. Schliesslich ist bereits 11 Uhr vorbei, das Wetter macht durstig und nicht zuletzt gefällt mir die schöne Kampfkuh auf dem Etikett des Weins.
Charcuterie mit Herkunftsbezeichnung. Die eigentliche Mahlzeit beginne ich mit einem Walliser Plättli. Denn der Bergkanton hat neben Käse und Wein auch ein paar schöne Charcuterie-Waren zu bieten. Mir gefällt, wie bei den fünf verschiedenen Produkten sowohl Herkunft als auch Produzent genannt werden: Rohschinken von René Meyer in Turtmann zum Beispiel. Oder Trockenfleisch von Fleury Viande in Granges. Übrigens sind sogar die dunklen Brote dazu angeschrieben. Am besten schmeckt mir dasjenige mit Traubenkernmehl von Bäcker Mathieu in Susten, es knistert leicht zwischen den Zähnen beim Reinbeissen.
Gemüsebeilage? Kartoffeln und Cornichons. Schon bald kommt ein kleines Körbchen mit heissen Kartoffeln und eine Schüssel mit Cornichons und Silberzwiebeln auf den Tisch - schliesslich sollte man ja stets auch ein wenig «Gemüse» zu sich nehmen. Sie kündigen das Raclette an, das bald von Luca Brigante serviert wird. Mit einem Leuchtstift hat der «Racleur et Sommelier» die fünf Ortschaften auf einer laminierten Karte des Kantons markiert, aus der die angebotenen Käse heute Mittag herkommen: «Sie sind nicht nach Geschmack sortiert, sondern wir beginnen im Westen und arbeiten uns nach Osten.»
Fast 700 Walliser Weine auf der Karte! Als erstes streicht er mir eine Portion des «Bagnes 4» auf den Teller. Dieser kommt aus der Gemeinde Liddes und ist einer der vielen Käse aus dem Vallée de Bagnes, das als Wiege des kantonalen Raclettegenusses gilt. Wunderbar cremig ist er, gut gesalzen, merklich würzig, aber aromatisch lässt sich trotzdem die Rohmilch erahnen, die ihm zugrunde liegt. Ich nehme einen Schluck vom Fendant von Antoine & Christophe Bétrisey und bin erstaunt, wie der Weisswein zusammen mit dem Essen deutlich mineralischer wirkt. Ja, man sollte eigentlich mit einer grösseren Gruppe hierher kommen und einige der insgesamt 698 Walliser Tropfen (ja, ich habe nachgezählt!) verkosten, die teilweise auch in vergriffenen Jahrgängen auf der Weinkarte stehen.
«Typische Bergkräuternote». Die lauschige Terrasse rundherum hat sich inzwischen gefüllt, an einem Tisch sitzt sogar eine Gruppe Handwerker in roten Firmenshirts. Zur Mittagspause laben sie sich wie ich an dem gemäss Reglement im Kupferkessel geronnenen und dann für sechs Monate gereiften Käse. Meine zweite Probe: «Bagnes 25» aus Champsec, ein Käse, der deutlich weniger salzig wirkt und darum viel raffinierter schmeckt als der erste. Mich stört die leichte Ammoniaknote keineswegs, die Luca als «typische Bergkräuteraromen» umschreibt. Vorausgesetzt, dass ich sein Französisch richtig verstanden habe… Dieser Raclettekäse dürfte weniger Freunde finden als die anschliessende Probe 3 aus Martigny, die ich in meinen Notizen als «Everybodys Darling» bezeichne: cremig, rund und ausgewogen im Geschmack, zuletzt mit angenehmer Säure.
Unbedingt Schafskäse-Raclette probieren. Schon Sättigungsgefühle? Selber schuld! Nicht umsonst essen die Walliser nicht allzu viele Kartoffeln zum Raclette - schliesslich geht's um den Käse. Raclette Nummer 4 kommt aus Trutmann; ein regelrechter «Kraftprotz», der erstaunlicherweise im Talkessel produziert wird. Probe 5 stammt aus Visperterminen und heisst bei mir «der Elegante»… Ich hänge gleich noch eine Portion des angebotenen Schafskäse-Raclettes an, das als einziges nicht im Angebot «à discrétion» für faire 36 Franken enthalten ist: Der auffallend helle Käse, merklich ölig, «böckelt» nämlich keineswegs. Und er passt gut zum Glas Petit Arvine der Kellerei Le Rhyton d’Or in Leytron, das ich mir auch noch gegönnt habe. Schliesslich ist man ja viel zu selten im Wallis.
Ich komme wieder, keine Frage… A discrétion? Richtig gelesen. Wer möchte, kann anschliessend nochmals nachbestellen, falls der eine oder andere Käse besonders gut gefallen hat. Immer vorausgesetzt, dass der Bauch nicht voll ist vom Trockenfleisch, den Kartoffeln und Cornichons… Ja, nächstes Mal werde ich mich bei den Beilagen noch mehr zurückhalten. Vielleicht im Herbst, wenn sich das Thermometer wieder näher bei 20 Grad einpendelt... Immerhin ist mir jetzt schon klar geworden: Mit dem manchmal fast gummigartigen Industrieprodukt, das wir im Winter daheim leider viel zu oft ins «Öfeli» geben, hat das kultige Raclette im Château de Villa wenig gemein.
>> Mehr Informationen: www.chateaudevilla.ch