Fotos: Salvatore Vinci
München? Zu weit! Nix gegen ein kühles Blondes! Und überhaupt gar nix gegen eine Schweinshaxe mit Kraut! Was mir dann aber doch allzu umständlich wäre: Dafür Lederhosen zu montieren und bis ans Münchner Oktoberfest zu reisen. Inzwischen findet das saisonale Geschunkel ja auch hierzulande da und dort statt. Bierseligkeit erlangt man also problemlos in nahen Region, etwa an der Züri-Wiesn mitten im Zürcher Hauptbahnhof! Die Frage ist bloss: Was taugt das deftige Essen dort? Um darauf eine Antwort zu finden, wage ich den Selbstversuch: Hingehen, mitprosten und kulinarisch einmal durchs ganze Angebot!
Warme Brezn & Würste. Am Eröffnungsabend stürze ich mich ins Getümmel. «Ro-sa-munde, schenk mir dein Herz und sag ja», klingt es von der Bühne. Ich setze mich an einen Festbank, lasse mir von einer der vifen Servicedamen – in bayerisch-versierten Kreisen «Resis» genannt – ein erstes Bier bringen. Dazu Weisswürste. Kein schlechter Start ist das, denn anfangs des Abends sind die luftigen Brezn dazu noch wunderbar warm. Die Wurst schmeckt bodenständig, vielleicht ist für manchen Geschmack eine Prise zu viel Pfeffer drin, aber ich mag das! Als süsser Senf dazu wird «Händlmaier» aus Bayern serviert, der Hygiene wegen in kleinen Portionsbeuteln.
Kartoffelsalat – natürlich ohne Mayo. Die Wurstwaren hier im Festzelt sind nicht weit gereist. Sie werden allesamt in den Katakomben des Hauptbahnhofes von Candrian Catering selbst gemacht! Schweizer Fleisch als Basis ist ebenso selbstverständlich. Dies gilt nicht zuletzt für den Ofenfleischkäse mit Kartoffelsalat, den ich mir als nächstes gönne. Solides Handwerk auch hier, darüber hinaus eine sättigende Portion. Vielleicht könnte die Kruste des Fleischkäses eine Spur dunkler sein? «Wir können da nicht übertreiben», erklärt Küchenchef Julian Köberl, «weil wir die rund 400 Portionen täglich mit der Aufschnittmaschine schneiden müssen.» Der Kartoffelsalat ist prima, je ein Hauch Senf und Bouillon sind herauszuschmecken. Auf Mayonnaise wird – wir sind ja nicht in Norddeutschland – verzichtet. Dekoriert wird mit Tomatenschnitz!
Franco Marvulli schlägt zu. Auf zur Bühne, denn nun ist es Zeit für den Fassanstich, mit dem die Festivitäten traditionell eröffnet werden. Mir fällt auf, dass über 90 Prozent der Besucher tatsächlich im Dirndl oder in Lederhosen gekommen sind. Plötzlich bin ich froh, dass ich wenigstens ein kariertes Hemd für diesen Anlass im Schrank gefunden habe - sonst wäre ich noch aufgefallen. Die Ehre, das erste Bierfass mit möglichst wenig Schlägen anzustechen, hat der Radsportler und Olympia-Silbermedaillengewinner Franco Marvulli. Sportlich sieht er aus, die Frauen in der ersten Reihe zücken das Handy. Man traut ihm zu, den Rekord von nur zwei Schlägen (gehalten von Linda Fäh!) zu egalisieren. Er schafft es nicht ganz – noch lange wird auf den Festbänken diskutiert, ob es nun fünf oder sechs Schläge waren, bis das Bier geflossen ist. Nichtsdestotrotz: «O'zapft is!»
Backhendl und das Bett im Kornfeld. Auch ich bleibe beim Bier, obwohl man diesbezüglich seitens der Gastgeber viel mehr Alternativen anbietet, als beim Start hier im HB vor bald 20 Jahren. Wer möchte, kriegt ein Cüpli Laurent-Perrier oder ein Glas Primitivo. Auch alkoholfreie Getränke wie Apfelschorle oder Fanta sind erhältlich. Bloss würde das nach meinem Gusto eben nicht zum nächsten Gericht passen: Backhendl! Die Haut ist köstlich gewürzt. Das Poulet so saftig, dass das dazu servierte Brot absolut Sinn macht. Mit dem Salz übrigens hat man nicht übertrieben – es reicht ja, wenn die Band die Gäste zum Trinken animiert. Dekoriert wird einmal mehr mit Tomatenschnitz! Und auch wenn es sich beim Vogel nicht um ein Ribelmais-, sondern um ein Schweizer Knauss-Poulet handelt, scheint das jetzt gespielte «Ein Bett im Kornfeld» dazu zu passen.
Köstliche Haxn-Kruste! Man vergisst schnell, dass man mitten im Zürcher Hauptbahnhof weilt. Die Gäste stehen bereits auf den Bänken – und ich bestelle nochmals. Und zwar diejenige Speise, die ich allen empfehle, die während der kommenden Wochen noch hier mitschunkeln werden: Schweinshaxn! Die Kruste ist ordentlich braun und knusprig. Das Fleisch gut gewürzt, bis auf den Knochen gar und alles andere als trocken. Auch die Beilagen machen Stimmung: zurückhaltend saures, geschmackvolles «Kraut» und liebevoll zubereiteter Kartoffelstock. Wen wundert’s, dekoriert wird mit Tomatenschnitz! «Wir verbrauchen täglich hier um die zwanzig Kilo Tomaten», weiss Küchenchef Julian Köberl. Wohlgemerkt, es gibt für Vegetarier durchaus Anderes: Ich bestelle jetzt Käsespätzle und genehmige mir ein weiteres Bier. Die Portion ist grosszügig. Es wird ein schön würziger Käse für die eher dünnflüssige Sauce verwendet! Und die Röstzwiebeln geben dem Gericht den notwendigen Dreh! Noch ein Tipp: Hiervon eine doppelte Portion bestellen – so macht dieses fleischlose Gericht wirklich Freude!
Ein letztes Proo-oo-sit, dann gemütlich heim. Dann kann ich wirklich nicht mehr! Mein blau-weiss kariertes Hemd drückt um den Bauch herum. Die Band singt ein weiteres «Proo-oo-sit der Gemütlichkeit!». Auf den rund 1100 Plätzen, die an diesem Donnerstag ziemlich gut besetzt sind, wird eifrig mitgesungen und -geschunkelt. Ich leere meinen Humpen und gehe nach Hause. So, wie ich es – mein letzter Ratschlag – in diesem Falle wirklich allen empfehle: mit öffentlichem Verkehr. Anders als wenn ich nach München gegangen wäre, ist der Heimweg nicht allzu umständlich.
>> Die «Züri-Wiesn» im HB dauern bis 19. Oktober, Infos unter www.zueriwiesn.ch