Fotos: Digitale Massarbeit

Beginnen wir doch ganz am Anfang: Was ist Licht?

César Muntada: Licht ist das Wichtigste, was wir Menschen haben. Alles hat mit dem Big Bang angefangen, und dann kam bereits das Licht, es hat das Universum geformt. Ohne Licht können wir nicht existieren. Es ist die Essenz allen Lebens. Gleichzeitig ist das Licht auch eine Quelle von Informationen.

Und was ist Licht für Sie?

Für mich ist es etwas ganz Besonderes, weil es uns Energie, Wissen und Emotionen gibt. Licht ist alles, es gibt nichts Wichtigeres.

Haben Sie eine religiöse Verbindung zum Licht?

Nein, ich nehme Licht als etwas Rationales wahr, auch wenn es viel früher existierte als alles andere.

Wo sehen Sie den Unterschied zwischen physikalischen und psychologischen Aspekten des Lichts?

Der physikalische Aspekt ist hochinteressant, weil man Licht als Medium gar nicht fassen kann. Wir können Licht nur in anderen Objekten oder Körpern sehen, nachdem etwas passiert ist. Was war das andere …?

… der psychologische Aspekt.

Ja, genau. Licht modelliert die Menschen, und es verändert sich stän-dig: zu unterschiedlichen Tageszeiten und abhängig von der Situation, von der Jahreszeit und vielem mehr. Licht, das sich bewegt – wie der Scheinwerfer eines Fahrzeugs, – verändert seine Umgebung. Und dasselbe passiert in unserer Psyche. Licht am Morgen erfüllt uns mit Energie, abends regt es uns etwa zum Nachdenken an. Das heisst, das Licht formt nicht nur Objekte, sondern auch Stimmungen in uns selbst.

Wie wurden Sie Lichtdesigner, war das ein Bubentraum?

Das war ein Zufall. In der berühmten Stanford-Rede von Apple-Mitgründer Steve Jobs spricht er von den «Dots», den markanten Punkten im eigenen Leben, die sich nur in der Rückschau sinnvoll miteinander verbinden lassen. Also muss man während des Weges Vertrauen haben – in sich und seine Entscheidungen. Mein Grossvater hatte in der 60er-Jahren in Barcelona eine Firma für Leuchtwerbung. Sein Studio lag in der Nähe der Avinguda Diagonal, und ganz oben am Gebäude hatte er eine rund neun Meter hohe Eule aus Glühbirnen als Werbung für seine Firma konstruiert. Die Augen der Eule konnten zwinkern, die Federn haben sich bewegt, und darunter stand «Magische Kräfte». Die Eule wurde später aufwendig restauriert und sitzt heute noch da. Viele Menschen waren davon fasziniert, ich selbst konnte als Kind darin nichts Besonderes entdecken.

Audi, Audi SQ6 e-tron, Salone del Mobile 2024, Milano, César Muntada, Head of Light Design, Audi Lichtdesigner

Audi-Lichtdesigner César Muntada beim Gespräch in Mailand: «Licht ist die Essenz allen Lebens.»

Audi, Audi SQ6 e-tron, Salone del Mobile 2024, Milano, César Muntada, Head of Light Design, Audi Lichtdesigner

Skizze des neuen Audi Q6 e-tron: «Das Lichtdesign besteht immer aus horizontalen langen Objekten mit senkrechten Akzenten.»

Audi, Audi SQ6 e-tron, Salone del Mobile 2024, Milano Audi Lichtdesigner

Nicht nur auf Scheinwerfer und Rücklichter, sondern auch der Innenraum trägt Muntadas Handschrift.

Trotzdem sind Sie dann Lichtdesigner geworden.

Ja, die Punkte haben sich schliesslich verbunden: Licht spielt eine wichtige Rolle in meiner Heimat Barcelona und in meiner Familie. Ursprünglich habe ich Autodesign studiert. Es war reiner Zufall, dass mir Lichtdesign angeboten wurde. Ich habe sofort Ja gesagt, weil mir klar war, wie viel sich mit Licht gestalten lässt.

Durch LED- oder OLED-Technologie ist Licht sehr technisch geworden. Wie viel müssen Sie als Designer davon verstehen?

Man muss Design und Styling unterscheiden. Styling bedeutet, etwas einfach schön zu gestalten – Entscheidungen aus reiner Ästhetik heraus zu treffen, ohne die Funktion zu berücksichtigen. Ein Designer arbeitet anders. Wir suchen nach cleveren Lösungen für Menschen, dafür müssen wir tief in die Technik eintauchen. Gerade weil Technologie beim Licht eine grosse Rolle spielt, muss man sie verstehen und verstehen wollen. Gutes Design ist es nur, wenn es auch gut funktioniert. Deswegen wollen wir im Audi-Design die Funktion – also unseren Vorsprung durch Technik – mit Design sichtbar und erlebbar machen.

Wie haben moderne Lichttechnologien die Welt verändert?

Es gibt – nicht nur in der Autoindustrie – eine Zeit vor und eine Zeit nach der Einführung von LED. Der entscheidende Moment war in den 90er-Jahren, als in Japan blaue LEDs entwickelt wurden, was ganz neue Möglichkeiten eröffnet hat. OLEDs haben jetzt das Potenzial, die nächste grosse Veränderung anzustossen. Das Besondere daran ist, dass das Leuchtmittel 200-mal dünner ist als ein menschliches Haar. Das heisst, man kann sehr gut damit gestalten, und das Licht ist zudem unglaublich gleichmässig und kontrastreich. Das eröffnet uns ganz neue Wege.

Autos waren immer schon mit Licht unterwegs, allein schon wegen der Sicherheit. Welche Bedeutung hat Licht am und im Auto heute?

Wir Menschen brauchen Licht, um uns in der Dunkelheit zu bewegen. Aber weil Licht so viele Emotionen weckt, können wir damit einem Produkt auch einen Charakter geben. Wir haben vor mehr als 15 Jahren angefangen, das sicherheitsrele-vante Tagfahrlicht zu gestalten – eine Funktion bekam eine Ästhetik. Das ist die DNA von Audi – Funktion und Form, Schönheit und Nutzen zusammenzubringen.

Was ist daraus entstanden?

Wir haben durch die Gestaltung des Lichts ein Erkennungszeichen geschaffen. Man sieht sofort – auch in der Nacht –, hier kommt ein Audi! Auch im Innern hat sich durch das Ambiente-Licht viel verändert.

Der Motor war bisher die Seele des Autos. Ist es heute stattdessen das Licht, das die Persönlichkeit von E-Fahrzeugen prägt?

Wir sagen, man kann durch die Scheinwerfer in die Seele von Audi schauen. «Vorsprung durch Technik» wird damit präzise zum Ausdruck gebracht. Beim Elektroauto wird das noch verstärkt, weil Licht den digitalen Aspekt sichtbar macht – und so geräuschlos ist wie das Fahrzeug selbst. Das ist eine perfekte Symbiose, weshalb Licht tatsächlich die Seele dieser neuen Autowelt ist.

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Beim neuen Audi Q6 e-tron ist es möglich, aus verschiedenen Lichtsignaturen zu wählen. Geht damit nicht das erwähnte Erkennungsmerkmal verloren?

Nein, diese Gefahr besteht nicht. Erstens ist Audi die einzige Marke, die das überhaupt anbietet. Der zweite ist der formale Aspekt. Alle Signaturen, die zur Auswahl stehen, sind nach den Audi-Prinzipien gestaltet. Man kann sein Fahrzeug also individualisieren und bleibt doch der Essenz von Audi treu.

Was heisst das?

Das Lichtdesign besteht immer aus horizontalen langen Objekten mit senkrechten Akzenten. Wenn man den neuen Q6 e-tron mit den erwähnten Lichtsignaturen in eine Reihe mit anderen Audi-Modellen stellt, kann man die gemeinsame DNA sofort erkennen.

Sie spielen also gewissermassen mit Licht-Zitaten?

Genau, wir gehen als Marke in die Zukunft, nehmen dabei aber unsere Geschichte mit auf die Reise. Es gibt keine Zäsur, und alles Vergangene ist vergessen, im Gegenteil. Ohne Tradition keine Innovation – und umgekehrt. Wir stehen für «Vorsprung durch Technik», aber stellen den Menschen ins Zentrum aller Überlegungen. Das machen wir etwa damit, dass wir den Kunden die Möglichkeit geben, sich mit dem Fahrzeug zu identifizieren. Deshalb wird die individuelle Lichtsignatur eines der beliebtesten Features sein. Jetzt kann jeder in der Familie sein eigenes Erkennungszeichen wählen.

Wie gehen Sie mit dem Widerspruch um, dass Sie Licht gestalten, aber Dunkelheit brauchen, um es sichtbar zu machen?

Am Tag ergänzt Lichtdesign das Design des Autos, in der Nacht ist Licht das Design. Denn die Proportionen und die Konturen sind dann nicht mehr zu sehen. Deshalb ist die Bedeutung der Lichtelemente für die Marke so wichtig.

 

>> César Muntada, 57, stammt ursprünglich aus Barcelona und ist heute Leiter Lichtdesign beim deutschen Automobilhersteller Audi in Ingolstadt. Muntada arbeitet seit 2007 für Audi und gilt als «Pionier des Lichts».