Tilda Swinton, Coco Chanel, Max Frisch, Rolling Stones – die Liste der Namen in Ihrem Gästebuch ist gewaltig. Wen würden Sie persönlich mal gern begrüssen? 

Ich hätte Freude, wenn Emil Steinberger wieder einmal vorbeikommen würde. Ich habe ihn vor vielen Jahren mal ganz zufällig mit meiner Tochter in Montreux in einem Café kennengelernt. Sie war damals noch eine kleine Bohne, und die beiden haben sich bestens verstanden. Emil ist ein sympathischer Mensch, auch wenn er mich hier in der Kronenhalle Jahre später natürlich nicht wiedererkannt hat. 

Sie feiern dieses Jahr den hundertsten Geburtstag des Traditionslokals – was merken die Gäste davon? 

Der Stiftung hinter dem Lokal, gegründet von Hulda Zumstag und ihrem Sohn Gustav, sind seit jeher die Themen Kunst, Textilien, Gastronomie und Literatur wichtig. Wir feiern das Jubiläum sehr niederschwellig und machen zu den besagten Themen vier Soirées. Die Kundschaft merkt von den Feierlichkeiten also wenig – abgesehen vielleicht von der Voiture, die im September auch abends, statt nur mittags, im Restaurant unterwegs sein wird.

Was ist auf der Voiture? 

Unser schon 66-jähriger «Voiturier» Elio Frapolli wird auf dem traditionellen Gefährt vor den Gästen einen Kalbsbraten tranchieren. Als «bourgeoise» Beilagen gibt’s Kartoffelstock, Silberzwiebeln, Speck, Champignon, braune Sauce und pochierte Apfelschnitze.

 

Avocado Kronenhalle Zürich

Seit vielen Jahren schon beliebte Vorspeise in der Kronenhalle: Avocado mit Vinaigrette.

Brasserie Kronenhalle Zürich

Dinieren unter grosser Kunst: Mirò in der sogenannten Brasserie.

Gustav Zumsteg, Kronenhalle Zürich

Hat die Kronenhalle geprägt: Gustav Zumsteg, der Sohn von Hulda Zumsteg.

Die Anfänge der Kronenhalle liegen teilweise im Dunkeln. Was wird genau gefeiert? 

Am 5. September 1924 hat das Ehepaar Gottlieb und Hulda Zumsteg den Kaufvertrages für die Liegenschaft an der Rämistrasse 4 in Zürich unterschrieben. Wir gehen davon aus, dass sie das Restaurant zuvor schon ungefähr zwei Jahre lang gepachtet hatten. 

Das Restaurant gilt als Ort, an dem die Zeit stehen bleibt.  

Die Kronenhalle ist ein Traditionsbetrieb. In den Stiftungsstatuten ist dies, auch was die Küche angeht, sehr detailliert festgeschrieben. Trotzdem wollte Gustav Zumsteg ebenso, dass sich die Kronenhalle bewegt und den wandelnden Bedürfnissen der Gäste entsprechen soll. Darum sind inzwischen auch vegetarische Gerichte, etwa ein «Zürcher Geschnetzeltes» mit Planted Chicken, auf der Karte. 

Wer aus der Kronenhalle-Kundschaft bestellt das? 

Wir haben lokale und internationale Gäste - und rund 80 Prozent davon bestellen eher die traditionellen Klassiker aus der Karte. Bei Geschäftsessen oder Familienfeiern aber kommen viele unterschiedliche Leute am Tisch zusammen. Auch wer kein Fleisch isst, soll zufrieden nach Hause gehen – für diese ist das Angebot. 

Weitere grosse Änderungen seit 1924? 

Die Küche wurde 2015 rundum erneuert und beliefert seit dort auch den zweiten Stock, wo früher auch gekocht wurde. Und wir haben das Angebot an offen ausgeschenkten Weinen vergrössert. Aber sonst? Die Koch- und Servicetechniken sind seit vielen Jahren gleich, unsere Stammgäste wollen keine Änderungen. Auch wenn sie teilweise nur einmal im Jahr kommen, freuen sie sich, wenn der Crevettencocktail noch ganz genau so schmeckt wie beim vorletzten Mal. 

 

Kronenhalle, Voiture

Gibt es in der Kronenhalle noch: Fleisch von der Voiture.

Rezeptbuch Kronenhalle Bar

Tradition auch in der Bar: Drinks wurden im Rezeptbuch aufgeschrieben.

Die Kunst an den Wänden ist eine der Säulen des Erfolgs. Zahlen Sie horrende Versicherungsprämien dafür?  

Viele Leute glauben ja, hier hätten alle diese Maler ihr Mittagessen mit Bildern bezahlt. So war das nicht. Gustav Zumsteg hatte seine Leidenschaften, darunter Textilien und Kunst. Und verkehrte in den entsprechenden Kreisen in Paris. Er hat diese Bilder gekauft und sie hier aufgehängt. Zu Ihrer Frage: Klar, die Versicherungsprämien passen sich dem Wert der Bilder an. 

Die Kleiderregeln sind bei Ihnen ja sehr streng. 

Die Kronenhalle erhält viel Lob dafür, eine Kleiderordnung zu haben. Das zeigen uns die überwiegend positiven Reaktionen. «Business Casual» am Mittag und «Smart Elegant» am Abend gibt den Rahmen vor, bietet aber durchaus Interpretationsspielraum. Ein No-Go sind Flipflops, Trainerhosen oder Hoodies. Sehen Sie, unsere Atmosphäre basiert im Wesentlichen auf vier Säulen: auf der Küche, dem Service, der Kunst und eben nicht zuletzt auf den Gästen. 

Die Gastordnung kennt weitere Regeln. Akzeptieren alle, dass Rauchpausen maximal 15 Minuten dauern dürfen? 

Ja, denn dahinter steht unser Ziel, allen Gästen einen guten Service zu bieten. Die Qualität der frisch zubereiteten Speisen leidet, wenn der Service warten muss. Das wollen wir vermeiden. 

 

 

Peter Schärer, Küchenchef Kronenhalle Zürich

Seit über 30 Jahren hier: Peter Schärer, Küchenchef in der «Kronenhalle», Zürich.

Chef de Bar Christian Heiss, Kronenhalle Bar Zürich

Hatte nur zwei Vorgänger: der aktuelle Chef de Bar Christian Heiss.

Service Chagall Saal Kronenhalle Zürich

Manche Serviceangestellte bleiben viele Jahre in der Kronenhalle tätig.

Auch Hunde über 60 Zentimetern haben keinen Zutritt. 

Wenn der Hund zu einer Familienfeier dazugehört und unter dem Tisch Platz hat, dürfen Sie ihn natürlich mitnehmen.  

Es geht doch bei all diesen Regeln einzig um die gute Kinderstube. 

Manchmal ist es halt einfacher, etwas durchzusetzen, wenn man es irgendwo klar formuliert hat. Aber wir sehen unsere Aufgabe sicher nicht darin, unsere Gäste zu erziehen. Sie sollen sich vor allem wohlfühlen.  

Auch Handys und Fotos sind tabu.  

Niemand greift ein, wenn Sie Ihr Zürcher Geschnetzeltes mit dem Smartphone fotografieren möchten. Sobald es aber um die Bilder an den Wänden geht, wird die Sache komplexer. Erstens soll der Gast, der davorsitzt, nicht gestört werden. Zweitens gibt es Bildrechte auf diesen Gemälden, und die gilt es zu schützen. 

Also keine Angst vor Foodbloggern und Influencern? 

Keineswegs, wir haben ja sogar unsere eigenen Instagram- und Facebook-Accounts. Wir sagen auch nicht grundsätzlich nein, wenn jemand über uns berichten möchte. 

Für Kronenhalle-Neulinge: Erklären Sie doch kurz die Unterschiede zwischen den drei Sälen. Wer sollte wo reservieren? 

Am beliebtesten ist wahrscheinlich unsere «grosse Gaststube», also die Brasserie. Sie hat die höchste Decke und ist geschmückt mit Kronleuchtern, den Zunftwappen und den berühmtesten Bildern des Lokals von Miró oder Braque. Nicht zu vergessen: das Varlin-Portrait von Hulda. Es ist aber auch der lauteste und lebendigste Raum im Haus. Der Chagall-Saal, ebenfalls im Erdgeschoss, ist wesentlich ruhiger, dort hängen Chagall- und Bonnard-Gemälde sowie Skizzen von Rodin. Wer es diskret mag, geht in den ersten Stock in die Schweizer Galerie mit Giacometti und Hodler, dort gibt es am Boden sogar einen Teppich, der die Gespräche schluckt. Ich pflege zu sagen, dass dort die wirklich wichtigen Gespräche stattfinden. 

 

Hulda Zumstag als Bild Kronenhalle Zürich

In Öl verewigt (in der Mitte) wacht noch immer Hulda Zumsteg über die Brasserie.

Und was sollte ich bei Ihnen unbedingt bestellen? 

Ich empfehle unser Entrecôte «Café de Paris»! Das Fleisch stammt vom Rind aus den Schwyzer Voralpen und ist sehr lange abgehangen. Ich persönlich mag das noch lieber als ein Rindsfilet. Natürlich muss ich das geschnetzelte Kalbsfilet «Kronenhalle» mit Rösti an dieser Stelle nennen. 

Vom «Züri-Geschnetzelten» servieren Sie 22000 Portionen jährlich! Was machen Sie besser als die Konkurrenz? 

Es wird in zwei Services serviert. Und wir verwenden wie gesagt Filet. Kommt hinzu, dass wir die Champignons nicht in Scheiben schneiden, sondern püriert in die sämige Sauce einarbeiten. Das schmeckt man! 

Nicht alle stets erhältlichen Gerichte stehen auf dem Menü. Mag das die Küche, wenn ich Tatar oder Gurkensalat bestelle, obwohl sie nicht in der Karte sind? 

Uns geht es darum, dass das Angebot nicht überladen wirkt - aber der Service hilft gerne weiter, wenn sie andere Wünsche haben. Für unsere Brigade stellt das kein Problem dar, sie ist sehr gut eingespielt. Nicht umsonst ist unser Küchenchef seit mehr als 30 Jahren hier, unsere drei Sous-Chefs seit 22, 24 und fast 40 Jahren. 

Auch in der Bar, eröffnet 1965, waren bisher nur drei legendäre Chefs de Bar tätig - Paul Nüesch, Peter Roth und jetzt Christian Heiss. Für das heutige Gastgewerbe fast unglaublich. Zahlen Sie einen 15. Monatslohn? 

(Lacht.) Nein, aber ich glaube, dass die Zusammenarbeit untereinander wesentlich ist. Die Teams – sei es in der Küche, im Service oder in der Bar – sind eingeschweisste Gemeinschaften. Viele unserer Mitarbeiter können sich mit dem Betrieb identifizieren. Und die tolle Stammkundschaft tut wohl auch das ihrige dazu - das ist gegenseitige Wertschätzung. 

 

>> Dominique Godat (65) ist Direktor der «Kronenhalle» Zürich. Zuvor führte er mit grossem Erfolg elf Jahre lang das «Kulm Hotel» in St. Moritz und sechs Jahre die Hotel-Ikone «The Metropol» in Moskau. Dort zeichnete ihn GaultMillau 2020 als «Schweizer Star im Ausland» aus.

 

>> Am Freitag, 5. April 2024 startet auf SRF1 die DOK-Serie «Inside Kronenhalle – Luxus und Tradition im Kultrestaurant», 21 Uhr.

 

Fotos: HO