Text: Stephan Thomas | Fotos: Nik Hunger
Antonietta & ihr Lebenstraum. Was für eine Geschichte! Mit 60 verliert Antonietta Buoncore ihren Job. Aber statt Trübsal zu blasen, erfüllt sie sich ihren langjährigen Traum. Eröffnet in der Churer Altstadt eine italienische Spezialitätenbäckerei samt Bistro - schliesslich hat sie ein Leben lang mit Leidenschaft gekocht und gebacken. Den letzten Schliff holt sie sich in ein paar Ausbildungswochen in Sizilien, der Hochburg der italienischen Süssigkeiten. Zu Beginn ist ihr Kredit mässig. An der Eröffnungsfeier sagt ein Gast zu Antonietta ganz unverblümt: «Ich habe Dir kein Geschenk mitgebracht. In sechs Monaten schliesst du ohnehin wieder.» Unterdessen gibt es das «Da Mamma» schon zehn Jahre.
La Famiglia hilft mit. Möglich gemacht haben das Sohn Giulio und Tochter Emanuela, besonders bei der Finanzierung. Emanuela sorgt als PR-Fachfrau für einen professionellen Werbeauftritt. «Ich habe schon bei Hugo Boss und Dolce&Gabbana gearbeitet. Aber nie mit der Begeisterung, mit der ich meiner Mamma helfe.» Ihre Mutter charakterisiert sie als Perfektionistin mit riesigem Leistungswillen. Sie witzelt: «Meine Mutter hat drei Kinder: Meinen Bruder, mich und das Geschäft. Das letztere ist ihr das liebste». Für «Da Mamma» gibt Antonietta alles. «Wir waren schon zusammen in Kanada in den Ferien. Da hat sie in Toronto im Restaurant die Reservationen fürs 'Da Mamma' bearbeitet.» Hilfe erhält Antonietta von den beiden jungen Frauen Asmaa und Maria. Asmaa ist gelernte Konditorin. Sie ist nicht weniger perfektionistisch als Antonietta.
«Unsere Panettone adoptiert man.» Das Flaggschiff im Angebot ist der Panettone, der natürlich besonders zur Advents- und Weihnachtszeit boomt. Durch ihn und seine fantastische Qualität sind wir auf «Da Mamma» aufmerksam geworden. Das Geheimnis dahinter: Beste Zutaten, Mehl, Eier und Butter aus der Region, Pistazien aus Bronte, Schokolade aus Modica. Und eine gehörige Portion Amore.» Auch für Emanuela ist der Panettone mehr als eine Süssigkeit, fast ein Lebewesen. «Unsere Panettone kauft man nicht. Man adoptiert sie.»
Nicht ohne meine Vespa. Antonietta ist eine Italienerin, wie sie im Buche steht. Natürlich geht sie jeden Sonntag zur Messe. Nicht selten haben sich bei Mamma Churer Bischöfe verköstigt - einer hat ihr hinter vorgehaltener Hand gestanden, bei ihr esse man besser als bei ihm im Seminar. Und was wäre eine Italienerin ohne eine Vespa? Ein Prachtsexemplar steht auf der geräumigen Terrasse. Gerne lässt sich Antonietta darauf ablichten. «Ich bin geboren worden, als 'Roman Holiday' mit Audrey Hepburn und Gregory Peck gedreht wurde - der Film, der die Vespa zum Kultobjekt gemacht hat.»
Erfolgsgeschichte in Chur. Und im Web. Antonietta hat klein angefangen. Mittlerweilen produziert sie jährlich 5000 Panettone, bis zu 300 am Tag. Erwerben kann man sie nicht nur in Chur, sondern auch über den Web-Shop. «Wir verkaufen viel in Zürich und im Welschland. Dort gibt es nämlich nur wenige Bäckereien, die den Panettone auf artigianale-Level produzieren.» Das könnte man mit Handwerk, ja Kunsthandwerk übersetzen. Ganze 72 Stunden dauert es, bis der Teig zum Panettone geworden ist. Nach dem Backen spiesst man die Panettone behutsam auf und lässt sie kopfüber abhängen - damit sich die Feuchtigkeit gut verteilt und die dekorative Wölbung des Kopfs erhalten bleibt. Kein Wunder, steigt die Nachfrage weiterhin rasant an. Emanuela nimmt es gelassen: «Wenn das so weitergeht, eröffnen wir unserer Mamma zum Achtzigsten eine Fabrik.»