Text: Kathia Baltisberger | Fotos: Olivia Pulver & Pascal Grob I Illustration Christian Schulz
Es weht ein frischer Wind durch Zürich. Er saust vom Landesmuseum durch die Zollstrasse, unter der Langstrassen-Unterführung hindurch und bläst via Europaallee zurück zum Hauptbahnhof. Links und rechts beziehungsweise nördlich und südlich der Gleise entwickeln sich zwei gastroaffine Stadtviertel. Manch ein Projekt wurde gross angekündigt, andere sind leise im Windschatten von Covid realisiert worden. An der Zollstrasse sind im Sommer 2021 neue Restaurants und Take-aways entstanden, die Europaallee verliert mehr und mehr ihr nüchtern-exklusives Image und gewinnt an Identität.
Illustration: 1. Spitz 2. Gül Express 3. Frida Mexican Products 4. Stadtkäserei und Restaurant 5. Beat Heuberger 6. Gelateria di Berna 7. Midori Ramen 8. Osso 9. 25hours Hotel / Neni 10. Seri 11. Bean Bank Coffee & Co. 12. Più
Kult-Croissants. Das hat nicht zuletzt mit Menschen zu tun, die Zürich in den vergangenen Jahren mit ihren Konzepten geprägt und sich hier angesiedelt haben. Seri Wada und seine Baguettes, Croissants und Pains au Chocolat sind nicht mehr aus der Stadt wegzudenken. Die Produkte des ehemaligen Bankers haben ihren Preis, doch dahinter stecken Handwerk und Qualität. Seit dem Frühling befindet sich Seris Backstube in der «Bridge» – eine Art Food-Corner mit verschiedenen Take-aways und einer schicken Migros-Filiale. Die Kunden können Seri bei der Arbeit beobachten. «Viele Zürcher wissen noch gar nicht, was es hier alles gibt», sagt Seri über den Standort. Seit Neuestem macht er auch vegane Croissants. «Es war gar nicht so einfach, das richtige Fett zu finden. Und je nach Produkt muss man auch das Verfahren anpassen», erklärt er. Das Resultat überzeugt – man merkt kaum einen Unterschied gegenüber dem Original.
Comeback! Seit Antonio Colaianni (ehemals «Gustav», jetzt «Ornellaia») die Europaallee verlassen hat, ist die Starchef-Dichte etwas ausgedünnt. Doch es gibt Hoffnung: Markus Burkhard (ehemals «Jakob» in Rapperswil) übernimmt mit seiner Partnerin, der Sommelière Flavia Hiestand, das «Kosmos», einen kulturellen Treffpunkt mit Bistro, Kino, Auditorien, Club und Bar an der Europaallee, unmittelbar bei der Langstrasse. Bislang setzte Burkhard auf eine konsequent regionale Küche, kaufte direkt bei den Produzenten ein. Das soll auch am neuen Ort so sein. «Wir wollen erstklassige Rohstoffe. Deshalb müssen wir wissen, woher sie kommen und wie sie produziert werden», sagt Markus Burkhard. Geplant sei aber kein «Jakob 2.0». Man darf also gespannt sein, wie der Chef (bisher 16 GaultMillau-Punkte) den Kosmos der Gäste erweitern wird.
Elif und das «Gül Express». Auch das «Spitz» beim Landesmuseum sollten Gourmets auf ihrer kulinarischen Stadtkarte haben. Das Restaurant mit der grossen Terrasse (über 100 Sitzplätze!) glänzt immer wieder mit ständig wechselnden saisonalen Gerichten aus regionalen Produkten. Vom Küchenchef zum Executive Chef avanciert, scheint Nils Osborn die «Spitz»-Küche mit seinem jungen Team um Küchenchef Raphael Wittwer weiter aufpoliert zu haben. Und auch 15-Punkte-Chefin Elif Oskan («Gül») hat expandiert. Zusammen mit Markus Stöckle und Valentin Diem hat sie das «Gül Express» an der Zollstrasse eröffnet. Eine Bäckerei mit Pides (Favorit: Black Sea mit Trauben und Broccoli), Börek, Lahmacun Dürüm und Baklava.
Vegane Ramen. Gewisse Dinge sind zurzeit besonders in: Pizza, Tacos und Ramen. Und alles bekommt man rund um die Gleise. Die beste Pizza gibts im «Più». Das Restaurant von Bindella gehört schon fast zum alten Eisen an der Europaallee. Angesiedelt in der ehemaligen Sihlpost, erinnern heute noch die antiken Telefone an der Wand an die einstige Poststelle. Die neapoletanische Pizza hat einen luftig-dicken Rand, obendrauf kommen Datteltomaten, Büffelmozzarella und Basilikumpesto. Und: Es gibt auch vegane Pizze. Ebenfalls vegan sind die Gerichte bei «Midori Ramen» im Kreis 5. Als Suppenbasis dient eine täglich frisch gekochte Brühe aus Kombu und Shiitake. Hat der Pilz den Grossteil seines Geschmacks an das Wasser im Topf abgegeben, kommt er als vegane Hackfleisch-Alternative, kombiniert mit Soja, zum Einsatz. Dazu kommen Ramen-Nudeln. Die Tacos holt man sich am besten bei Frida Mexican Products. Das mexikanische Delikatessengeschäft in der Nähe des Busbahnhofs serviert mittags Maistortillas gefüllt mit Rindfleisch, Schweinefleisch oder Portobello-Pilzen.
Hotspot Zollhaus. An der Ecke Zollstrasse/Langstrasse ist während Covid ein ganz neuer Mikrokosmos entstanden: das Zollhaus. Ein Ort zum Wohnen, Essen und Sein. Das Restaurant «Osso» ist im Sommer mit einem vielversprechenden Konzept gestartet. Dahinter stehen die Macher von «Rosso» und «Bar Basso». «Wir verkaufen Vegiteller. Das Fleisch ist Beilage», sagt Mitbesitzerin Franziska Kempf. Das bedeutet nicht, dass man den tierischen Produkten weniger Aufmerksamkeit schenkt. Im Gegenteil. Das Team sucht sich ganze Tiere von Höfen in der Region aus und lässt die Viertel sichtbar für die Gäste im Restaurant abhängen. Am besten bestellt man die Gerichte als Tavolata zum Teilen, ergänzt Gerstenrisotto und Spinatknödel durch Rindshuftdeckel oder Rinderherz.
Grapefruit-Pfeffer-Glace. Wer am Zollhaus vorbeischlendert, hat die Qual der Wahl: Glace oder Tartes? Am besten beides. Bei «La Tarterie» kann man sich mit diversen Sorten Mürbeteigkuchen eindecken. Die Produkte stammen von verschiedenen Bio-Höfen. Dazu trinkt man einen Cidre oder einen Crémant d’Alsace. Gleich daneben hat die «Gelateria di Berna» eine weitere Filiale eröffnet. Die Kultglace aus Bern verursacht regelmässig meterlange Menschenschlangen. Neben Erdbeer und Schoggi gibts immer wieder saisonale Kreationen und weniger alltägliche Sorten wie Grapefruit-Pfeffer oder Ananas-Basilikum.
Kaffeekultur. Den perfekten Kaffee bestellt man ebenfalls im Zollhaus, bei «ViCafé». Das Kaffeeunternehmen mit Rösterei in Altstetten hat sich in den vergangenen Jahren zu einer der beliebtesten Anlaufstellen für Koffein entwickelt und breitet sich in der Stadt aus. In der Europaallee gibts auch eine Filiale – direkt vis-à-vis von Seri Wada. Die Kaffeekultur und die Vielfalt in Zürich haben sich ohnehin stark entwickelt. Für einen Coffee to go empfiehlt sich auch «Bean Bank». Nikos und Dimi Chalimourdas, zwei Brüder aus Griechenland, führen das Geschäft. Sie setzen auf Kaffee von ausgewählten Mikroröstereien und servieren neben Espresso und Flat White auch Filterkaffee. «Filterkaffee erfreut sich immer grösserer Beliebtheit bei unseren Stammkunden. Aber es braucht auch etwas Zeit», erklärt Nikos, wiegt den Kaffee ab und giesst mehrmals heisses Wasser drüber. Der Kaffee ist lieblich, ganz ohne Bitternoten.
Nachhaltig ist das neue Normal. Sowohl in der Europaallee als auch an der Zollstrasse ist alles auf Nachhaltigkeit getrimmt. Bio-Läden reihen sich an Fairtrade-Kleidergeschäfte. Im Unverpacktladen «Chez Mamie» bringt man eigene Stoffsäckli und Glasbehälter mit. Beat Heuberger ist vor zwei Jahren mit seinem Gewürz-Schlaraffenland vom Hallwylplatz an die Zollstrasse umgesiedelt. Hier gibts eine unglaubliche Vielfalt an Kräutern und Gewürzen aus aller Welt, aber auch sehr viel Regionales. Ein Spaziergang entlang der Gleise beweist: Slow Food und Slow Fashion sind Trendbegriffe, die immer mehr zur Normalität werden.