Text: Daniel Böniger I Fotos: Olivia Pulver
Omnipräsentes Aroma. Erst bemerkt man ihn kaum, diesen speziellen Duft, der überall in der Luft hängt. Irgendwie pilzig und süss riecht es. Und es hat sogar was von Waschküche, einfach ohne das Seifige…«Das ist der Koji», erklärt Oliver Weibel. «Für uns im Westen ist es in der Regel kein Aroma, das wir abgespeichert haben. Aber in Japan erkennt es jeder.» In den Räumen von Yamasake ist besagter Geschmack, der nach dem Besuch in der Sake-Manufaktur noch lange in den Kleidern hängen bleibt, omnipräsent. Denn ohne den «Wunderpilz», wie Weibel ihn zu nennen pflegt, gäbe es keinen Sake. Seit mittlerweile vier Jahren stellt er das Getränk zusammen mit seinem Bruder hier im Knonaueramt, fast besser bekannt als Säuliamt, her. Grosses Bild oben: Christian und Oliver Weibel sitzen auf Reissäcken in ihrer Manufaktur.
Erste Abfüllungen stiessen auf zweierlei Echo. «Schon als Teenager begeisterten wir uns für japanische Küche», sagt Christian Weibel. «Damals tranken wir noch nicht mal Alkohol.» Und als sie älter wurden, wurde Bier das Getränk ihrer Wahl zu Sushi, Sashimi und Co. Erst 2004 stiessen sie erstmals auf Sake - es sollte aber noch mehrere Jahre dauern, bis ihnen die Idee kam, es selber herzustellen. Der Weg dahin erwies sich allerdings als beschwerlich: «Wir konnten niemanden um Rat fragen, mehrmals mussten wir ganze Chargen wegkippen.» 2019 schliesslich gelang ein erster Sake, «den wir selber gerne tranken». Ein Jahr später fanden sie besagte Location im Knonaueramt - und präsentieren ihr Eigengebräu an einem Sushi-Festival Zürich. Beim breiten Publikum sei es angekommen - die kritischen Experten allerdings machten eine störende Bitternote ausfindig.
Erst letzten Herbst kam der Durchbruch. Trotzdem gingen Christian und Oliver ihren Weg konsequent weiter: «Zwei Dinge haben uns motiviert», sagen sie. «Diejenigen, die meinten, ihr schafft das. Aber ebenso diejenigen, die der Überzeugung waren, das schafft ihr keinesfalls.» Letzten Herbst wurden sie schliesslich endlich für ihre Mühe belohnt: Am internationalen Sake Challenge in Luxemburg bekamen sie für den «Kyōdai Sake» eine der raren Platinmedaillen - die Höchstwertung, die sonst ausschliesslich an japanische Produzenten ging.
Reis aus näheren Gefilden? Was ist schweizerisch an ihrem Sake? Verwendet werden von den Geschwistern bewusst typische Weinflaschen: «Nicht jeder Japaner würde bei diesen Behältnissen gleich an Sake denken.» Entscheidend sei das hiesige Leitungswasser, das eigentlich zu hart für die Sake-Produktion sei. Den Reis, bis zu 70 Prozent geschliffen, beziehen sie aus Japan oder den USA. «Versuche mit Speisereis aus näheren Gebieten waren bisher wenig ergiebig, die Sache ist aber noch nicht vom Tisch», verraten sie. Entscheidend für eine gute Sake-Qualität sei neben den gewählten Temperaturen und Gärzeiten zu allererst besagter Koji-Pilz, mit welchem der Reis geimpft wird. Dieser extrahiert die Stärke und macht sie so der Hefe für die Umwandlung in Alkohol zugänglich. Der Koji sorgt nicht zuletzt für Süsse im Sake. Den «Wunderpilz» bestelle man in Japan, so die Weibels. Um beste Qualität zu bekommen, seien sie Mitglied bei der Japanese Sake Brewing Society geworden.
Glace aus Sake-Kasu. Dass Oliver gleich in der Nähe wohnt, ist beim mehrwöchigen Brauvorgang matchentscheidend. Mit seinem Smartphone überwacht er mehrmals täglich die Temperaturen im Wärmeschrank (eine Art Sauna für Reis und Pilz) und in den Gärtanks - zuletzt kurz vor dem Schlafengehen: «Ich musste auch schon mitten in der Nacht noch vorbeikommen, weil die Sache aus dem Ruder lief.» Christian ist meist mittwochs in der Manufaktur, dann gilt es die arbeitsintensiven Schritte anzupacken, zum Beispiel das Auspressen des Reises, zurzeit das Nadelöhr des Prozesses: «Es dauert anderthalb Tage bis 60 Liter gepresst sind - Ziel wäre es, auf einen monatlichen Ausstoss von rund 1000 Litern zu kommen.» Übrigens wird auch der ausgepresste Reis verkauft, Sake-Kasu genannt. In der Schweiz wohnhafte Japaner seien auf sie zugekommen, weil sie das Produkt als gesunde Zutat fürs morgendliche Müsli oder als Hautpflegeprodukt schätzten. «Und Köche wie Thomas Huber von der Krone Sihlbrugg verwenden es inzwischen als Basis fürs Glace.»
Sakebrauen ist Familiensache. Hat die Sakeproduktion die zwei Brüder zusammengeschweisst? Erst sind sie überrascht über die Frage - und finden dann doch, dass es ihre Beziehung beeinflusst hat: «Als ich Vater wurde», sagt Christian, «hatten wir uns etwas aus den Augen verloren. Das Sakebrauen hat uns wieder angenähert.» Nicht zuletzt habe die familiäre Bande gewisse Vorteile: «Wenn es mal tätscht, und zwar richtig, dann schauen wir zumindest, dass sich keiner endgültig aus dem Staub macht.» Es sei wohl kein Zufall, finden beide, dass auch in Japan die Herstellung von Sake meist Familiensache ist.