Text: Kathia Baltisberger Fotos: David Birri

Frauengeschichten. Wenn man an Zermatt denkt, denkt man an das Matterhorn, an die Touristen und an die hervorragende Gastronomie. An Frauenpower vielleicht weniger. Doch genau das müsste man. Denn der Bergort bringt immer wieder Geschichten starker Frauen hervor. Zum Beispiel die von Lucy Walker, die 1871 als erste Frau das Matterhorn erklomm. Damals hatte die Britin mit allerlei – nicht zuletzt männlichem – Widerstand zu kämpfen. Doch auch heute schreiben Zermatter Frauen ihre ganz eigenen Geschichten.

(Grosses Bild oben v.l.: Marion Mennig, Heidi Schwery, Vrony Cotting-Julen)

Vrony Cotting-Julen - die Einheimische

Sie ist wohl eine der bekanntesten Zermatterinnen überhaupt: Vrony Cotting-Julen, 59. Ihr Bergrestaurant «Chez Vrony» kennt man nicht nur im Wallis, sondern auch in der Üsserschwiiz bestens. Als «Promi» fühle sie sich aber weiss Gott nicht! «Viele fragen mich: ‹Bist du die bekannte Vrony?› Aber prominent bin ich nicht. Das ist auch nicht relevant für meinen Alltag. Ich bin jeden Tag hier und gebe mein Bestes», sagt sie.

 

Das «Chez Vrony» war einst ein Bauernhaus, die Grosseltern führten hier ein hartes Leben. «Ich frage mich ab und zu, was mein Grossvater sagen würde, wenn er sähe, wie es heute hier aussieht.» Schon Vronys Vater machte aus dem Bauernhaus ein Selbstbedienungsrestaurant. Als Vrony 21 Jahre alt war und nicht recht wusste, was machen, fing sie an zu servieren – und blieb bis heute. «Damals hatte ich oben ein Stübli, wo ich die Gäste bediente. Viele sagten dann, sie wollen hoch zum Vrony. So ist der Name Chez Vrony entstanden.» 

Chez Vrony Zermatt

Vrony und Max haben mit dem «Chez Vrony» ein echtes Bijou geschaffen.

Die Küche im «Chez Vrony» ist klassisch und überraschend zugleich. Aber egal ob Burger oder frische Pasta: Die Zutaten sind frisch und regional, der Ziger stammt sogar von den eigenen Kühen. Verantwortlich für die Küche ist Diogo Monteiro. Doch Vrony und ihr Mann Max haben grossen Einfluss auf die Karte. «Es gibt keinen Teller, mit dem wir nicht einverstanden sind», sagt Vrony. Mit Kontrolle oder mangelndem Vertrauen hat das aber gar nichts zu tun. «Unser Credo ist einfach, dass wir servieren, was uns am Herzen liegt und dass wir authentisch sind.» 

Heidi Schwery - die Ausgeglichene

Nur ein paar Hundert Meter entfernt befindet sich der «Findlerhof». Es ist das Reich von Heidi Schwery, 64. Sie führt das Restaurant zusammen mit ihrem Mann Franz, in der Küche steht mittlerweile ihr Sohn Francis. Heidi ist im Gegensatz zu Vrony eine «Auswärtige». Sie ist in Brunnen SZ aufgewachsen und kam mit 20 Jahren nach Zermatt – wegen der Liebe. «Ich habe mich hier immer sehr wohl und akzeptiert gefühlt. Aber ich hatte auch einen Mann von hier, der Bergführer und Skilehrer ist.» Franz und Heidi waren vor dem «Findlerhof» 13 Jahre auf der Hörnlihütte. «Dort waren die Menschen immer froh, wenn sich jemand so gut um sie gekümmert hat. Wenn jemand einen guten Job macht, dann spielt es den Zermattern keine Rolle, woher jemand kommt.»


 

Findlerhof Zermatt

Franz und Heidi Schwery mit ihrem Sohn Francis.

Job und Kinder? Kein einfaches Thema, auch für die zweifache Mutter. Doch für Heidi Schwery war schon früh klar, dass beides gehen muss. «Wir hatten immer Kindermädchen. Krippen gab es damals ja noch nicht.» Dass die Kinder im Betrieb herumschwirren, das wollte Heidi nicht. «Ich kann nicht arbeiten und gleichzeitig auf die Kinder aufpassen.» Da sie immer in einem Tagesbetrieb arbeitete, war Heidi abends immer zu Hause. «Deshalb hatte ich auch nie ein schlechtes Gewissen gegenüber meinen Kindern. Und als Frau ist man einfach ausgeglichener, wenn man arbeitet.» Heute gibt es im «Findlerhof» einige Mütter mit kleinen Kindern die Teilzeit arbeiten. Dass das möglich ist im Betrieb, ist Heidi ein grosses Anliegen.

Marion Mennig - die Neue

Max und Greti Mennig aus dem «Zum See» sind eine feste Institution in Zermatt. Jeder kennt sie, jeder liebt sie. Doch nach 35 Jahren steht in der Familie Mennig die Stabübergabe an. Max und Greti wollen den Betrieb Sohn Markus und dessen Frau Marion übergeben. Marion ist also «die Neue». So neu zwar auch wieder nicht, schliesslich lebt die Baslerin schon seit ein paar Jahren im Bergdorf. Und fühlt sich hier wohl. Das überrascht, wenn man bedenkt, dass Marion einst als Assistentin von Alain Ducasse gearbeitet hat. «Markus und ich lebten längere Zeit in New York und ich war dort für Ducasses Restaurants zuständig», erzählt die 42-Jährige. Vom Big Apple in die Walliser Alpen – das ist eine Umstellung. «Ja, aber der Wechsel war super. Zermatt ist so international. Ich kann jeden Tag die unterschiedlichsten Sprachen sprechen.»

Reportage im Bergrestaurant Zum See in Zermatt, bei der Familie Greti und Max Mennig und ihrem Sohn Markus und seiner Frau Marion. Bild Remo Naegeli

Egal, ob alte oder neue Generation: Die Crèmeschnitte bleibt! Markus, Marion, Greti & Max Mennig (v.l.).

Doch jetzt steht wieder ein Umbruch an. Eine jüngere Generation übernimmt das «Zum See». «Die Fussstapfen, in die ich trete, sind riesig. Greti hat so eine grosse Menschenkenntnis, so viel Geduld und Erfahrung. Davor habe ich grössten Respekt.» Für Greti ist das alles nicht so einfach. Das Restaurant ist ihr Leben. Aber einfach vom einen auf den anderen Tag weg ist sie ja nicht. «Wenn wir Max und Greti brauchen, dann sind sie da. In der Hochsaison sogar jeden Tag.» Auch die Gäste finden es traurig, dass Max und Greti kürzertreten. «Viele fragen uns, ob jetzt das Leberli-Rezept auch ändert. Aber wir ändern nichts, wir lassen alles so wie es ist. Auch die Leberli bleiben auf der Karte – das gäbe sonst einen Aufstand.»

 

www.chezvrony.ch

www.findlerhof.ch

www.zumsee.ch