Fotos: Kurt Reichenbach

BLOSS KEINE WEISSEN WÄNDE! Die farbenfrohe Wohnung von Michael und Samantha Steiner in Zürich-Hottingen gleicht einem Kuriositätenkabinett. Überall stehen und hängen Erinnerungsstücke. Hier ein von Andy Warhol bemaltes Skateboard, dort ein Türstopper in Form einer Echse. «Leere weisse Wände kann ich nicht ausstehen», sagt der Regisseur («Wolkenbruch», «Grounding», «Mein Name ist Eugen») und rückt seine rosa getönte Brille zurecht. Steiners Lieblingsplatz in seinem Zuhause ist der Küchentisch, neben dem ein Poster der Zürcher John-Waters-Ausstellung aus dem Jahr 2015 hängt. «Wenn wir Freunde einladen, beginnt der Abend eigentlich immer hier.» Bei unserem Besuch dient der Küchentisch als Arbeitsfläche, ist bedeckt mit Tomaten, Chilis, Zwiebeln, Tortillas und getrockneten Hibiskusblüten, aus denen die Hausherrin Agua de Jamaica herstellt, ein erfrischendes, säuerliches Getränk. Zu essen gibt es Huevos Rancheros, einen mexikanischen Frühstücksklassiker, bestehend aus Spiegeleiern an pikanter Tomaten-Chili-Salsa und frittierten Tortillas. «Michaels Spezialität ist eigentlich Hackbraten, aber auch als mexikanischer Koch wird er immer besser», sagt Samantha, die als Fünfjährige aus Mexiko in die Schweiz kam und im Zürcher Kreis 4 den Take-away «La Isla Bonita» betreibt.

Samantha Steiner betreibt im Zürcher Kreis 4 den mexikanischen Take-away «La Isla Bonita».

Samantha Steiner betreibt im Zürcher Kreis 4 den mexikanischen Take-away «La Isla Bonita».

Der Küchentisch ist der Lieblingsplatz der Steiners. Er dient auch als Arbeitsfläche.

Der Küchentisch ist der Lieblingsplatz der Steiners. Er dient auch als Arbeitsfläche.

Viel Hitze kein Fett: So verleiht Michael Steiner dem Gemüse den mexikanischen Touch.

Viel Hitze kein Fett: So verleiht Michael Steiner dem Gemüse den mexikanischen Touch.

Michael Steiner, wie viele GaultMillau-Punkte würden Sie sich für Ihre Kochkünste geben?

Für eine GaultMillau-Haube muss ich noch ein wenig üben. Aber es gibt ein paar Dinge, die ich sehr gut hinbekomme. Neben dem Hackbraten, den Samantha erwähnt hat, auch die Salsa für die Huevos Rancheros. Man muss die Tomaten und die Chilis ohne Fett so stark anrösten, dass sie aussen schwarz werden, dann schmeckt es wie in Mexiko. Backen kann ich dagegen überhaupt nicht. Als Regisseur bin ich neugierig und möchte immer alles unter Kontrolle haben, des-
halb öffne ich die Backofentür viel zu oft.

Wie wichtig ist gutes Essen am Set für einen gelungenen Film?

Sehr wichtig! Aber nicht für mich selbst, sondern wegen der Filmtechniker, die viel Energie brauchen. Ausserdem trägt gutes Essen entscheidend zu einer entspannten Stimmung bei, das ist wie früher im Klassenlager. Ich bekomme jeweils ein Spezialmenü, weil ich mich im Gegensatz zu Cast und Crew praktisch nicht bewege und fast nur in meinem Stuhl sitze. Alle auf dem Set wissen: Der Steiner isst während der Dreharbeiten nur Fleisch, Fisch und Salat, sonst wäre er 15 Kilo schwerer, wenn der Film fertig ist.

Samantha, wie oft sehen Sie Michael, wenn er einen Film dreht?

Wenn es mein Terminkalender erlaubt, besuche ich ihn regelmässig auf dem Set – obwohl er dort merkwürdige Verhaltensmuster entwickelt. Sogar an freien Tagen kann er dann nicht einfach essen, sondern versucht, gleichzeitig noch sieben andere DInge zu machen. Er nennt das Set-Verrohung.

Macht er es auch richtig? Samantha Steiner schaut ihrem Mann beim Kochen zur Sicherheit über die Schulter.

Macht er es auch richtig? Samantha Steiner schaut ihrem Mann beim Kochen zur Sicherheit über die Schulter.

Und wo gab es das beste Film-Catering?

Ganz klar in Indien! 2020 drehte Michael im Bundesstaat Rajasthan einen grossen Teil seines Films «Und morgen seid ihr tot». Es gab jeden Tag ein riesiges, unheimlich abwechslungsreiches Büffet. Das Catering-Team stellte mitten im Nirgendwo seine Zelte auf; man hatte das Gefühl, an einer Hochzeit zu Gast zu sein.

War Indien auch für Sie ein kulinarisches Highlight, Michael?

Absolut! Ich erinnere mich vor allem an die verschiedenen Linsencurrys. Es gab gelbes, rotes und schwarzes Dal. Da musste ich mit meiner Kohlenhydratregel brechen. Es ist auch schön, wenn man zwischendurch aus der Set-Routine ausbrechen kann. Bei den Dreharbeiten zu «Die Beschatter» in Basel war ich mit
einem Teil des Casts im «Volkshaus» essen. Ein wunderbarer Ort mit gutem Essen und herzlichem Service.

Kennen Sie Schauspieler, die richtig gut kochen können?

Dardan Sadik, der in «Die Beschatter» mitspielt, kommt aus einer Gastronomenfamilie und hat oft im elterlichen Restaurant mitgeholfen. Er ist in der Küche ebenso talentiert wie vor der Kamera. Die beste Köchin ist für mich aber meine Frau. Die Huitlacoche-Suppe und die Tostada mit geschmortem Rindfleisch in ihrem Take-away sind sensationell!

Und dann lächelt er doch: Michael kokettiert damit, dass Regisseure stets ernst schauen sollten, neben Samantha knickt er aber ein.

Und dann lächelt er doch: Michael kokettiert damit, dass Regisseure stets ernst schauen sollten, neben Samantha knickt er ein.

Und wo haben Sie so gut kochen gelernt, Samantha?

Meine Mutter und meine Verwandten aus Mexiko haben mir einige Tricks beigebracht. Das Wichtigste bei mexikanischem Essen ist aber, dass man den authentischen Geschmack dieser Küche in sich gespeichert hat. Für «La Isla Bonita» koche ich zusammen mit einer Freundin, die auch aus Mexiko stammt. Gemeinsam sind wir am besten. Streng nach Rezept funktionieren unsere Gerichte nicht, weil zum Beispiel die Chilis immer ein wenig anders sind.

Michael schwärmt von Ihrer Huitlacoche-Suppe. Was ist das Geheimnis?

Der einzigartige, Umami-reiche Geschmack von Huitlacoche. Der Pilz, der im Deutschen den wenig appetitlichen Namen «Maisbeulenbrand» trägt, ist eine Delikatesse in Mexiko und bildet grau-schwarze Beulen, die süsslich, nussig und erdig schmecken. Manche bezeichnen Huitlacoche als mexikanischen Trüffel.

Haben Sie auch kulinarische Reisen nach Mexiko unternommen, Michael?

Ich war im letzten Jahr mit Samantha und meinem guten Freund René Schudel zwei Wochen lang unterwegs in Mexico City und im Bundesstaat Oaxaca, der für sein grossartiges Essen bekannt ist. René hat dort eine Folge seiner «Food Stories» gedreht, Samantha und einer ihrer Cousins waren seine Guides.

Der Dampfabzug gleich einer Kunstausstellung. Darauf steht eine Skulptur der Zürcher Künstler Rico & Michael.

Der Dampfabzug gleich einer Kunstausstellung. Darauf steht eine Skulptur der Zürcher Künstler Rico & Michael.

Salsa

Nicht zu scharf, dafür genügend Salz: Das rät Samantha für die Salsa.

Der Kühlschrank der Steiners ist selten voll. Eier und diverse Saucen finden sich darin aber immer.

Der Kühlschrank der Steiners ist selten voll. Eier und diverse Saucen finden sich darin aber immer.

Was ist Ihnen von der Reise besonders in Erinnerung geblieben?

Die skeptischen Blicke der lokalen Frauen, als René eine Salsa verde zubereitete. Die Hälfte der Chilis nahmen sie ihm gleich wieder weg, weil sonst alles viel zu scharf geworden wäre. René hat das aber schliesslich super hingekriegt. Und dann gab es einen kuriosen Markt, auf dem Dschungelfleisch und Skorpione angeboten wurden. Wahnsinn! Unser Fahrer war auch eine Nummer: Er trank so viel Bier und Tequila, dass uns Angst und Bange wurde, erholte sich aber immer wieder rechtzeitig und brachte uns sicher zu allen Stationen der Reise.

Und was hat Sie am meisten beeindruckt, Samantha?

Das Ziegenfleisch, das René zusammen mit viel Gemüse in einem Erdloch geschmort hat. Diese Zubereitungsart nennt man Barbacoa. Die Grube wird mit Ziegeln ausgekleidet, ehe man darin genau abgezählte Holzscheite anfacht. Das Fleisch brutzelt eine Nacht lang in diesem Erdofen vor sich hin. Wir waren morgens um sechs Uhr dabei, als drei Ziegen geschlachtet wurden, das ging mir schon nahe. Umso mehr wusste ich das köstliche Essen zu schätzen. Der Saft von Fleisch und Gemüse lief in einen Topf und ergab eine Art Suppe. Eine bessere Suppe habe ich noch nie zuvor gegessen.

Es ist angerichtet: Huevos Rancheros à la Samantha und Michael mit Spiegeleiern, roter Salsa, Bohnen und Hirtenkäse.

Es ist angerichtet: Huevos Rancheros à la Samantha und Michael mit Spiegeleiern, roter Salsa, Bohnen und Hirtenkäse.

Sind Sie ein Fine-Dining-Fan, Michael?

Ich gehe nicht regelmässig in Gourmetrestaurants, aber wenn, dann geniesse ich es sehr. Ich war zum Beispiel schon bei Stefan Heilemann im «Widder». Was er kocht, hat Raffinesse und Power. Vor allem die Thai-Style-Gerichte haben mich sehr beeindruckt. Vor ein paar Jahren hatte ich das Glück, dass Elif Oskan, Markus Stöckle und Nenad Mlinarevic an einem privaten Geburtstagsdinner bei einer Freundin zu Hause kochten. Markus ist nicht nur ein fantastischer Koch, sondern auch ein Entertainer und Geschichtenerzähler, eine regelrechte Filmfigur. Ausserdem steht im Hotel Five in Zürich ein grossartiger mexikanischer Koch am Herd. Er heisst Orlando Acevedo und macht Samantha und mich mit seinen Gerichten glücklich.

Welche Restaurants stehen ganz oben auf Ihrer Bucket List?

Bei Andreas Caminada auf «Schloss Schauenstein» möchte ich unbedingt einmal essen. Seine Gerichte sprechen mich visuell extrem an. Und ich habe ein paar kulinarikbegeisterte Leute in meinem Freundeskreis, die dermassen vom «Landhaus Bacher» in Mautern an der Donau schwärmen, dass ich auch bald mal dorthin gehen muss.

Samantha deckt den Tisch, Michael schenkt zum Trinken einen hausgemachten Aufguss aus Hibiskusblüten ein.

Samantha deckt den Tisch, Michael schenkt zum Trinken einen hausgemachten Aufguss aus Hibiskusblüten ein.

Würde es Sie reizen, einen Film übers Essen zu drehen?

Der ultimative Film zu diesem Thema ist schon gedreht: Marco Ferreris «Das grosse Fressen» mit Marcello Mastroianni, Ugo Tognazzi, Michel Piccoli, Philippe Noiret und Andréa Ferréol in den Hauptrollen. Formate wie «Chef’s Table» auf Netflix haben mir zu wenig Drive. In Spielfilmen sind die Foodszenen ein Albtraum für mich als Regisseur. Man muss immer darauf achten, dass bei einem neuen Take das Gleiche auf den Tellern liegt. Verplappert sich der Hauptdarsteller nach einem Bissen Schnitzel, muss man ihm ein neues servieren. Das verzögert den Ablauf, und beim Film hat man sowieso nie genug Zeit.