Text: Manuela Enggist Fotos: Kurt Reichenbach

Nest- und Bietschhorn. Die Tür geht auf. Ein Junge stürzt – dicht gefolgt von seinem Bruder – in die Gaststube herein. Er hält ein Flugzeug aus Lego in der linken, einige Servietten in der anderen Hand. Der vierjährige Noé und der eineinhalbjährige Luc sind die Söhne von Esther Bellwald und Laurent Hubert – dem Hotelierpaar vom «Nest und Bietschhorn» – und die heimlichen Stars im elterlichen Betrieb. Die beiden toben durch das Hotel, helfen beim Getränkeauffüllen, verlegen die Kassenbons und bringen mit ihren Spässen die Gäste zum Lachen – genau wie einst ihre Mutter.

Die Gastgeberfamilie in ihrer Gaststube: Hotelière Esther Bellwald und Küchenchef Laurent Hubert.

150-Jahr-Jubiläum. Das Genusshotel Nest- und Bietschhorn, am Dorfeingang von Blatten gelegen, eingebettet zwischen Berner und Walliser Alpen, feiert in diesem Jahr sein 150-Jahr-Jubiläum. 1868 erbaut, um den zu Berge gehenden Engländern und der wachsenden Zahl an Touristen Unterkunft zu bieten, ist es heute das älteste Hotel im Lötschental. Esther Bellwald ist zwei Jahre alt, als ihre Eltern das Hotel übernehmen. Sie wächst im Betrieb auf. Ihren Mann lernt sie vor 21 Jahren am Herd in einer Lausanner Hotelküche kennen: Sie arbeitet am Fleischposten, er ist für den Fisch zuständig. Der gebürtige Franzose und die Walliserin werden ein Paar, arbeiten in renommierten Betrieben, bereisen die Welt und kehren 2011 zu Bellwalds Wurzeln ins Lötschental zurück.

Gut gehütetes Geheimnis: Bei den Renovationsarbeiten kamen jahrhundertealte Holzwände zum Vorschein.

Teamwork im Tal. Während sechs Jahren pachten sie den Betrieb, bevor sie sich für den Kauf entscheiden. «Wir mussten erst herausfinden, ob wir hier eine Zukunft haben. Uns war klar, dass wir viel investieren müssen, um mit einem Traditionsbetrieb wie diesem konkurrenzfähig zu bleiben», sagt Bellwald am späten Nachmittag in der Gaststube, während die Kinder beim Vater in der Küche spielen. Für die ausgebildete Köchin und Absolventin der Hotelfachschule Thun war klar, dass sie zu unüblichen Mitteln greifen müssen. Sie gründen 2011 zusammen mit den Partnerhotels Edelweiss und Breithorn in Blatten die Hotel- und Tourismuskooperation Die Lötschentaler, zu der auch der Campingplatz auf der Fafleralp gehört. Mit gemeinsamen Investitionen und Marketingstrategien wollen die Betriebe die Kosten senken, mehr Gäste ins Lötschental holen und neue Investitionsmöglichkeiten schaffen. «Wir sind eine kleine Tourismusdestination. Alleingänge sind hier schwierig», erklärt die 40-Jährige die enge Zusammenarbeit im Tal. 

Typisch Lötschental: Masken aus Arvenholz, Ziegen- oder Schafspelz baumeln als Anhänger an den Zimmerschlüsseln.

Das Wallis in der Küche. Der gelernte Koch Hubert hat über die Jahre seinen ganz persönlichen Stil entwickelt: Der 46-Jährige vereinigt lokale, frische Produkte aus dem Lötschental mit ein wenig nordfranzösischer Tradition aus seiner Heimat zu aussergewöhnlichen Kreationen, die ankommen. 2018 wurde Hubert mit 15 GaultMillau-Punkten ausgezeichnet. Die Tester notierten:  «Es gibt Wild von der Hochjagd, Milchprodukte von der loklen Käserei, Bio-Lamm und Galloway vom Nachbarbauern, Forellen aus der Lonza und allerlei Selbstgezogenes aus dem Garten.» Auch die konsequente Ausrichtung auf Walliser Weine ist dem dem GaultMillau aufgefallen und mit einem Platz unter den zehn besten regionalen Weinkarten der Schweiz gewürdigt.

Kreation von Laurent Hubert: Rumpsteak-Medaillon Portwein-Jus, Bäckerinnen-Kartoffeln und Gemüse.

Schlemmen in intakter Landschaft. Das Paar ist überzeugt, dass ein kleiner Betrieb auch in einem abgelegenen Tal funktionieren kann. «Gutes Essen und ehrliche Gastronomie kann man überall machen. Wenn man die Gäste überzeugt, nehmen sie auch eine längere Anreise auf sich», so Hubert. Zudem bietet die Ruhe und intakte Landschaft im Tal die richtige Auszeit für jemanden, der sich in familiärer Atmosphäre erholen will. Das ist Bellwald besonders wichtig: «Wir wollen, dass sich unsere Gäste genauso wohlfühlen wie unsere Kinder, die hier frei herumspringen können.» Ihr Blick folgt ihrem Sohn Noé, der wieder in der Gaststube am Herumwuseln ist und dem Kellner beim Abräumen hilft. Das Gastgeber-Gen scheint ihm gewiss.

 

>> www.nest-bietschhorn.ch/