Text: Max Fischer I Fotos: Sedrik Nemeth
Gewöhnlich ungewöhnlich. Ein gewöhnliches Chalet schmiegt sich in eine der Haarnadelkurven auf der Strasse nach Ovronnaz (VS), 1000 Meter hoch über dem Rhonetal. Um so Ungewöhnlicheres spielt sich im Innern ab: In der «Soleil de Dugny» zaubern Estelle Michellod (36) im Service und ihr Mann Jean-Maurice (36) in der Küche geradezu (grosses Bild oben). Originelle und saisonale Gerichte aus lokalen Produkten verwöhnen selbst die anspruchsvollsten Gaumen. Doch genau so entscheidend ist im 15-Punkte-Restaurant der Wohlfühlmoment: «Die Gäste sollen sich behaglich fühlen, zufrieden sein», betont die Gastgeberin. Noch etwas sticht ins Auge: die zuvorkommende Bedienung. «Wir wollen dem Service seinen Stellenwert zurückgeben», verrät Estelle Michellod. Ganz wichtig sei der Kontakt mit den Gästen: «Wir wollen ihnen die Geschichten hinter den Produkten näherbringen.» Vom 1. bis 16. Februar zum Beispiel, anlässlich der Gastrowochen der Vereinigung AOP-IGP.
Start-Feuerwerk. Los geht’s mit einem Cappuccino aus Savièse-Kürbiscrème und einer Espuma aus Walliser Trockenspeck IGP («La cappuccino de crème de courge de Savièse et son espouma de Lard sec du Valais IGP»). Dazu servieren die Michellods Walliser Trockenfleisch IGP auf einem Biskuit in Form eines Weinblatts («L’empreinte de feuille de vigne à la Viande séchée du Valais IGP») samt Praliné-Mousse aus kandiertem Savièse-Kürbis («La Boule de courge de Savièse confite»).
Respekt & Leidenschaft. Für Starchef Jean-Maurice Michellod ist das AOP-IGP Gütesiegel wichtig: «Wir können uns voll und ganz auf die Qualität dieser Produkte verlassen.» Das gibt Sicherheit! Kommt hinzu, dass sich die Philosophie des Walliser Spitzenkochs mit jener der Vereinigung AOP-IGP gänzlich deckt: «Herzblut, Respekt vor der Tradition, die Arbeit in der Region und der Austausch mit den handwerklich tätigen Produzenten sind für uns Werte von grundlegender Bedeutung. Schon seit unserem Start vor zehn Jahren verarbeiten wir regelmässig IGP-Produkte.»
Da ist drin, was draufsteht! IGP (Indication Géographique Protégée) steht für eine geschützte geografische Herkunftsangabe, hochwertige und glaubwürdige Produkte also. «Mindestens ein Schritt der Herstellung, meist die Verarbeitung, muss in einem abgegrenzten, historisch belegten geografischen Gebiet durchgeführt werden», erklärt Geschäftsführer Alain Farine. AOP (Appellation d'Origine Protégée) ist eine geschützte Ursprungsbezeichnung. Sämtliche Herstellungsschritte müssen gemäss einem anerkannten Verfahren in einem abgegrenzten Gebiet stattfinden. Nur 41 auserlesene Spezialitäten dürfen in der Schweiz die Qualitätszeichen AOP oder IGP tragen. «In den ersten beiden Februarwochen können Geniesser in Restaurants im ganzen Land dieses kulinarische Erbe der Schweiz selber kennen lernen», freut sich Farine.
Typisch Wallis. Weiter geht’s in den AOP-IGP-Gastrowochen im «Le Soleil de Dugny» mit einer Krustenpastete vom Loveignoz-Alpschwein mit Walliser Trockenfrüchten («Le pâté en croûte de cochon d’alpage de Loveignoz aux fruits secs du Valais»). Gefolgt von einem Forellen-Duo aus Vionnaz mit Mädesüss aus Mayens-de-Chamoson («Le duo de truite de Vionnaz à la reine des prés des Mayens-de-Chamoson»). Alles aus Walliser Ortschaften! Lokales schreiben die Michellods auch im Keller gross: Dort lagern 9000 Weinflaschen. Zu 90 Prozent kommen sie von Walliser Winzern. Und viele Weine gibt’s auch als halbes Glas: «Die Gäste sollen zu den einzelnen Gängen jeweils einen passenden Tropfen geniessen können», erklärt Jean-Maurice Michellod seine Philosophie. Er kauft die Weine und lagert sie jeweils drei Jahre. Im Keller warten weitere Schätze: dosenweise Kräuter; Dutzende von kleineren und grösseren Gläsern mit eingemachten Früchten und konserviertem Gemüse – aus dem eigenen Garten und der Region. «Wir haben hier lange Wintermonate und sind froh, wenn wir dann diese Köstlichkeiten verwenden können.»
Entertainment & Infotainment. «Unsere Menüs richten sich nach den Jahreszeiten. So können wir hauptsächlich regionale Produkte verwenden und für unsere lokalen Lieferanten eine wirtschaftliche Struktur schaffen», sagt Jean-Maurice Michellod. Sein grosses Anliegen: «Die Arbeit mit den Grundprodukten liegt uns ebenso am Herzen wie deren Verarbeitung bis zum genussfertigen Teller.» Er möchte, dass Gäste, Küche und Service Spass an den Gerichten haben. Vorfabrizierte und halbfertige Produkte sind ihm ein Greuel. Ganz wichtig ist ihm noch ein Aspekt: «Unsere Überzeugung müssen wir auch unbedingt an unsere Lehrlinge weitergeben.» Keine leere Behauptung: Immer in den ersten drei Wochen im März vertraut das Paar ihr Restaurant den zwei Service- und zwei Koch-Auszubildenden an. Letztere kreieren Menüs, die sie bei ihrer Koch-Prüfung zubereiten müssen. Und die Service-Kräfte flambieren beispielsweise an den Tischen. «Alle Ideen kommen von den Lernenden, ich coache sie nur.»
Die Rochat-Schule. Jean-Maurice Michellod weiss, wie wichtig die Ausbildung ist. Viel gelernt hat er in seiner Lehre von seinem Vater Gérald. Schon als kleines Kind hatte dieser ihm Kochrezepte vorgesagt, um ihn zum Einschlafen zu bringen. Später reiste der Chef nach Deutschland, England und zusammen mit Estelle nach Neuseeland. Es folgten Anstellungen in mehreren Restaurants in der Schweiz. Höhepunkt war 2011 sein Engagement beim leider verstorbenen Ausnahmekoch Philippe Rochat in Crissier: «Dort stieg ich bis zum Chef de Partie auf.» Mit 23 Jahren zog es ihn in die Familienküche des «Soleil», 2015 übernahm er das Restaurant mit seiner Frau Estelle.
Lernende voll integriert. Estelle Michellod ist für den Service zuständig, Jean-Maurice für die Küche. Seine Mutter kümmert sich in einem 50-Prozent-Pensum um die Wäsche. Die vier Lernenden arbeiten in Küche und Service voll mit: «Sie sind in zwei Schichten abwechslungsweise im Einsatz, so haben sie genügend Zeit für ihre Hobbys», so Jean-Maurice Michellod. Sie wohnen auch hier – und kochen sich ihre Mahlzeiten selber. «Als Stifte völlig gleichwertig mitzuarbeiten und mitzudenken, motiviert die jungen Menschen enorm», weiss der Starchef.
Spitzkehren und Spitzenküche. Nach einem erfrischenden Cocktail der Lehrlinge mit Sauvignon Blanc aus Chamoson, Orangen- und Zitronenjus sowie Schokoladenminze («Le Shaker des apprenties au vin blanc de Chamoson») folgt ein 13 Stunden lang gegartes Eringer-Rind an Rotweinsauce aus Conthey (La palette de bœuf Hérens en cuisson lente et sa sauce au vin rouge de Conthey), begleitet von Kaffeepüree und dreierlei Karotten («Mousseline au café et déclination de carottes suisses»). Nach dem grandiosen Käsewagen kommt der süsse Abschluss: Waldmeister-Glacé aus Ovronnaz, Püree von Brombeeren aus dem eigenen Garten, Apfelbavarois und karamellisierte Nüssen aus Riddes. Die Spitzenküche der Michellods ist es wert, all die Spitzkehren hinauf nach Dugny zu nehmen!
>> Vom 1. bis 16. Februar können Geniesserinnen und Geniesser in der ganzen Schweiz bei den «IGP-Gastrowochen» das kulinarische Erbe der Schweiz kennenlernen. Die teilnehmenden Köche bieten auf ihrer Karte mindestens drei IGP-Spezialitäten und zwei Schweizer Weine an. Mehr Informationen: