Interview: Daniel Böniger I Fotos: Olivia Pulver
Reto Thörig, ist in Ihrem Kühlschrank eigentlich alles bio?
Zu 100 Prozent, ich bin da nicht zuletzt durch meine frühere Tätigkeit als Direktor in einem Bio-Hotel im Val Fex geprägt. Und ich bringe jeweils viele Produkte mit nach Hause, wenn ich bei unseren Partnern unterwegs bin. Bei Käse oder Fleisch kann ich kaum widerstehen.
Und wirklich alles hat eine Knospe?
Ja, ausser meine Söhne platzieren im Frigo Chili- oder Sojasauce. Allenfalls kann dort von mir mal ein Wein dabei sein, den ich gerne mag und der nicht zertifiziert ist.
Haben Sie Bio-Lieblingsprodukte?
Bei Kartoffeln vom Maienbühl in Riehen BS sehe ich einen Mehrwert, sie sind für mich viel geschmackvoller als herkömmliche Ware. Und die beste Butter der Welt kommt von der Fromagerie des Reussilles im Berner Jura, da kaufe ich immer gleich ein ganzes Kilo! Nicht zuletzt bin ich ein riesiger Fan des Fleischs von Nina Hitz in Churwalden. Sie lässt ihre Tiere erst 3- oder 4-jährig schlachten und getötet wird auf dem Hof.
Zurzeit arbeiten Sie an der Lancierung des Labels «Bio Cuisine». Worum geht es?
Vom Detailhandel wissen wir, dass viele Konsumentinnen und Konsumenten dem Label «Bio» den Vorzug geben. Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche Restaurants, die in weiten Teilen auf biologisch produzierte Nahrungsmittel setzen - dies aber bisher nicht breit vermarkten. Hier wollen wir eine Brücke bauen.
Wie geht das konkret?
Es sollen Restaurants zertifiziert werden, die mindestens 30 Prozent ihrer Zutaten, gemessen am Einkaufswert, aus biologischer Produktion beziehen. Dafür gibt es einen Stern, oder, wenn Sie lieber möchten, ein Blüemli... Wer bei 60 Prozent ist, bekommt zwei. Und bei 90 Prozent sogar drei. Entsprechende Schulung des Personals und eine Plakette für den Restauranteingang gehören selbstverständlich ins Päckli.
Wie viele Restaurants möchten Sie bis Ende Jahr auf Ihrer Liste haben?
Anfang April haben wir das Label lanciert, bereits sind ein gutes Dutzend Betriebe zertifiziert. Und viermal so viele sind im Zertifizierungsprozess. Wenn Sie eine konkrete Zahl möchten: 142 Restaurants sollen es bis Ende 2023 sein.
142 Restaurants? Wie kommen Sie auf diese Zahl?
Ein interner Witz. Ich mag keine runden Zahlen, aber mit unserem Leiter Qualitätssicherung habe ich trotzdem eine Wette bezüglich des Erfolgs des Labels abgeschlossen. Es geht um ein Abendessen in einem guten Restaurant.
A propos «Gutes Restaurant», das ist ja ein relativer Begriff. Welche Form von Gaststätten möchten Sie fürs Label gewinnen?
Wir sind für den Foodtruck ebenso offen wie fürs 18-Punktelokal. GaultMillau-Restaurants haben wir natürlich besonders gern. Weil die Chefs dort einerseits schon Bekanntheit in der breiten Bevölkerung haben. Andererseits, weil sie Konstanz mitbringen.
Welche Rolle spielt Konstanz?
Die Gastronomie verändert sich teilweise fast täglich. Aber es dauert Jahre, bis ein Landwirtschaftsbetrieb auf Bio umgestellt hat. Und darum ist uns Verlässlichkeit schon willkommen.
Wer hat es einfacher, wenn es um das Label «Bio Cuisine» geht? Ein Würstlistand oder ein gehobenes Restaurant?
Das kann man so nicht sagen. Je klarer das Angebot umrissen ist, desto einfacher dürfte die Zertifizierung vonstattengehen. Wer sein Fleisch ausschliesslich aus heimischer Jagd bezieht, ganze Rinderhälften beim Bio-Metzger und Milchprodukte beim Bio-Bauern kauft, der dürfte einfacher belegen können, dass er unsere Kriterien erfüllt.
Sonstiger Aufwand?
Es fallen pro Betrieb, je nach Grösse, Kosten von jährlich etwa 250 Franken an. Und eine kleine Schulung muss absolviert werden.
Das ist überschaubar, aber doch ein Aufwand für die Gastbetriebe. Was haben sie umgekehrt von «Bio Cuisine»?
Die Restaurants werden Teil eines schweizweit operierenden Netzwerkes. Wir kommunizieren eine entsprechende Empfehlungsliste aktiv. Und ganz bestimmt werden so Produzentinnen und Gastgeber, Bauern und Köchinnen zusammenfinden, die sich bisher noch nicht kannten.
Wie gut ist die Schweiz überhaupt, wenn es um «Bio» geht?
Klar gibt es schöne Olivenöle aus Italien oder biologische Himbeeren aus Spanien, die für das Zertifikat mitgezählt werden dürfen - aber das kann ja nicht der Sinn der Sache sein. Wir haben in der Schweiz ja etwas, was uns stark von anderen Ländern unterscheidet: all diese Cluster, in denen sich in einer kleinen Region gleich zig Bio-Landwirtschaftsbetriebe tummeln.
Können Sie Beispiele nennen?
Im Kanton Neuenburg sind mehr als die Hälfte aller Weinkellereien bio. Im Berner Seeland gibt es unfassbar viel biologisch produziertes Gemüse. Hier im Bündnerland, wo ich gerade bin, gibt es gleich mehrere Täler, wo man als Gastwirt die Kriterien fürs Label bereits erfüllt hat, wenn man auf regionale Produzenten setzt.
Was sagen Sie denjenigen, die noch immer glauben, dass Bio-Rüebli unterscheidet sich vom konventionellen Rüebli dadurch, dass es «schrumpelig» ist?
Bio-Landwirte müssen die gleichen Standards einhalten wie alle anderen auch. Sie können es sich gar nicht leisten, verschrumpeltes Gemüse anzubieten. Wenn man aber bei einem Apfel partout keine braune Druckstelle will, nimmt man halt so auch in Kauf, dass die Früchte unreif gelesen worden sind. Und dann das volle Aroma fehlt. Sowieso sieht man die Dellen ja eh nicht im Apfelmus…
>> Das Label «Bio Cuisine» zeigt den Gästen, wie viel Nachhaltigkeit sie auf dem Teller erwartet. «Bio Cuisine» ist dreistufig aufgebaut und zeichnet den Anteil an Bio- sowie Knospe-Produkten im Betrieb aus. Basis ist der Einkaufswert der Lebensmittel und Getränke. GaultMillau Schweiz unterstützt diese «Bio-Cuisine»-Initiative.