Grégory Rohmer, Starchefs setzen vermehrt auf Säure, um ihren Gerichten den gewissen Kick zu geben, oder?

Tatsächlich sind in der gehobenen Gastronomie viele Zubereitungen in den letzten zehn Jahren deutlich saurer geworden. Das hat unter anderem damit zu tun, dass Zutaten wie Yuzu, Bergamotte, Grapefruit oder Mandarine populär geworden sind.

Immer mehr Säure um jeden Preis also?

Nicht unbedingt. Inzwischen scheinen Ponzu oder Reisessig mehr im Trend zu sein. Sie sind diesbezüglich milder – aber die Säure als grosses Thema bleibt.

Was mögen die Chefs daran?

Säure macht Gerichte, zumindest ist dies der erste Eindruck,  bekömmlicher und leichter. Neun oder zehn Gänge, die alle mit viel Butter und Rahm zubereitet sind, so wie früher – das entspricht einfach nicht mehr dem Zeitgeist.

Sie sind Tanja Grandits’ Sommelier. Auch Weine mit hoher Säure sind im Aufwind.

Das stimmt. Früher war es vergleichsweise einfach, bei Burgundern einen frischen Puligny, einen buttrigen Meursault und den eher laktischen Chassagne blind zu unterscheiden – inzwischen setzen viele Produzenten bei diesen Chardonnays vor allem auf Frische, sprich Säure. Teilweise wird sogar der BSA, also der biologische Säureabbau, weggelassen. Und: Es wird früher geerntet, vielleicht um das Risiko einer Fehlernte zu vermindern.

Das Stucki wird zur Krug Ambassade. 16. Mai 2024. Villa Stucki in Basel. Copyright: Roy Matter Jakobsmuschel-Ceviche mit Fenchel und Zitrone 

Auch bei Rohmers Chefin Tanja Grandits darf es manchmal Zitrone sein, wie bei diesem Jakobsmuschel-Ceviche mit Fenchel.

Sie scheinen diese Entwicklung nicht unbedingt zu begrüssen.

Ohne BSA hat man zu viel Apfelsäure im Wein. Ich mag es nicht, wenn ein Weisswein vor allem nach Granny Smith schmeckt. Verstehen Sie mich nicht falsch: Die Säure darf auf der Zunge ruhig ein wenig kribbeln, aber nicht bis zu den Ohren jucken… Wenn es sich anfühlt, als ob man in eine Zitrone beisst, hat das mit Wein nichts mehr zu tun. So wie man es in den Neunzigerjahren bei den Rotweinen mit neuem Holz übertrieben hat, wird jetzt der Bogen bezüglich der Säure überspannt.

Und auf dem Teller? Wann wird es Ihrer Meinung nach dort zu viel des Guten?

Es geht mir als Sommelier immer um Ausgewogenheit. Eine Erdbeere darf ruhig leicht säuerlich schmecken, aber sie muss eben zugleich auch vollreif sein. Säure und Frucht müssen harmonieren. Genauso beim Wein: Säure ja, aber bloss, wenn auch eine reife Frucht da ist.

Sonst leidet unter Umständen auch der Magen, oder?

Mit zunehmendem Alter vertragen gerade Männer Säure nicht mehr so gut. Unser Körper kann nicht endlos viel davon aufnehmen. Nicht umsonst sehe ich bei uns, wie viele ältere Männer am Anfang des Abends auf den Champagner verzichten und lieber einen fruchtigen Weisswein bestellen. Bei Säure gilt halt schon: Mehr ist nicht immer mehr!

 

>> Grégory Rohmer ist seit Oktober 2017 Sommelier und Gastgeber bei Tanja Grandits. Für den Weinkeller des «Stucki» in Basel ist der gebürtige Elsässer stets auf der Suche nach Raritäten. www.tanjagrandits.ch

 

Fotos: Digitale Massarbeit, Getty Images, Roy Matter