Text: Kathia Baltisberger Fotos: Bernard van Dierendonck
Attraktion. Das mit dem Matterhorn ist ja so eine Sache: Wenn der Tourist in Zermatt aus dem Zug stürzt und mit Sack und Pack zügig in Richtung Dorfkern stapft, um einen Blick auf das so berühmte «Horu» zu werfen und es dann wolkenverhangen ist, macht sich die Enttäuschung breit. Das erste perfekte Selfie mit Berg im Hintergrund muss warten. Der Einheimische kann darüber nur den Kopf schütteln. Das Matterhorn braucht keinen stahlblauen Himmel um perfekt zu sein. «Wenn ich morgens rausgehe, schaue ich als erstes das Horu an. Jeden Tag. Es gibt immer etwas zu schauen», sagt die Gemeindepräsidentin und gebürtige Zermatterin Romy Biner-Hauser.
Cervo & the Huntsman. Zermatt auf den Hausberg zu reduzieren, wäre ohnehin falsch. Die Walliser Gemeinde hat kulinarisch sehr viel zu bieten. Insgesamt 255 GaultMillau-Punkte tummeln sich dort oben. Um darauf aufmerksam zu machen, veranstaltet «Taste of Zermatt» bereits zum dritten Mal die kulinarische Wanderung «Horugüet». Während rund sechs Stunden wird gelaufen und geschlemmt. Der Startschuss fällt im Cervo, dem Zermatter Szene-Hotel. Chef Daniel «The Huntsman» Lauber hat einen Weg gefunden, sich abzuheben: ein junges, modernes Haus mit toller Terrasse, die zu Party einlädt, aber weit entfernt von einem 0815-Après-Ski-Schuppen. «Das Gesamterlebnis muss heute stimmen», weiss Lauber. «Es braucht ein Konzept mit einem roten Faden und eine ungezwungene Atmosphäre.»
Dichtestress! Ungezwungen ist es auch in der «Adlerhitta» in Findeln. Ugi Zumtaugwald ist bekannt für seine Mistkratzerli, die er über dem offenen Feuer grilliert. Er ist überzeugt, dass sich Zermatt kulinarisch von anderen Skigebieten unterscheidet. «Andernorts könnte man unten am Skilift einfach eine Speisekarte abgeben, es servieren ohnehin alle das Gleiche.» Convenience-Produkte kommen Ugi nicht in die «Adlerhitta». Deshalb serviert er hausgemachte Ravioli mit Kürbisfüllung. Das Problem auf 2200 Meter über Meer? Dichtestress! Die Dichte an guten Restaurants ist unglaublich hoch. Nach einem kurzen Fussmarsch erreicht man bereits das «Chez Vrony». Die Gastgeber Vrony und Max sind mindestens genauso zauberhaft wie das verwinkelte Restaurant. Sie begrüssen jeden Gast persönlich. Die Devise hier: «Jeder Teller muss stimmen. Egal ob es ein Raclette oder ein Gourmetteller ist», sagt Vrony Cotting-Julen. Auf der Horugüet-Wanderung gibt es Rindsbrasato mit Gomer Polenta. Das 14-Punkte-Restaurant zeichnet sich durch das gewisse Extra aus. «Man muss das Einfache besser machen und mit viel Herzblut», so Vrony.
Cremeschnitte. Mirjam und Reto Gobba haben in Zermatt eine alte Tradition wieder zum Leben erweckt: das Käsen. Seit 2003 verarbeiten sie Zermatter Milch zu Käse und Joghurt – und wenns mal ein Überschuss hat, gibts Rahmtäfeli. Zum Probieren servierten sie in einem alten Bahnwagen Käse von der Alp Stafel, der noch traditionell über dem Feuer hergestellt wird. Nach der Zwischenstärkung geht die Wanderung weiter «Zum See», ein mit 14 Punkten dotiertes Bergrestaurant. Hier wollen alle eins: Cremeschnitte. Es sei die beste auf der ganzen Welt, behauptet der Walliser. Der Üsserschwiizer kann das eigentlich nur wortlos mit einem Nicken bestätigen, die cremige Füllung und der knusprige Blätterteig hindern ihn am Sprechen. Markus Mennig erklärt, wie es zum Hype um die Cremeschnitte kam. «Irgendwann fingen die Gäste an, die Cremeschnitte zu reservieren. Das hat sich herumgesprochen. Aber keine Angst: Wir haben für gewöhnlich immer genug.»
Kuppelhorn. Langsam dunkelt es ein. Und der eine oder andere Wandervogel ist bereits etwas orientierungslos. Doch von weitem hört man Partybeats, die alle sicher zum Ziel lotsen. Im Restaurant Blatten kommt die Wandergesellschaft zum Schluss, aber noch lange nicht zum Stillstand. Bei Raclette, Gerstensuppe und Tanz kann der – für den Oktober äusserst milde – Herbstabend ausklingen. Der Chef-Raclettstreicher ist Leander Taugwalder. Er wirtet bereits seit 50 Jahren hier oben. Seine Frau, eine Luzernerin, hat er übrigens auf dem Gipfel des Matterhorns kennengelernt – ein Kuppler ist dieser Berg also auch.