Text: Patricia Bröhm, Chefredaktorin GaultMillau Deutschland Fotos: StockFood/The Picture Pantry, StockFood/Erik Rank, Kurt Reichenbach
The Japanese way. Auf den ersten Blick sieht der Saibling, den Andreas Rieger morgens von den Müritzfischern geliefert bekommt, aus wie jeder andere. Wäre da nicht ein kleines Loch zwischen den Augen des Tieres. Es ist Indiz dafür, dass dieser Fisch um Längen besser schmeckt als die meisten Saiblinge – weil er anders geschlachtet wurde. Ike Jime heißt die Technik, die in Japan schon seit Jahrhunderten praktiziert wird und derzeit auch in Europa zunehmend Anhänger findet. «Der Geschmack ist viel klarer, purer und eleganter», beschreibt Rieger, der junge Küchenchef des Berliner Restaurants Einsunternull, seine Faszination. «Auch die spezifischen Saiblingsaromen kommen besser durch. Am liebsten würde ich nur noch Fisch verarbeiten, der nach der Ike Jime-Methode geschlachtet wurde.»
Schonender als konventionelle Methoden. Wie genau funktioniert Ike Jime? «Der Fisch wird durch einen gezielten Stich ins Gehirn getötet», erklärt Matthäus Marten von der Fischerei Müritz-Plau, die zu den Pionieren in Deutschland zählt. «Das mag sich brutal anhören, ist aber tatsächlich für den Fisch viel schonender als konventionelle Schlachtungsmethoden, weil er sofort hirntot ist und nichts mehr spürt.» Anschließend wird unterhalb der Kiemen angeschnitten und die Arterie durchtrennt. Noch ein Schnitt an der Schwanzflosse, dann lässt man den Fisch in kaltem Wasser ganz schnell ausbluten. Der Vorteil dieser in ganz Japan praktizierten Methode: die Totenstarre und die damit verbundene Milchsäureausschüttung ins Gewebe, die später für einen «fischigen» Geschmack sorgen kann, werden hinausgezögert. Das Ausbluten verändert die Konsistenz und den Geschmack des Fisches, er bleibt auch länger haltbar.
Ike Jime in der Bretagne. In der Bretagne arbeiten bereits eine Reihe Fischer nach der Methode, ihre Ware findet unter der französischen Kochelite reißenden Absatz. Christopher Hache, Küchenchef des Gourmetrestaurants L’Écrin im wiedereröffneten Pariser Hôtel de Crillon, ließ in seiner Küche Meerwasserbecken einbauen. Dort hält er die lebend angelieferten Fische ein, zwei Tage, sodass sie zur Ruhe kommen, um sie dann selbst nach der Ike Jime-Methode zu töten, so wie er es im berühmten Restaurant Kikunoi in Kyoto bei Yoshihiro Murata erlebte.
Vorreiter Christian Bau. Als deutscher Koch braucht man ausgezeichnete Kontakte, um von der teilweise direkt auf dem Boot getöteten französischen Highend-Ware etwas zu ergattern. Christian Bau, GaultMillau’s Koch des Jahres aus Deutschland mit 19,5 Punkten und drei Michelin-Sternen, arbeitet in Schloss Berg an der Saar schon seit einem Jahr mit Bar de Ligne und Steinbutt, die auf die traditionelle japanische Art getötet wurden: «Die Qualität ist einfach sensationell, das Fischfleisch bleibt viel fester. Und ich kann als Koch Einfluss auf den Eigengeschmack nehmen, indem ich den Fisch reifen lasse – das ist nur dank des schnellen Ausblutens möglich.» Bis zu einer Woche lässt Bau den Wolfsbarsch aus der Bretagne liegen, sodass der feine Eigengeschmack besonders gut zum Tragen kommt, dann brät er ihn nur ganz kurz auf der Haut und serviert ihn mit Koju-Vinaigrette.
Das Projekt in Berlin. Deutsche Ike Jime-Hochburg ist derzeit Berlin, wo sich schon im Frühjahr 2016 vier Restaurants in einem Pilotprojekt mit den Müritzfischern zusammentaten. Federführend war damals Dylan Watson-Brawn vom Restaurant Ernst – er lernte Ike Jime schon vor Jahren kennen, als er in Japan lebte und arbeitete. Gemeinsam mit seinen Kollegen von den Restaurants Nobelhart&Schmutzig, Einsunternull und Horváth überzeugte er die Müritzfischer von den Vorzügen der Technik. Heute beliefern die Mecklenburger bereits eine ganze Reihe von Berliner Restaurants mit Saibling, Zander, Forelle, Stör und Barsch, die alle nach der Ike Jime-Methode geschlachtet wurden. Um den einzigartigen Geschmack des Müritz-Saiblings bestmöglich zum Ausdruck zu bringen, serviert ihn Andreas Rieger im Einsunternull extrem puristisch: nur ganz kurz abgeflämmt, sodass er «medium rare» auf den Tisch kommt, begleitet von etwas Lauchasche, Bronzefenchelblüten und einer Karotten-Emulsion von fast honigartig dickflüssiger Konsistenz.
Und in der Schweiz? Globus-Foodscout Richard Kägi hat die Methode auf dem Tsukiji-Market, Tokios grösstem Fischmarkt, kennengelernt. Berühmte japanische Dreisterne-Köche, beispielsweise Seiji Yamamoto, kaufen dort ein und setzen auf Ike Jime. Aus Gründen der Qualität. Aber auch, weil Ike Jime korrekt ausgeführt die humanste aller Fisch-Tötungsmethode ist. Kägi: «Früher oder später wird sich Ike Jime auch bei uns verbreiten. Die meisten Snapper und Grouper, die Globus aus dem Südpazifik bezieht, beendeten auf diese Weise ihr Leben.» Kann der Laie überprüfen: Eine kleine Einstichstelle über den Augen ist das Erkennungsmerkmal.