Interview: Elsbeth Hobmeier
Jérôme Schilling, Sie haben bei weltberühmten Chefs gearbeitet, bei Joël Robuchon, Roger Vergé und anderen. Von wem haben Sie am meisten mitgenommen?
Sie haben mich alle geprägt und sensibilisiert. Die strenge Präzision von Robuchon, dem Meilleur Ouvrier de France. Die mediterrane Küche und das südliche Terroir des Dreisternekochs Vergé. Die avantgardistischen Texturen der Molekularküche von Thierry Marx in Pauillac. Und bei Guy Lassausaie in Lyon konnte ich bei vielen Concours mitmachen.
Sie sind im Elsass geboren und aufgewachsen. Wollten Sie immer schon Koch werden?
Ich interessierte mich schon als Kind leidenschaftlich dafür, was in den Pfannen meiner Grossmutter und meiner Mutter brutzelte. Ich war ständig in der Küche, wollte beim Mittagessen schon wissen, was am Abend auf den Teller kommt. Mit 14 war mir klar, dass ich mit den Händen arbeiten und dass ich Koch lernen wollte.
Vor Château Lafaurie-Peyraguey holten Sie mit Jean-Georges Klein in der Villa Lalique im Elsass den zweiten Stern. Was unterscheidet Elsass und Sauternes?
Die Terroirs sind sehr verschieden. Hier im Sauternais fühle ich mich auch ein wenig als Weinbauer, ich mache mit bei der Ernte, bin bei Degustationen für die Assemblages dabei. Zuerst hatte ich grossen Respekt vor dem hiesigen Süsswein, denn ich hatte mit Süss-sauer nie etwas am Hut. Ich musste mich kulinarisch gesehen annähern, merkte aber auch bald, wie jeder Rebberg seine eigenen Aromen mitbringt.
Wie integrieren Sie Sauternes-Weine in Ihre Gerichte?
Oh, er spielt praktisch überall mit. Ich lege Trüffel zwei Monate lang in Sauternes ein, ich mariniere Echalottes darin, ich suche die besten Mariages zwischen Gericht und Wein. Ich brauche Sauternes zum Mazerieren, Fermentieren, Pochieren, Kristallisieren. Doch nicht nur der fertige Wein ist kulinarisch interessant für mich, sondern auch seine «Nebenprodukte».
Zum Beispiel?
Ich heize den Holzofen mit alten Rebstöcken. Ich verwende regelmässig Öl aus den Traubenkernen. Ich verarbeite Butter mit Verjus, dem Saft der grünen Trauben. Ich mache eine Crème de Moutarde, verwende Lie aus den Weinfässern und frischen Traubensaft für meine Saucen. Nicht zu vergessen die Patisserie: Die verarbeitet eine ganze Menge an Süsswein.
Welche weiteren Produkte sind für Sie wichtig?
Ich liebe Produkte, die nicht allzu sehr bekannt sind, solche, die ich neben dem Mainstream entdecke. Etwa den Merlu (Seehecht) aus Biarritz, die Forelle aus den Pyrenäen, die Enten direkt von Bauern, die so schmecken, wie ich sie in der Kindheit kannte. Hervorragend finde ich den Kaviar aus der Aquitaine. Eine grosse Entdeckung ist das Bazas-Rind, das hier in der Region aufgezogen wird: Sein Fleisch ist so marmoriert wie das Wagyu. Ich hatte vor der Eröffnung unseres Restaurants acht Monate Zeit, um die besten Produzenten der Region zu finden. Viele unter ihnen sind inzwischen Freunde geworden.
Gibt es etwas, das Sie nie in Ihrer Küche verwenden würden?
Ja, Bärlauch mag ich überhaupt nicht, im Gegensatz zu all den Kräutern und Blumen aus dieser Gegend, die Nachbarn für mich sammeln und einige Bauern extra für mich pflanzen.
Ihr Signature Dish?
Ein Gericht aus Blumenkohl mit Kaviar und einer Sauce mit Vodka, geformt wie ein Schiffchen. Es fehlt in keinem meiner Menüs, die Gäste lieben es.
Apropos Gäste. Von wo kommen sie?
Von überall. Unser Fünfsternehotel mit dem edlen Intérieur und den vielen Lalique-Kostbarkeiten wirkt wie ein grosser Magnet, die Menschen fühlen sich wohl hier. Im Restaurant haben wir bereits viele Stammgäste. Mir ist der persönliche Kontakt sehr wichtig. Ich gehe an jeden Tisch, begrüsse und verabschiede alle meine Restaurantgäste persönlich.
Lalique-Präsident Silvio Denz holte Sie in sein neues Refugium, dieses prächtige Château im Sauternes. Brauchte er viel Überredungskunst?
Nach zweieinhalb Jahren als Chef-Exécutif an der Seite von Jean-Georges Klein in der Villa René Lalique folgte ich im Oktober 2017 seinem Angebot, sein jüngstes Projekt, die Leitung des Gourmet-Restaurants im Château Lafaurie-Peyraguey zu übernehmen. Es war eine grosse Herausforderung. Silvio Denz gab mir Carte blanche. Ein Vertrauensbeweis!
Sie haben dieses Vertrauen aufs Schönste belohnt: Bereits nach sechs Monaten der erste Michelin-Stern, jetzt der zweite.
Der erste Stern kam schnell. Es war übrigens der erste Michelinstern im Sauternais. Diese Auszeichnung mussten wir in den nächsten Monaten unseren Gästen und uns selber beweisen. Wir wussten auch: Wenn wir einen zweiten Stern erringen wollen, müssen wir hart arbeiten. Das haben wir getan, unsere ganze Equipe hat dieses Ziel gemeinsam erreicht.
Sind Sterne und Punkte wichtig?
Sie sind unser Motor. Sie motivieren uns, es jeden Tag noch besser machen zu wollen. Die Gäste sind unser wichtigster Gradmesser, aber: Sterne und Punkte beflügeln uns!
Ihre Weinkarte umfasst 2600 Positionen. Wie wichtig ist dabei das Thema Sauternes?
Ich habe ein Menu «Le Terroir du Sauternais» erarbeitet, es ist vegetarisch und umfasst sieben Sequenzen, die den verschiedenen Terroirs von Château Lafaurie-Peyraguey entspricht. Das andere Menu «Le Grain Noble» umfasst ebenfalls sieben Etappen und lädt zur Entdeckung der Sauternes-Weine ein, sei es süss oder trocken, passend zu den jeweiligen Gerichten. Natürlich berät unser Sommelier die Gäste zu allen Weinen in unserem gut dotierten Keller.
Fühlen Sie sich persönlich wohl hier im Sauternes?
Ich bin glücklich hier. Wir wohnen gleich nebenan, ich kann zu Fuss zur Arbeit kommen. Meine Frau ist ausgebildete Sommelière, ihr behagt das Weinumfeld. Und unsere beiden Töchter wachsen gerne hier auf. Es stimmt rundum alles.
Gibt es bei Ihnen nur das ganz grosse Menu, oder kann man auf der Durchreise auch mal was Kleines essen?
Seit wir im Schlosshof eine wunderschöne Terrasse haben, möchte ich diese nutzen und habe daher die sogenannte Cuisine du Monde eingeführt. Mittags gibt es Spezialitäten aus jeweils zwei Ländern mit sehr unterschiedlicher Küche. Wir kombinierten zum Beispiel Österreich und Japan oder Türkei und Vietnam. Das ist für unser Team eine willkommene Herausforderung und bei Businessgästen aus der Umgebung oder Touristen sehr beliebt. Der Ansturm war gross.
>> Die Lalique-Gespräche. Interviews mit Köchen, Sommeliers und Künstlern, die in den Schlössern und Villen des Basler Unternehmers Silvio Denz arbeiten. Fortsetzung folgt.
>> www.lafauriepeyragueylalique.com
Fotos: Michaël Boudot, AdrianaTripa, Geri Born, Reto Guntli, HO