Text: Kathia Baltisberger Fotos: Kurt Reichenbach
Kunst & Handwerk. Es ist simpel, könnte man meinen. Teebeutel in die Tasse, heisses Wasser drüber, fertig. Ein Besuch im Raritäten-Laden von Länggass Tee in Bern zeigt schnell, dass die alltägliche Zubereitung des Heissgetränks der Kunst, die dahintersteckt, nicht gerecht wird. «Das Kunsthandwerk der Teeherstellung versucht den Charakter eines Ortes oder die persönliche Note des Produzenten in einem Tee zum Ausdruck zu bringen», erklärt Tina Lange Wagner, Mitglied der Geschäftsleitung von Länggass Tee. «Woher ein Tee kommt und wie er gemacht ist, das ist uns hier wichtig.»
Gong Fu Cha. Der Raritäten-Laden befindet sich direkt neben dem Hauptgeschäft und ist eingerichtet wie ein chinesischer Teeladen. Er ist Verkaufsfläche und Lager zugleich und die Teezeremonien finden ebenfalls hier statt. Bei der europäischen Zubereitungsart giesst man den Tee meist nur einmal auf. Hat man aber eine echte Rarität, lohnt es sich den Tee nach chinesischer Art im Gong Fu Cha zuzubereiten. Gong Fu Cha bedeutet, Tee mit grosser Aufmerksamkeit zubereiten und geniessen. Tina wählt einen Pu Er, aus der Provinz Yunnan im südwestlichen China. Die Teeblätter kommen nicht aus einem Beutel oder einer Dose. Pu Er wird zu einer Art Rondelle à 357 Gramm gepresst. Die einzelnen Blätter sind fest zusammengepresst und müssen mit einem speziellen Messer herausgebrochen werden.
Schlürfen! Tina kocht das Wasser auf, giesst es kochend ins Kännchen, in das später der Tee kommt. Dann siebt sie das Wasser in ein weiteres Gefäss, von dort schüttet sie es über die Tassen – aber auch über den Zeremonien-Tisch und die dort aufgestellten Stein-Schildkröten. Es sind Glücksbringer. Der Vorgang wiederholt sich, diesmal allerdings mit Tee. Dieser Aufguss wird aber noch nicht getrunken, sondern ebenfalls über Geschirr, Tisch und Glücksbringer geleert. Erst bei der dritten Runde trinkt man den Tee. Pardon: Man schlürft! «Durch das Schlürfen kann man mehr Geschmack aufnehmen», erklärt die Expertin. Der Charakter des Tees zeigt sich in jedem Aufguss neu.
Ein guter Jahrgang. Der Begriff Tee steht hier für alle Teearten, die aus der Teepflanze camellia sinensis hergestellt werden - Weisser Tee, Grüner Tee, Gelber Tee, Schwarzer Tee, Oolong und Postfermentierter Tee. Tina Lange vergleicht Tee gerne mit anderen veredelten Produkten wie Wein. Das Terroir ist von grosser Bedeutung, klimatische Faktoren beeinflussen den Charakter des Tees genauso wie die Wetterbedingungen vor und während der Erntezeit. So können sich auch im Tee die Jahrgänge qualitativ unterscheiden. Der Ernte von 2016 ist ein kalter Winter vorausgegangen. Die Blätter konnten nicht recht spriessen, sind entsprechend kleiner. Dadurch sind sie aber auch dichter im Geschmack und von sehr hoher Qualität. Allerdings ist der Ertrag wesentlich geringer.
Kontrolle vor Ort. Der degustierte Pu Er stammt von sehr alten Bäumen, die im Urwald zwischen anderen Pflanzen wachsen. Vor Jahrhunderten als kleine Plantagen angelegt und zwischenzeitlich in Vergessenheit geraten, besteht seit rund 15 Jahren eine grosse Nachfrage. Damit der richtige Tee in der gewünschten Qualität und Verpackung nach Bern gelangt, ist Tinas Mann Kaspar Lange jedes Jahr vor Ort in China und kontrolliert die Ware. Betrügereien in der Teewelt sind nämlich keine Seltenheit. Pu Er zeichnet sich dadurch aus, dass er während jahrzehntelanger Lagerung fermentiert und an Reife gewinnt. «Der Charakter des Tees verändert sich mit den Jahren, er wird lieblicher, süsser, holziger und erdiger.» Einige Liebhaber trinken den Tee erst ab einem bestimmten Alter. «Wir mögen auch frischen Pu Er», sagt Tina. «Frisch» heisst in diesem Fall jung, noch grün und wild im Charakter. Ausserdem fermentiert Pu Er auch eingepackt in den Regalen in der Berner Länggasse weiter vor sich hin. «Er wird immer lieblicher und süsslicher, aber auch erdiger.» Der degustierte Tee kostet pro «Cake» 250 Franken. Für einen Liter Tee braucht man lediglich drei Gramm.
Tee zum Essen. Und wie verhält es sich mit Tee in der Gastronomie? Vereinzelt gibt es Sommeliers, die verschiedene Tees in ihre alkoholfreien Getränkebegleitungen einbauen. Teezeremonien nach Vorbild Länggass existieren aber kaum. «Gastronomische Betriebe, die sich durch ein so hochwertiges Teeangebot auszeichnen, sind zurzeit noch selten», sagt Tina Lange. Die Berner Quartierbeiz «Marzer» bietet aber Events mit mehrgängigem Menü und ausgewählter Teebegleitung an.