Text: Kathia Baltisberger Fotos: Olivia Pulver
Essbar. Eine zierliche Frau stapft durch ein paar Rosenbüsche am Uetliberg in Zürich. Sie trägt grüne Gummistiefel mit weissen Punkten und ein Neckholder-Kleid. Das Kleid ist untypisch. Für gewöhnlich verhüllt sie ihre Haut mit langen Hosen und Rollkragenpulli. Denn im Frühling und Sommer ist die Rosenexpertin quasi permanent der Sonne ausgesetzt. Wenn Lilo mit den ersten Sonnenstrahlen erwacht, ist sie wenig später auch schon auf dem Feld und pflückt Rosenköpfe. Wie viele sie pro Saison pflückt? «Keine Ahnung», sagt sie. Viele auf jeden Fall. Lilos Rosen sind nicht einfach hübsch anzusehen, sie sind essbar. «Der Geschmack polarisiert natürlich. Viele verbinden ihn mit einem Duftkissen oder der überparfümierten Grossmutter», sagt Lilo Meier. Doch die 49-Jährige verarbeitet die Blumen nicht einfach zu Rosenwasser. Sie macht Rosenmark, Rosenkonfitüre, Gelee, Sirup, Rosenpesto oder einen Rosenbalsamico. «Für ein Töpfchen Mark mit 130 Gramm braucht es 35 Rosenköpfe.»
Pflücken, zupfen, verarbeiten – die Sommertage sind lang. «Ich arbeite etwa 18 Stunden pro Tag.» Dieses Jahr ist es noch extremer. «Die Rosen kamen einen Monat zu früh, schon im Mai!» Beklagen will sich Lilo Meier aber nicht. Im Gegenteil. Sie hat sich ihr eigenes Paradies geschaffen. Direkt neben dem Rosenfeld befindet sich ihr Hexenhäuschen – «so nennen es die Kinder, wenn sie daran vorbeilaufen.» Rund um das Haus befindet sich ein verwunschener Garten mit Rosen, Wildkräutern, Obstbäumen, Gemüse, Erdbeeren – Lilo Meier versorgt sich weitgehend selbst. Sie bezeichnet sich selbst zwar als ein bisschen «eso», doch noch im selben Moment leiert sie unzählige lateinische Namen der Pflanzen in ihrem Garten runter. Lilo Meier ist nämlich studierte Pflanzenphysiologin und Botanikerin. Sie interessiert sich für Inhaltsstoffe und Zusammensetzungen. «Rosen enthalten Beta-Damascenon, ein Inhaltsstoff, den es auch in Aprikosen, Erdebeeren, Cassis oder Whiskey gibt. Deshalb passen diese Zutaten so gut zu Rosen.»
Kochen & Backen. Rosen finden nicht nur in Desserts Verwendung. Sie passen auch zu Gurken, einem kräftigen Lamm oder Stilton. Doch man kann sie längst nicht mit allen Lebensmitteln kombinieren. «Rosen und Tomaten?» Da verdreht Lilo Meier nur die Augen. Ihre besten Rezepte hat sie nun in einem Kochbuch gesammelt. «Tabula Rosa» heisst es. Zum Kochen ist sie peu à peu gekommen. «Ein passionierter Hobbykoch hat mir viel beigebracht.» Doch das meiste macht sie intuitiv. Sie probiert aus und tüftelt rum. Wichtig beim Kochen mit Rosen ist, dass man sie nicht zu stark erhitzt. «Sonst verflüchtigen sich die Komponenten.» Man sollte stark duftende Rosen nehmen und natürlich müssen sie ungespritzt sein. «Ich finde es auch wichtig, dass man die Rosen nicht mit anderen Zutaten homogenisiert. Ich würde das Mark zum Beispiel als Kern in einen Schokoladenkuchen geben und nicht mit der Masse vermischen.»
Freigeist. Eine Affinität zu Rosen hatte Meier schon immer. «Ich habe als Kind versucht mit den Rosen meiner Mutter ein Parfüm zu kochen», erzählt sie. Dass sie ihren Beruf heute so ausübt, ist eher Zufall. «Ich mache alles ein bisschen planlos. Aber immer worauf ich gerade Lust habe und was niemandem schadet.» Einen Businessplan kennt sie nicht. «Manchmal vergesse ich Rechnungen zu stellen. Ich bin eine schlechte Geschäftsfrau. Natürlich könnte man alles viel professioneller aufziehen.» Nötig ist es in Lilos Fall aber nicht. Sie lebt bescheiden, Ferien bezeichnet sie als «Trostpflaster» und ihre Freiheit ist mit keinem Lohn gleichzusetzen.
Der Hausgarten vom «Mesa». Lilo Meiers Rosen finden vor allem private Abnehmer. Die Produkte gibts im Online-Shop oder bei Berg und Tal. Auch Sprüngli hat schon Truffes mit ihren Rosen gemacht. Und unter ihren Kunden befindet sich auch ein Starchef: Sebastian Rösch aus dem «Mesa» in Zürich. Der Deutsche hat Lilos Produkte für sich entdeckt und baut seither immer mal wieder Rosen in seine Gerichte ein. «Lilos Rosen sind immer eine Überraschung, toll wie sie eine ganz andere Facette aus den Rosen herausbringt», schwärmt Rösch. Dass der 15-Punkte Chef auf ihre Produkte abfährt, findet Lilo Meier natürlich toll. «Ich dachte nur so ‹Woah, der findet mein Pesto cool!› Das ehrt mich natürlich enorm.» Und es hilft ihr, andere Chefs von ihren einzigartigen Produkten zu überzeugen. «Es braucht etwas Mut, auf diesem Niveau mit Rosen zu arbeiten.» Das weiss auch Rösch. «Klar, viele sind zunächst etwas skeptisch. Doch dann schmeckt das ganz anders, so pur. Und wir können die Rosen total vielfältig einsetzen. Sie passen super zu Lamm oder zu Safran.» Aktuell sind die Rosen übrigens im Tatar und in den Friandises.
>> Blütenschmaus
Lilo Meier
Kellerweg 65
8055 Zürich
>> Mesa
Weinbergstrasse 75
8006 Zürich