Text: Stephan Thomas, Fotos: Marcus Gyger
«Unser Bach ist die Klimaanlage.» Das gibt es sonst nirgendwo mehr. In der «Brügger Trockenfleisch-Manufaktur» in Parpan GR sind mehrere Stockwerke dicht behängt mit fleischlichen Köstlichkeiten aller Art. Der Dachstock nicht ausgenommen - hier hängt gewissermassen der Himmel voller Bündnerfleisch. Klimatisierung? Lüftung? Fehlanzeige. «Unsere Klimaanlage ist der Bach nebenan», erklärt uns Jörg Brügger. «Temperatur und Feuchtigkeit regeln wir mit händischem Öffnen und Schliessen der Fenster. Und ebenso händischem Hoch- und Niederkurbeln der Storen.» Brügger, der hier in vierter Generation Fleisch trocknet, ist Traditionalist und Perfektionist zugleich. Er telefoniert sogar aus den Ferien täglich nach Parpan, um Anweisungen zum Klimaregime zu geben. Eine Offenbarung ist dann das Verkosten seiner Spezialitäten. Das marmorierte Bündnerfleisch toppt alles, was wir bisher versucht haben, bei weitem. Grosses Bild oben: Jörg Brügger (l.) mit Hansjörg Ladurner im Dachstock der Trockenfleisch Manufaktur in Parpan.
Turopolje-Schwein Zorten GR reserviert für Hansjörg Ladurner.
Der 15-Punktechef beim Bauern: Hansjörg Ladurner (l.), Bruno Hassler
Wie beten. Mit uns ist Hansjörg Ladurner. Er ist Küchenchef im «Scalottas Terroir», das zum Hotel «Schweizerhof» auf der Lenzerheide gehört. Hansjörg geht hier ein und aus, packt auch öfters mit an. Er kennt alles, was hier hängt. Vor allem die Stücke, die er für seine eigene Küche reserviert hat. Jörg Brügger schätzt er sehr. «Er arbeitet äusserst konzentriert. Wenn er über ein Stück Bündnerfleisch gebeugt ist, sieht es aus, als würde er beten. Viel Fleiss braucht es auch in diesem Metier. Jedes Stück wird sechzig bis siebzig Mal in die Hand genommen, bevor es das Haus verlässt. Jörg kann sein Fleisch lesen wie ein Buch. Eine Waage braucht er bei der Arbeit nicht.»
Familiensache: Jörg Brügger von der Trockenfleisch-Manufaktur in Parpan.
Bündnerfleisch der Extraklasse: Gianina Brügger führt den Laden mit vielen Spezialitäten.
Streichelzoo. Natürlich wollen wir auch wissen, wo denn das Fleisch herkommt, das bei Jörg Brügger und Hansjörg Ladurner landet. Zu diesem Zweck fahren wir nach Zorten/GR und besuchen Bruno Hassler. Er zieht für Ladurner zwei Turopolje-Schweine gross. Die Tierchen fühlen sich in der tief verschneiten Berglandschaft sauwohl. Zufrieden sind auch die Ziegen, die Bruno zu Dutzenden in einem alten Stall hält. Besonders putzig sind die zahlreichen Kleinen. Noch etwas ungelenk erkunden sie die Umwelt. Das jüngste ist allein mit seiner Mutter in der Box und trinkt eifrig. «Es wurde um 13 Uhr geboren», berichtet Bruno. Jetzt ist es 15 Uhr. So niedlich, dass es verboten sein müsste.
Hansjörg Ladurner kennt sich aus in der Parpaner Trockenfleisch-Manufaktur.
Terroir und Qualität. Letzte Station: Die Küche des «Scalottas Terroir». 15 GaultMillau-Punkte hat sich Hansjörg Ladurner hier erkocht. Unkonventionell ist zunächst der Aufbau der Karte. Man isst à la carte, aber es gibt keinen Preis für die einzelnen Teller. Man zahlt pauschal nach Anzahl Gängen. Wer wieder einmal Murmeltier oder Steinbock probieren möchte, ist hier goldrichtig. Hansjörg stellt uns Bündnerfleischtatar, marmoriertes Bündnerfleisch mit Berggetreide-Brioche und Apfelchutney zusammen. Das Getreide wird im Ortsmuseum von Zorten auf einer historischen Mühle gemahlen. «Ich bin immer für Tradition, sofern die Qualität stimmt», kommentiert Hansjörg. Weiter gehts mit Siedfleisch und Wurst vom Schwarzen Alpenschwein, Dörrbohnen, Senf-Eis - das ist zugleich rustikal und raffiniert. Die Einleitung: Schüttelbrot mit Randensauerrahm und Bärlauchkapern, Speck vom Turopolje-Schwein, Süsskartoffelschaum, Arvenkalb, Urner Alpenbutter - Sous-Chef René Bissig ist ein Ürner. Hansjörg Ladurner kocht das alles mit lockerer Hand. Er ist auch nie um einen träfen Spruch verlegen. Beispiel? «Hinter jedem starken Koch steht ein starkes Produkt.»
