Text: Kathia Baltisberger Fotos: Pascal Grob
Verschmähte Stücke. «Schau dir mal diesen Hechtkopf an: Da ist noch so viel Fleisch dran, das kann man ganz easy auslösen», sagt Nicole Hasler, zückt ein Messer und befreit den Fisch von seiner Haut. «Diese Konsistenz – wie ein Meeresfisch!» Sie schneidet das Fleisch ganz fein, beträufelt es mit Limettensaft – fertig ist das Hechtceviche. «Bei den Fischhändlern sind die Köpfe eigentlich nur Deko. Aber die haben immer Freude, wenn das jemand will.» Nicole Hasler ist weder Köchin, noch Metzgerin. Und doch hat sich die 34-Jährige dem «Nose to tail»-Konzept verschrieben. Angefangen hat sie mit dem Blog «zum fressn gern». Mittlerweile besitzt sie eine Agentur und arbeitet als Beraterin in der Fleischbranche, hält Vorträge gibt Workshops oder half schon bei der Entwicklung einer Blutwurst.
Herz, Zunge, Hirn – ihr Tiefkühler hat schon fast alles beherbergt, was ein Tier so hergibt. Nicole Haslers Steckenpferd sind aber die Innereien. Was andere verschmähen, landet bei Nicole auf dem Teller. Auf ihrem Blog gibt es Rezepte zum Nachkochen. «Wir haben so eine unglaubliche kulinarische Vielfalt und trotzdem essen wir nur Filet und Entrecôte», sagt Nicole. «Eine Zunge ist auch zart. Oder eine Blutwurst hat eine viel seidigere Konsistenz als jedes Muskelfleisch.» Nicole brät die Zunge auch einfach nur kurz an, so dass sie noch schön rosa ist, und serviert sie mit einer Salsa aus Pfirsich aus dem Zürcher Oberland. «Das Geschmackserlebnis einer kurz gebratenen statt lange gesiedeten Zunge ist ein ganz neues. Das ist der Kern der Nose-to-tail-Debatte: Jedes Stück des Tieres neu entdecken und zelebrieren.»
Kulinarische Vielfalt. Es gehe ihr nicht darum, dass jetzt alle nur noch Innereien essen. «Das ist absurd, Güggelihoden sind zwar mega fein, aber davon gibts ja noch weniger als Filet. Es ist wichtig, dass wir nicht alle immer dasselbe essen. Ich sage auch nicht, Filet ist blöd. Aber es gibt noch weit mehr zu entdecken.» Nicole will auch nicht immer noch ausgefallenere Stücke präsentieren – auch wenn das am Anfang natürlich viel Aufmerksamkeit generiert habe. «Es braucht vielleicht ein bisschen Mut, aber mir geht es darum, dem Konsumenten zu zeigen, dass es auch noch andere spannende Stücke gibt.» Zum Beispiel Rindermilken. Die vom Kalb gelten als Delikatesse. Rindermilken kennt man jedoch nicht. Nicole Hasler fragt sich warum. «Fein mariniert und am Spiess gebraten, schmecken die genauso gut wie die vom Kalb.»
Wertvolles Produkt. Missionieren will Nicole Hasler nicht. «Das Konsumverhalten ändert sich nicht so schnell. Niemand kann von Null auf Hirn. Und man kann auch niemanden zwingen.» Trotzdem geht es ihr um das Bewusstsein, was man denn da isst. «Ich finde es wichtig, dass man das Tier wieder mehr in den Vordergrund stellt. Es sind Nutztiere, die für unseren Konsum sterben. Das kannst du bei einem Muskelfleisch gut ausblenden. Bei einem Herz merkt man, dass es ein Tier ist.» Nicole scheut sich auch nicht, selbst bei Schlachtungen mitzuhelfen. «Wenn wir ein Tier töten, ist es in unserer Verantwortung, aus dem wertvollen Produkt etwas Schönes zu machen.»
Schweineuterus, Rindermilken, Lammkopf: Nicole postet alles auch auf Instagram. Einige User reagieren dann schockiert, schreiben «eklig» unter das Bild, werten es als Abfall ab oder kritisieren grundsätzlich das Töten der Tiere. Nicole antwortet mit einer gehörigen Portion Ironie: «In Zukunft poste ich nur noch anonymes Muskelfleisch, so dass der Konsument möglichst nicht dran erinnert wird, dass sein Abendessen mal ein Lebewesen war.» Immer sachlich und fachlich kompetent. An Argumenten fehlt es Nicole Hasler nicht. «Es ist natürlich nicht mein Ziel, Veganer vom Fleisch essen zu überzeugen. Ich will Fleischesser überzeugen, bewusster Fleisch zu essen. Ich denke, ich habe eine Sprache entwickelt, um halt anders über diese Dinge zu berichten und meine Begeisterung für verschmähte Delikatessen zu transportieren.»
«Nose to tail» ist im Trend – auch in der Gastronomie. Doch Trends kommen und gehen, das weiss auch Nicole Hasler. «Mir hat mal jemand gesagt, Innereien seien ja schon längst wieder out, wieso ich das noch mache. Für solche Aussagen habe ich kein Verständnis. Mir geht es nicht um den Trend, sondern darum dass sich der Konsument oder der Gastronom überlegt, was er daraus ziehen und langfristig ändern kann.»