Text: Isabel Notari Fotos: ???
Werner Kast, die ganze Welt ist zurzeit verrückt nach Sauerteig …
Ja, nicht wahr? Es ist eine richtige Sauerteigwelle ausgebrochen – was mich sehr freut.
Warum dieser Hype?
Natürlichkeit ist in der Ernährung wieder angesagt. Also weg von der Industrialisierung, das ist das grosse Thema. Und Sauerteig ist Natur pur, weil er selber gezüchtet werden kann, ohne Industriehefe. Das macht das Brot so spannend.
Ist Sauerteig typisch schweizerisch?
Nicht unbedingt. Das gesäuerte Brot ist weltweit bekannt und beliebt. Das grösste Wissen darüber haben die Nordländer, die Österreicher und die Deutschen. Michael Steimer, ein renommierter deutscher Bäcker, hat mir vor vielen Jahren das Wissen darüber weitergegeben.
Die Rezepte sind kein Geheimnis? Bleiben die nicht jeweils in der Familie?
Bei mir nicht. Es wäre doch schade, sein Wissen nicht weiterzugeben. Jeder Handwerker hat sowieso seine eigene Arbeitsweise und Handschrift, dadurch ist das Brot ja auch nicht immer gleich.
Je saurer das Brot, umso beliebter?
Das kann man so nicht sagen. Gerade in der Schweiz mögen die Kunden das Brot weniger gesäuert. Die Nordländer sehen das wiederum anders. Genau dieses Spiel mit der Säure ist für Bäcker so faszinierend und lässt uns alle Freiheiten.
Wie oft züchten Sie denn Ihren Sauerteig?
Jeden Herbst. Das ist die beste Zeit, dann schwirren wegen der vielen frischen Früchte am meisten Hefezellen in der Luft herum. Die Natur ist reich, man riecht es förmlich. Auch von den Beeren, die vergären. Das ist nichts anderes als Hefe, die bereits in der Natur arbeitet. Die beste Zeit also, um den Sauerteig zu züchten, ihm einen Nährboden zu geben.
Kann das der Laie auch?
Ja, man muss einfach sehr genau und sauber arbeiten, sich an Zeiten und vor allem an konstante Temperaturen halten.
Wie geht das genau?
Wer Lust hat, selber einen Sauerteig anzusetzen, dem empfehle ich das Rezept im Buch «A Casa» von Claudio Del Principe. Die Herstellung der «Livieto madre», wie sie auf Italienisch heisst, beschreibt er liebevoll und ausführlich.
Aber so auf die Schnelle als Anreiz: Wie geht das?
Ruckzuck geht bei einem Sauerteig leider gar nichts. Aber ich versuche mal, es etwas rudimentär zu erklären: Circa 50 bis 100 Gramm reife Früchte, zum Beispiel Trauben, zerdrücken. Zwei Deziliter Wasser, das 35 Grad warm sein muss, dazugeben. Die Temperatur darf nicht über 36 Grad steigen – und das für mindestens acht Stunden.
Da muss man aber einen geeigneten Ort finden.
Ja, ausprobieren und Temperatur messen. Bei mir in der Backstube ist das quasi die normale Raumtemperatur. Ich kenne hier jede Wärmezone. Im Privathaushalt ist das schwieriger. Da muss jeder selber den idealen Platz finden. Wichtig ist eine gleich bleibende Teigtemperatur von 30 Grad. Sind die acht Stunden vorbei, riecht man, dass sich etwas getan hat. Dann wird im Massstab 1:1:1 mit der – noch wenig blubbernden – Masse, hellem Roggenmehl und Wasser ein Teig angesetzt. Nach acht Stunden nehme ich von diesem Teig wieder je 100 Gramm Blubbermasse, Roggenmehl und Wasser. Das wird alle sechs bis acht Stunden wiederholt. Nach zwei Tagen blubbert es schon ganz heftig in der Schüssel.
Und ein Sauerteig ist geboren. Wo wird er aufbewahrt?
In einem Glas im Kühlschrank. Ist er aber nicht gelungen, sollte man sich nicht scheuen, alles wegzuwerfen. Und wieder ganz von vorne anfangen.
Der Sauerteig muss ja betreut werden. Kann man überhaupt in die Ferien gehen?
Die wilden Hefestämme sind sehr viel stabiler als die Kulturhefe. Ich behaupte, sie halten sich sogar drei Wochen lang im Tiefkühler. Viele Nordländer lassen ihren Sauerteig aber nicht alleine zu Hause, nehmen ihn sogar mit auf Reisen, damit sie ihn füttern können!
>> Werner Kast, 53, steht seit 35 Jahren mit viel Freude in der Backstube. Sauerteig ist seine grosse Leidenschaft. Mit seinem Spezialbrot hat er schon zwei Silbermedaillen eingeheimst. Auch Topköche sind von ihm angetan und lassen sich die Spezialitäten in die Gourmetrestaurants in der Ostschweiz liefern.
>> Bäckerei Kast AG
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