Text: Pascal Grob Fotos: Pascal Grob, Beinta á Torkilsheyggi, Claes Bech-Poulsen

Sie waren die erste Sommelière auf den Färöer Inseln und arbeiten im «Koks». Wie kommen Sie auf die Idee, vom Oberaargau im Kanton Bern hierhin zu ziehen?

 

Bereits als Kind bin ich oft nach Skandinavien gereist, da mein Vater aus Norwegen stammt. Nach meiner Kochlehre beim Chrüter-Oski, arbeitete ich bei Vreni Giger im Jägerhof in St. Gallen, bevor ich mich für eine Zweitausbildung an der Hotelfachschule im Zürcher Belvoirpark entschied. Nach dem Abschluss wollte ich ein Restaurant mitgestalten und eigene Ideen verwirklichen. In der Schweiz sah ich keine Möglichkeiten. Daher trieb es mich aufgrund der neuen nordischen Küche nach Dänemark – beeindruckt vom Besuch im «Noma». Ich absolvierte eine Ausbildung zur Sommelière und arbeitete nebenbei in einem klassischen Hotelrestaurant. Eines Tages kam ein Gastrokritiker vorbei und erzählte mir von der offenen Sommelier-Stelle im «Koks» und vermittelte mich Ende 2013 kurzerhand dorthin.

 

Sie kannten die Färöer Inseln bereits?

 

Im Gegenteil: Ich wusste nicht mal, wo sich die Inseln befinden. Übers Restaurant fand ich im Internet fast nichts, dafür umso mehr Fotografien der atemberaubenden Natur, die mich faszinierten. Und die Arbeitsstelle klang nach einer einmaligen Chance. Der Entscheid dorthin zu ziehen, fiel mir leicht.
 

Das «Koks» liegt eine halbe Autostunde entfernt von der färöischen Hauptstadt Tórshavn.

Eine «Kleine Pilgermuschel» als Einstieg in die Welt des «Koks» – nur wenige Stunden zuvor aus dem Meer geholt.

Der Wechsel von der Köchin zur Sommelière scheint ungewöhnlich. Wie kam es dazu?

 

Da spielten viele Faktoren eine Rolle. Einerseits komme ich aus einer Geniesser-Familie. Wir kochten meistens selbst und haben dadurch auch gerne Wein getrunken. Mein Bruder fing bereits mit 15 Jahren an Weine zu sammeln und zu trinken, was definitiv abfärbte. Andererseits bewunderte ich schon immer die Position des Sommeliers. Ein guter Sommelier verfügt über umfassende Kenntnisse zu Weinbauregionen und der Beschaffenheit der Böden – Geographie gehörte schon immer zu meinen Lieblingsthemen. Und mir gefällt der nahe Kontakt zu den Gästen.

 

Seit 2017 würdigt der Guide Michelin die Küche des «Koks» mit einem Stern. Worauf spezialisiert sich das Restaurant?

 

Zusammen mit Küchenchef Poul Andrias Ziska leite ich das «Koks» seit Januar 2014. Wir verwandelten das Lokal von einem Hotelrestaurant mit vier Gängen in ein Restaurant mit 18-Gang-Degustationsmenü, das sich auf lokale Produkte fokussiert. Welche Zubereitungsart eignet sich am besten für einheimische Vögel wie dem Eissturmvogel? Welche Kräuter können wir noch auf den Inseln finden? Wir bieten dem Gast bereits jetzt einen interessanten Einblick in die färöische Küche, aber sind noch lange nicht am Ziel. Taucher holen für uns Krustentiere an Land, von denen selbst sie noch nie gehört haben, während wir unbekannte Zutaten pflücken und damit experimentieren. Wie die Pinselbüschelalgen, die im Dörrgerät plötzlich einen Trüffelgeruch entwickelten.

Seeigel mit eingelegten Petersilienstängel gehört zu den ersten Gerichten im Mehrgängemenü.

Im «Koks» kehrt Küchenchef Poul Andrias Ziska zu seine färöischen Wurzeln zurück.

Die Qualität der Meeresfrüchte im «Koks» ist phänomenal.

 

Einmal hatten wir ein Pop-Up in Kopenhagen. Da kriegten wir von unseren Tauchern auf den Färöer Inseln frische Zutaten, die sie einen halben Tag zuvor aus dem Meer geholt haben. Doch für uns waren sie bereits nicht mehr frisch genug. Fürs «Koks» stecken Taucher ihre Beute in eine Gitterkiste, die an einer Brücke befestigt im Wasser schwimmt. Wir holen sie dann zwei bis vier Stunden vor Servicebeginn.

 

Poul Andrias Ziska gilt als eines der grössten Talente der neuen nordischen Küche und kochte zuvor im dreifach besternten Restaurant Geranium in Kopenhagen. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit ihm?

 

Dank meiner Kochausbildung verstehen wir uns blendend. Viele Sommelier kennen nur die Service-Seite und suchen die besten Weinen aufgrund von Prestige oder Namen aus. Im «Koks» dreht sich jedoch alles um die Weinbegleitung. Poul Andrias degustiert meine Weine, ich probiere seine Gerichte. Und dann diskutieren wir. Manchmal präsentiert er mir ein Gericht und möchte einen passenden Wein dazu. Manchmal fesselt mich ein Wein, für den wir ein Gericht finden müssen.

Karin Visth in ihrem Reich: Das Kellergewölbe des Restaurants dient als Weinkeller mit idealen Temperaturen.

Fermentiertes Lammfleisch ist eine landestypische Spezialität. Welche Herausforderungen stellen solche Gerichte mit unüblichen Aromen an die Weinbegleitung?

 

Wir müssen die Weinbegleitung von Grund auf neu entdecken. Als Sommelier in Paris gäbe es dazu unzählige Nachschlagewerke, die erklären, wie Seezunge zu Weissem Burgunder passt. Doch wer alles nachlesen kann, scheut sich, etwas zu riskieren. Weine mit viel Tannin passen überhaupt nicht zu fermentiertem Fleisch – sie hinterlassen zusammen einen metallischen Geschmack im Gaumen. Stattdessen servieren wir dunkles Bier dazu. Auch fermentiertes Lammfett war eine Knacknuss für die Weinbegleitung. Hier scheiterten 99 Prozent der Weine. Dann fanden wir einen passenden Madeira. Sake wäre die nächstbeste Option gewesen.

 

Worauf legen Sie den Fokus bei der Wein-Auswahl?

 

Beim Essen fokussieren wir uns auf Kleinproduzenten, einzelne Sammler oder Pflücker und arbeiten nahe mit ihnen zusammen. Dieselbe Philosophie übertrage ich auf meine Wein-Auswahl. Ökologisch, biodynamisch aber nicht zwingend Naturweine. Ich halte nichts davon, einzelne Weine zu verteufeln. Zu gewissen Gerichten passen Naturweine, zu anderen eher ein klassischer Riesling voller Schwefel. Wenns passt und uns Spass macht, kommts auf die Karte.

In den gemütlichen Räumen des Restaurants finden jeden Abend 18 Gäste Platz.

Ein phänomenaler Gang: Gesalzener Kabeljau an einer Petersilien-Miesmuschel-Sauce.

Welcher Aspekt der färöischen Kultur überraschte Sie am meisten nach den ersten Monaten?

 

Die Esskultur, mit der jeder Inselbewohner aufwächst: Sie jagen, fischen, pflanzen, fermentieren. Auf den Färöer Inseln leben mehr Schafe als Menschen. Und jeder Bewohner besitzt ein solches Schaf. Wenn wir sie im Herbst schlachten, verwerten wir das gesamte Tier. Einen Teil frisch, ein anderer Teil wird fermentiert und das Blut kommt in eine Wurst. Fleisch und Fisch kauft man selten im Lebensmittelgeschäft. Generell müssen wir wenige Nahrungsmittel kaufen. Stattdessen tauschen Inselbewohner Produkte untereinander. Wir haben Hühner zuhause, deren Eier wir gegen Langusten vom Fischer eintauschen. Und Zuhause kochen dann alle nach eigenem Familienrezept. 

Atemberaubende Natur: Inmitten dieser Kulisse steht das Restaurant Koks.

Seit viereinhalb Jahren wohnen Sie bereits auf den Färöer Inseln. Vermissen Sie die Schweiz?

 

Am meisten vermisse ich meine Familie. Ansonsten aber auch einfache Dinge, wie Gemüse anpflanzen zu können ohne grösseren Aufwand. Oder einen Apfel vom Baum zu pflücken und reinzubeissen. Dieses Jahr hatte ich kein einziges Mal frische Spargeln – eine Katastrophe! Ich liebe Spargeln! In der Schweiz wuchs ich mit einer Steinpilz-, Eierschwämmli- und Erdbeer-Saison auf. Und Kirschenbäume brechen fast unter dem Gewicht ihrer Früchte zusammen, während ich mich hier bereits mit einem Schüsselchen Kirschen begnügen würde. Immerhin liegt in meinem Tiefkühler immer Käse bereit für Fondue oder Raclette. Den bringt mir jeweils mein Besuch aus der Schweiz mit.

 

Was dürfen Besucher auf den Färöer Inseln keinesfalls verpassen?

 

Über die Tourismus-Website der Färöer Inseln können Besucher bei Bauern oder Familien zuhause ein Abendessen reservieren. «Heimablídni» nennt sich dieses Angebot. Einige kochen fünf Gänge, andere servieren einfach Brot mit landestypischen Spezialitäten. So kriegen Touristen den besten Einblick in die färöische Esskultur.

Ein Duo, das sich perfekt ergänzt: Küchenchef Poul Andrias Zika und Sommelière Karin Visth.

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Restaurant Koks
Frammi við Gjónna
Leynavatn
Faroe Islands

 

Reservationen unter http://koks.fo/en/