Text: Diego Colombarolli
Auf den Spuren des Murray-Clans. «The Glenturret», Schottlands älteste aktive Whisky-Destillerie, ist mit dem zugehörigen Lalique-Restaurant allein schon eine Reise wert. Mit dem historischen «Aberturret Estate House» ist die Genuss-Destination im kleinen Örtchen Crieff, 45 Autominuten nördlich von Edinburgh, nochmals um ein Schmuckstück reicher geworden. Das auf dem Areal gelegene historische «Witwenhaus» des Murray-Clans, der vor über 260 Jahren die Glenturret-Brennerei begründete, wurde sorgfältig und umfassend restauriert und kann nun zur exklusiven Nutzung gemietet werden. Mit sechs Schlafzimmern für bis zu 12 Gäste bietet das luxuriöse Gästehaus reichlich Platz; prächtige, offene Kamine, edle Stoffe und massgefertigte Möbel sowie antike Stücke verbinden das historische mit dem zeitgenössischen Schottland. «Ich bin stolz, dass wir dieses klassische schottische Herrenhaus, das mit der Geschichte des Murray-Clans so untrennbar verbunden ist, wieder zum Leben erwecken können», freut sich «Lalique»-Verwaltungsratspräsident Silvio Denz. Auch fürs leibliche Wohl der «Aberturret»-Gäste ist stets gesorgt – das Catering in der grosszügig bemessenen Küche mit Essbereich übernimmt auf Wunsch das wenige Gehminuten entfernte, zweifach besternte «Glenturret Lalique Restaurant».
Gin und Whisky – zwei ungleiche Brüder. Der Name «Aberturret» ist Programm. So auch beim neusten Wurf des Hauses Glenturret: «The Aberturret Gin»! Doch braucht Schottland, braucht die Welt einen weiteren Gin? Im historischen Kontext ist das zumindest durchaus schlüssig, ist doch das Grundprodukt, der «New Make Spirit» aus Gerstenmalz, bei beiden Spirituosen dasselbe – und manch eine Destillerie hat zuerst einen Gin produziert, um die Reifezeit des Whiskys zu überbrücken. «Jeder Gin sollte die Region widerspiegeln, in der seine Wurzeln liegen: Hier gelingt dies mit dem New Make Single Malt Spirit aus der berühmten Glenturret-Brennerei in den Highlands, der Heimat dieses Gins», geben Gin-Entwickler Joel Harrison & Neil Ridley zu Protokoll.
Kiefernadeln & Sumach vom Chefkoch. Doch nicht nur das: Auch einige der Botanicals, die diesem klassischen London Dry Gin nebst dem vertrauten Wacholder ihre Würze beisteuern, sind in der Umgebung zu finden: Mark Donald, der Küchenchef im «Glenturret Lalique Restaurant» war ebenfalls an der Entwicklung beteiligt, hat Kiefernnadeln und würzigen, wilden Sumach aus den umliegenden Wäldern beigesteuert. Mit seinem ausgewogenen Geschmacksprofil und einem Alkoholgehalt von 45% Vol. eignet sich der Aberturret-Gin ideal für klassische Cocktails wie Martini oder Negroni. «Wenn der Gin in einem Martini funktioniert, funktioniert er überall», meint auch der Schweizer Spirituosenexperte und Mitentwickler Peter Jauch. Die extravagante Flasche im «Lalique»-Design von Claudio Denz, dem Sohn des Besitzers, ist ein Hingucker in jeder gut sortierten Hausbar.
Schottisches Terroir, japanische Präzision. Dass man in den «Lalique»-Restaurants hervorragend isst, ist kein Geheimnis. Nach Paul Stradner in der «Villa René Lalique» im Elsass und Jerôme Schilling auf «Château Lafaurie-Peyraguey» im Sauternes hat auch Mark Donald im «Glenturret Lalique Restaurant» kürzlich den zweiten Michelin-Stern erhalten. Der gebürtige Schotte bietet an vier Abenden pro Woche ein Tasting-Menü an, das vornehmlich lokale Produkte in allerbester Qualität in den Fokus stellt – präzise und mit erstaunlicher Akribie zubereitet, dabei doch überraschend zugänglich und keineswegs verkopft. «Die Verfügbarkeit diktiert bei uns das Angebot, nicht andersrum», präzisiert Donald seine Philosophie, weshalb man abends auch nur ein fixes Menü anbietet und auf ein à la Carte Angebot verzichtet: «Wir bieten nur an, was wir zum jeweiligen Zeitpunkt in der bestmöglichen Qualität bekommen können.» Was nicht in unmittelbarer Umgebung beschafft werden kann, zum Beispiel Meeresfisch, soll auf jeden Fall aber von den britischen Inseln stammen. Natürlich mache man ab und zu auch Ausnahmen, etwa bei Spargeln oder Zitrusfrüchten: «There’s no lemons growing in Crieff», lacht er in dickem schottischem Akzent. Lob gibt’s auch von Silvio Denz: «Mark ist unser Country Boy, stammt aus der Region, kennt Land und Leute und weiss genau, was seine Gäste wollen. Deshalb geben wir ihm volle Freiheit.»
Mark Donald, der «Country Boy». Der Chef, gestählt im In- und Ausland (Edinburgh, London, Kopenhagen, Sydney) ist auf einer Farm in der Nähe der Destillerie aufgewachsen. Er bezieht seine Inspiration in der umliegenden Natur, streift durch die Wälder, sammelt Pilze und Kräuter. Was der junge Schotte und sein Team auf den Teller bringen, zeugt von einem tiefen Verständnis für das lokale Terroir. Ein Tatar von der alten Milchkuh mit lokalen Pilzen und Knochenmark-Hollandaise überzeugt mit saftigem Biss, üppigem Schmelz und dezentem Raucharoma. Ein Filetstück vom Rouget («Red Mullet»), entschuppt, 48 Stunden trockengereift, auf der Haut knusprig grilliert und mit Kürbis der Sorte Crown Prince kombiniert, schmeckt nach Lagerfeuer am Strand. Ein Stück Reh aus der Region «Scottish Borders» wurde über Wacholder leicht geräuchert und zusammen mit weissem französischem Spargel und einer lokalen Morchel mit Poulet-Farce zu einem denkwürdigen Hauptgang.
Fish ‘n’ Chips an der Bar. Mittags trifft man sich in der «Lalique Bar» zum unkomplizierten «Bar Lunch». Hausgemachtes Brot und Charcuterie, wunderbar zarte Kalbsmilken an koreanisch angehauchter Marinade. «Fish & Chips» in Perfektion: Schneeweisser Kabeljau in hauchdünnem, fast durchsichtigem Tempurateig, knusprige, fluffige Frites im Malzessig-Salz gewendet, hausgemachte Sauce Tartare mit unwirklich aromatischen, stecknadelkopfgrossen Kapern. Mark Donald beschreibt seine Küche als die Summe seiner Ambitionen, als Handschrift eines weitgereisten Heimkehrers, der auch schlechten Erfahrungen stets etwas Gutes abgewinnen konnte – man glaubt es ihm aufs Wort.
Schloss. Weine. Sterne. Der Begriff «Terroir», zuweilen überstrapaziert und gelegentlich zweckentfremdet, könnte im Falle von Glenturret nicht zutreffender sein: Angefangen beim kristallklaren Wasser für Gin und Whisky aus dem nahegelegenen «Loch Turret Reservoir», über die Geschichte von Clan Murray, bis hin zur regionalen und produktfokussierten Küche von «Country Boy» Mark Donald: «The Glenturret» destilliert die Essenz dieser grossartigen Region, will als Gesamtkunstwerk verstanden werden. Die vielgerühmte «Formel Denz» (Schloss, Weine, Sterne) scheint auch am Fusse der schottischen Highlands voll aufzugehen. Der nächste grosse Wurf aus dem Denz-Imperium ist bereits um die Ecke: Der altehrwürdige «Florhof» in Zürich soll 2025 neu eröffnet werden. Mit Starkoch natürlich; die «Fahndung» läuft.
>> Fotos: Gian Marco Castelberg, Diego Colombarolli, HO