Fotos: Roy Matter
Alles mit Leidenschaft. Man muss kein Italiener sein, um die kulinarische Schönheit des Landes zu verstehen oder sogar auf den Tisch zu bringen. Diesen Schluss lässt jedenfalls ein Besuch in der Trattoria Sempre in Bern zu, wo ein lässiger junger Küchenchef namens Santiago Esteban Arando Morales im Untergeschoss des Ristorante am Werk ist. Der erst 24-Jährige ist in Kolumbien aufgewachsen, mit der italienischen Küche kam er auf der anderen Strassenseite erstmals in Berührung, als er im «Più» arbeitete, das ebenfalls zur Bindella-Gruppe gehört. «Das Leben ist anspruchsvoll in Kolumbien, umso wichtiger ist es, die Dinge mit Leidenschaft anzugehen», erklärt Arando seine Herangehensweise.
Italienische Küche im Herzen: Chef Santiago Esteban Arando Morales.
Mit Liebe gekocht. Die knusprig-heisse Pizzetta Fritta jedenfalls, die fluffigen Gnudi (eine Art grosse Gnocchi aus Ricotta) oder die klassische Parmigiana, die der Küchenchef zum Teilen auf den Tisch stellt, sind so italienisch, wie sie nur sein können. Die Gerichte, so kann man es sehen, sind auch der Beweis dafür, dass das Kochen eine universelle Sprache ist, die überall verstanden werden kann – unabhängig davon, wer sie ausdrückt. «Wichtig ist es, mit Liebe zu kochen», bringt es Santiago Aranda auf den Punkt. Sein liebstes Gericht drückt genau dies aus, und auf seine Paccheri al Ragù ist Aranda besonders stolz: Die Sauce wird über mehr als zwei Tage zubereitet, Shortrib vom Rind muss dafür sorgfältig für 48 Stunden geschmort werden.
48 Stunden geschmort: Short-Rib-Ragù.
Etwas Kitsch darf sein: Dekoration in der Trattoria Sempre.
Bestseller auf der Karte: Pizzetta fritta mit Büffelmozzarella.
Kitschiges Spektakel. Der leicht zugängliche italienische Comfort Food macht allerdings nur einen Teil des Erfolgs der Trattoria Sempre aus. Durch seine geradezu spektakulär-kitschige Inneneinrichtung hebt sich das sympathische Ristorante markant ab von jedem anderen Lokal in der Bundesstadt (und weit darüber hinaus). Spielzeug-Ferraris stehen in einem Schaukasten, die Treppe hinunter zu den Toiletten wird von Tellern gesäumt, die nahtlos die kompletten Wände bedecken und überall sind überraschende Kleinigkeiten zu entdecken. Sie wecken wahlweise Kindheitserinnerungen oder die schwer stillbare Sehnsucht nach italienischer Lebensfreude. Für die ungewöhnliche Dekoration sind der kreative Gastronom Sami Khouri und Rudi Bindella verantwortlich. Die Hunderten von Objekten und Bildern haben sie eigenhändig bei ausgedehnten Streifzügen auf Flohmärkten zusammengetragen.
Mut zum Kitsch: eines der vielen Deko-Details in der Trattoria.
«Immer voll.» Und es funktioniert: «Wir sind eigentlich immer voll besetzt, abends bekommt man ohne Reservation fast keinen Platz», sagt Geschäftsführer Davide Scarlatto über die Buchungslage der Trattoria mit ihren 72 Sitzplätzen. Der 41-Jährige stammt aus Kalabrien und ist als Gastgeber ebenso leidenschaftlich wie sein Kollege in der Küche. «Die Dichte an italienischen Restaurants in Bern ist sehr hoch, da ist es wichtig, sich abzuheben», sagt Scarlatto über die Wichtigkeit eines einzigartigen Stils.
«Man muss die Dinge mit Leidenschaft angehen»: Küchenchef Arando.
Am Tisch zubereitet: klassischer Bellini-Cocktail.
«Es ist wichtig, sich abzuheben»: Gastgeber Davide Scarlatto.
«Ci vediamo.» Im ungewöhnlichen Ambiente werden den Gästen mittags, wenn es schnell gehen muss, vier Menüs als Tellergerichte serviert (ab Fr. 21.–), immer dabei ist ein Spaghetti-Gericht. Dies ist gewissermassen eine historische Referenz an die frühere «Spaghetti Factory», die vor der Eröffnung der Trattoria Sempre Ende 2024 in den Räumlichkeiten untergebracht war und den Ruf einer gastronomischen Institution in Bern hat. Abends, erklärt Gastgeber Davide Scarlatto, werde mit Hilfe von Kerzenlicht und italienischer Musik jeglicher Stilrichtungen eine spezielle lebendige Stimmung geschaffen. Dann wird auch mal ein klassischer Bellini am Tisch zubereitet und bei aller Lockerheit sei Perfektion wichtig, sagt er. «Alles muss stimmen, damit die Gäste zufrieden sind.» Denn darum geht es in der Trattoria Sempre auch nach den Vorstellungen von Rudi Bindella: «Unser oberstes Ziel ist es, dass sich die Gäste wohlfühlen und wiederkommen.» Das ist so etwas wie ein ur-italienisches Prinzip – «ci vediamo», auf Wiedersehen, sagt man umgangssprachlich dazu.