Wagyu im Stall. Auf einer kleinen Waldlichtung oberhalb des 2300-Seelen-Dorfes Hohenrain im Kanton Luzern in einem ausgebauten Bauernhaus wohnt Familie Anderhub. Philipp, 37, Fabienne, 31, Annabel, 6, und Luisa, 4. Neben dem Haus steht ein Stall, das Dach müsste mal saniert werden, doch das hat noch Zeit. Familie Anderhub konzentriert sich auf das, was sich im Stall befindet: ein gutes Dutzend Rinder und Mutterkühe. Das Besondere daran? Es handelt sich bei den Tieren nicht nur um gewöhnliche Hausrinder, sondern auch um Wagyu-Rinder. Wagyu oder Kobe ist das stark marmorierte Rindfleisch aus Japan – durchzogen würde der Banause sagen. Dabei ist es der hohe Fettanteil, der den unglaublichen Geschmack ausmacht.
Embryonen importiert! Seit 2005 werden Wagyu-Rinder in der Schweiz gezüchtet. Kobe darf man es nur nennen, wenn die Tiere aus der japanischen Region Kobe stammen und dort aufgewachsen sind. Die Anderhubs mischen seit 2009 mit. «Wir haben damals vier Embryonen aus Deutschland importiert und in Leihkühe eingesetzt», erzählt Philipp Anderhub. Eine befruchtete Eizelle kostet rund 1000 Euro. Danach wurden die Tiere eingekreuzt. Wenn ein herkömmliches Rind mit Wagyu-Samen befruchtet wird, entsteht ein Tier mit Wagyu-Blutanteil von 50 Prozent. Die Nachkommen der 50-Prozent-Rinder haben einen Wagyu-Blutanteil von 75 Prozent und die Nachkommen dieser besitzen einen Anteil von beinahe 100 Prozent. Die schwarzen Wagyu-Rinder (Japanese Black) sind massiger im Schulterbereich und hinten schmaler.
Was frisst so ein Wagyu-Rind? «Viel Mais! Hinzu kommt noch ein spezielles Kraftfutter», sagt Anderhub. In den warmen Monaten sind die Rinder auf der Weide. «Wir lassen sie morgens raus und holen sie abends rein. Meine Frau und ich teilen uns die Arbeit», sagt Anderhub, der nicht nur Wagyu-Rinder züchtet, sondern auch als Feuerwehrmann bei Schutz & Rettung Zürich arbeitet. «Reich werden wir damit nicht. Dafür ist unsere Zucht zu klein. Aber der Lohn ist, dass wir so idyllisch leben dürfen. Das ist unser Traum», schwärmt Fabienne Anderhub. Das Ziel wäre dennoch, irgendwann nur noch Wagyu-Rinder zu haben. Und was hat es mit dem Bier auf sich, das Kobe-Rinder angeblich verabreicht bekommen? «Das trinken wir lieber selbst», sagt die gelernte KV-Angestellte und lacht. Auch massiert werden die Tiere nicht. «Das tut denen sicher gut, aber auf das Fleisch und den Fettgehalt hat das keinen Einfluss.» Herkömmliche Fleischrinder werden nach einem Jahr geschlachtet. Wagyu-Rinder werden bis zu drei Jahre alt. «Philipp leidet sehr, wenn die Tiere in die Metzgerei gefahren werden», verrät Fabienne Anderhub. Obwohl ein Teil der Rinder zum Verzehr gedacht ist, hängt die Familie an den Tieren. Aber man müsse sich auch abgrenzen. Deshalb bekommen diejenigen, die geschlachtet werden, auch keine Namen.
Ein Fall für Raphael Tuor. Der 16-Punkte-Koch bietet in seinem Restaurant «Reussbad» in Luzern verschiedene Wagyu-Gerichte an. Das Fleisch stammt aus Hohenrain. Deshalb ist er auch ab und zu vor Ort und begutachtet, was Monate später auf den Tellern seiner Gäste landen wird. In der Metzgerei übernimmt dann Herbert Rüttimann, 60. In seiner Metzgerei werden die Wagyu-Hälften hängend gelagert. «Es kommt auf die richtige Kühlung an, aber sonst lässt man das Rind einfach so sein», erklärt der Metzgermeister. Fünf bis sechs Wochen ungefähr, das entscheidet der Kunde, der das Fleisch am Ende erhält. «Wenn man das Rind aufschneidet, sieht man das intramuskuläre Fett. Beim Wagyu zählt der Marmorierungsgrad.» Die Skala reicht von 1 bis 12, wobei 12 ein Fettanteil von etwa 50 Prozent bedeutet. Je höher der Fettanteil, desto zarter und geschmackvoller das Fleisch. Für den europäischen Geschmack ist die Klasse 8 ideal.
Nose to tail! «Dieses Fleisch ist nahe an der Perfektion. Das hätte ich gerne selbst», schwärmt Raphael Tuor. Doch der Luzerner muss sich noch etwas gedulden. Seine nächste Fleischlieferung weidet noch in Hohenrain. Tuor verwertet nicht nur Edelstücke: «Ich habe aus der Brust Siedfleisch gekocht und aus der Bouillon anschliessend einen Gelee gemacht», sagt Tuor. Hinzu kommen fein gewürfelte Fleischstücke und Gemüse. Fertig ist das Wagyu-Sülzli. Serviert wird es mit einer gebeizten Vierwaldstättersee-Forelle und Spargeln – alles aus der Region. «Die Gäste kommen immer häufiger wegen des Wagyu-Rindes ins Reussbad.» Wagyu-Entrecôte ist besonders beliebt. Viel zu tun gibt’s nicht. Scharf anbraten und mit Salz und Pfeffer würzen. Tuor serviert das Stück Fleisch mit einer Albula-Bergkartoffel-Terrine und einem Pommes Chips, dazu gibt es Frühlingsgemüse und etwas Jus. Und das für 60 Franken. Fair! Das Fleisch ist butterzart und schmeckt auch buttriger als ein Entrecôte vom gewöhnlichen Rind. Ein Traum! Und sollten Sie mal in den Genuss eines solchen Fleisches kommen: Wagen Sie es ja nicht, das Fetträndchen wegzuschneiden!
>> Restaurant Reussbad, Luzern. 16 GaultMillau-Punkte.
www.reussbad-luzern.ch