Text: Anita Lehmeier
DIE GEISSÄHEIMET IN STANS. Es gibt wohl nicht viele Scheffs, die vom Team mit so viel Euphorie empfangen werden wie der Toni Odermatt. Kommt der Bauer der Geissäheimet Meierskählen in Stans NW frühmorgens an seinen Arbeitsplatz, in den Stall, wird er vielstimmig begrüsst. Zwar mit Gemecker – so äussern Geissen halt ihre Freude. Ein paar Ziegen drängen sich sofort um die Beine vom «Chälen-Toni», holen Streicheleinheiten ab. Andere bleiben liegen, wenden ihre langen schlanken Hälse und beobachten ihren Boss interessiert. Die Atmosphäre im Stall am Fuss des Stanserhorn fühlt sich richtig familiär an, es riecht fein nach Heu, frischer Milch, warmen Tieren. Der Bock der Herde, der Sous-Chef, macht sich geruchlich nur aus der Nähe bemerkbar. Es sind rund hundert Geissen der Rasse Toggenburger, um die sich Odermatt tagtäglich kümmert, sie morgens und abends melkt; der «Kindergarten» mit den Jungtieren ist im Nebengebäude untergebracht.
ELF HEKTAREN STOTZIGES PARADIES. Der Toni kennt jedes einzelne Tier an der Fellzeichnung. Die meisten sind von dunklem Beige, ein paar braune mit Hörnern sind auch dabei. Die gehörnten benötigten mehr Sorgfalt im Umgang, so ein Horn sei schnell am falschen Ort und verursache mehr oder weniger üble Blessuren. «Aber ergeben die dunklen in den hellen ein schönes Bild als Herde», erklärt Odermatt und betont, wie robust diese Zweinutzungsrasse (Milch und Fleisch) ist. Elf Hektaren umfasst seine Geissäheimet, steiles Gelände und also ideal für die berggängigen und trittsicheren Tiere. Sie geniessen ihre Geissenleben lang – rund 10 Jahre – eine prachtvolle Aussicht auf den Bürgenstock und den Vierwaldstättersee - fast die gleiche wie Ausflügler von der Cabrio-Bahn aufs Stanserhorn. Zum Hof gehört eine Heuwiese im Nachbardorf Beckenried. So kann Odermatt den Bedarf an Heu sichern. Heute bleiben die Geissen im Stall, es regnet. Das mögen sie nicht. «Es sind halt Divas», meint Odermatt. Dreckige Füsse sind ihnen zuwider, also bleiben sie zuhause im Trockenen und picken mit spitzen Lippen die besten Kräuter aus dem Heu heraus.
VIEL BÜEZ, VIEL FREIHEIT. Vor genau zwanzig Jahren hat der Toni das Heimät von seinem Vater, einer legendären Figur in Nidwalden, übernommen. Der habe auch schon vom Vater übernommen, beide haben ihr Leben lang da buuret. «Einen klassischen Milchbetrieb mit Kühen hätte ich nicht weitergeführt, ein Auskommen hätte das steile Gelände nicht abgeworfen. Aber mein Vater hat schon 1990 auf Geissen umgestellt – damals wurde er von den Bauern rundum belächelt. Mit der Umstellung war aber für mich klar, dass ich den Betrieb übernehme und weiterführe. Und ich wusste: das bedeutet viel Büez, aber auch Freiheit», sagt er, der wie jeder schlaue Bauer auch Unternehmer ist, sein muss. Also hat Odermatt Junior erst Käser gelernt, erst in der Sbrinz-Käserei Hof vom Sepp Gut in Buochs, danach bei Flüeler in Alpnach Dorf. «Damals war es üblich, die Lehre in mehreren Käsereien zu machen», erzählt der 42-Jährige. Gleich neben dem Stall befindet sich die Käserei. Hier entstehen die Chälä-Rugeli, Frischkäserollen in der Art von Formaggini, die bei Privaten wie bei Star-Chefs gleichermassen begehrt sind. Im Sortiment sind auch Ricotta, nature und geräuchert; Ziegen-Quark sowie halbharter Rohmilch-Ziegenkäse, der im eigenen Keller sorgfältig geschmiert, gedreht und bis zu einem Jahr ausgereift wird. «Eiweiss und Fett der Milch von Toggenburger sind feiner, das ergibt die einmalige Konsistenz der Käse», erklärt der Fachmann. Pro Geiss gibt’s täglich rund drei Liter pro Tag, im Jahr wird auf Meierskählen rund sieben Tonnen Käse produziert.
PERSONALSUCHE PER FACEBOOK. Für die viele Büez, die das gibt, hat Odermatt helfende Hände gefunden – per Facebook! Seit März kann er leichte Routine-Arbeit an zwei Ukrainierinnen delegieren: Olga und Switlana kommen je zwei Tage auf den Hof und packen mit an. Die schwersten Tätigkeiten im Stall und Feld wie das Einzäunen erledigt er selber - «das isch Mannearbet!» - die Frauen helfen beim Käsen, Putzen, Abpacken. Olga hatte zuhause in der Ukraine selber Geissen. Die Arbeit auf der Geissäheimät mache sie glücklich, tröste sie über ihre Verluste des Krieges in ihrer Heimat. Seit langem stehen dem Toni zwei andere unverzichtbare Helferinnen zur Seite: seine Freundin Anita Zöhrer, eine Österreicherin, die seit langem in Nidwalden ihr Daheim gefunden hat. Sie erledigt die viele Büroarbeit, kümmert sich um die Bestellungen und den Onlineversand und arbeitet an drei Tagen usserhüsig in Luzern als Buchhalterin. Auch Odermatts Mutter Marlies hilft im Betrieb mit, sie ist die freundliche Stimme am Telefon von Meierskählen und die fleissigen Hände, wo immer solche gebraucht werden. Und eine hervorragende Köchin, die fürs leibliche Wohl des Teams sorgt. Selbstverständlich mit hofeigenen Sachen!
DIE ZERTIFIZIERTE HOF-METG. Neben dem Käse gibt’s von Meierskählen natürlich auch Geissenfleisch, frisches und getrocknetes, sowie luftgetrocknete Würste. «Wer Käse will, muss auch Fleisch essen» sagt Odermatt. Denn ohne Gitzi gäbs keine Milch zum Käsen. Alle Jungtiere aufzuziehen, geht aber platzmässig nicht. Und aus älteren Tieren gibt’s am Schluss noch feine Würste. Für den Chälen-Toni ist es eine Selbstverständlichkeit und Ehrensache, dass die ganzen Tiere verwertet werden. Und zwar von Nose to Tail. Ebenso, dass er seine Lieblinge nicht ins Tal transportiert zum Schlachten, sondern das selbst auf der zertifizierten Hof-Metzg macht, um den Tieren bis zum Schluss jeglichen Stress zu ersparen. Den meisten Gitzis hat er auch schon auf die Welt geholfen, alle lebenslang betreut. Um metzgen zu dürfen und können, hat Odermatt Kurse besucht, die erforderlichen Papiere und Kenntnisse erworben.
DEN JUNGSÄULI IST ES SAUWOHL. Ebenfalls im Sinne der ganzen Verwertungskette gehören zum Hof seit 2006 auch Molkensäuli. Die werden mit der eiweisshaltigen Molke aufgezogen – Leckerbissen für die Tiere. Odermatt zieht in zwei Ställen mit Auslauf je zwölf Ferkel gross, 120 Tage statt der üblichen 75 Tage bei konventioneller Schweinemast. Wie bei den Geissen könnte Odermatt auf dem verfügbaren Platz mehr Schweine halten, aber ihm ist das Tierwohl wichtiger als der Profit. Mit ihrem «nachhaltigen Wirken, der Qualität und dem Durchhaltevermögen» haben sich Odermatts die Auszeichnung «Premio» von Slow Food Schweiz verdient. Wie sauwohl es den Jungsäuli ist, zeigt auch hier ein Blick in den Stall. Die Molkensäuli kommen zum Schlachten zu Metzger Omlin im Ennetmoser Drachenried, wenige Kilometer von ihrem Daheim auf Meierskählen entfernt. Das Zerlegen und Verpacken und Ausliefern wiederum übernimmt dann wieder der unermüdliche Toni.
GAULTMILLAU-CHEFS SIND TREUE KUNDEN. Den Grossteil vom Käse und Fleisch liefert er in die Gastronomie. Die Chefs sind begeistert von der Qualität der Produkte. Zum Beispiel Fabian Inderbitzin vom Seerestaurant Belvédère in Hergiswil (17 Punkte), seit vielen Jahren Stammkunde von Toni. Zum Kundenstamm gehört auch zahlreiche GaultMillau-gelistetete Restaurants wie das Kempinski Palace in Engelberg OW, das Culinarium Alpinum in Stans NW, das Zwyssighaus in Bauen UR, der Vitznauerhof in Vitznau LU, in Luzern das «Madgi», das Gasthaus Wildenmann in Buonas ZG, in Zürich das Josef, das Equi-Table und das Italia. Und das O bolles in Bern. Schon vor dreissig Jahren bei Vater Odermatt eingekauft hat Chef Martin Meier vom Höfli/Rosenburg in Stans. Wer selber gern kocht, findet Meierskählen-Produkte am Samstags-Markt in Luzern im Helvetia-Gärtli, in der neuen Markthalle Luzern im Bahnhof, in Zürich in der Viadukt-Markthalle bei Berg und Tal und Tritt Käse, bei Carolyn Wiskemanns Nah und Fein am Rigiplatz und in Stäfa bei Pastiamo. Und seit Corona verschickt die Geissäheimet auch Produkte, in die ganze Schweiz.
>> Fotos: Simon Kurt, Digitale Massarbeit, Olivia Pulver, Nik Hunger