Fotos: Olivia Pulver
Ich habe die Anekdote gehört, dass während des Gourmet Festivals in St. Moritz der Julierpass gesperrt war. Bianchi hat alle Lieferungen in Landquart in ein Bianchi-Wägeli geladen und der Fahrer ist via Italien nach St. Moritz gefahren und hat pünktlich geliefert. Ist das eine einmalige Geschichte oder einfach Standard bei Bianchi?
Luca Bianchi: Diese Geschichte ist keine Ausnahme. Genau das, zeichnet uns aus.
Dario Bianchi: Wir könnten noch viele Geschichten erzählen!
Nur zu!
Luca Bianchi: Es kommt immer mal wieder vor, dass Zermatt eingeschneit ist. Dann organisieren wir einen Helikopter und liefern unsere Produkte so ins Dorf. Oder einmal hat ein Kunde einen Bluefin Tuna bestellt. Der Mitarbeiter, der ihn liefern sollte, kam zu uns und fragte: ‹Wie soll ich den ausliefern? Der wiegt 300 Kilo!› Da mussten wir erst eine Hebebühne organisieren.
Dario Bianchi: Bei den Kochweltmeisterschaften in Belgien wurde der Fisch aus Holland nicht zum Wettbewerb geliefert, sondern hierher nach Zufikon. Da ist ein Mitarbeiter in den Wagen gestiegen und mit dem Fisch nach Belgien gefahren. Manchmal denken wir uns spezielle Lösungen für bestimmte Lokale aus. Für ein Restaurant am Vierwaldstättersee, das eine extrem schmale Zufahrtsstrasse hat, haben wir eines unserer Bianchi-Wägeli so umgebaut, dass der Fahrer direkt vors Haus liefern kann. Das ist unser Alltag. Wir sind jeden Tag mit Herausforderungen konfrontiert. Unser Ziel ist, dass jeder Kunde pünktlich seine Ware erhält. An Weihnachten gehen wir erst nach Hause, wenn jedes Produkt beim Kunden angekommen ist.
Luca Bianchi: Wir können uns halt keine Fehler erlauben, weil unsere Produkte sehr delikat sind. Deshalb sind Dario und ich jeden Morgen bereits um 5 Uhr im Betrieb, damit wir allfällige Probleme angehen und lösen können.
Gerüchten zufolge gibt es noch ein paar wenige Köche, die Fleisch und Fisch ausschliesslich bei euren Vätern Paolo und Giulio Bianchi bestellen und keinen anderen Verkäufer dulden.
Luca Bianchi: Sagen wir mal so: Es gibt eine gewisse Rangfolge. Unsere Väter sind noch operativ tätig und haben ein paar wenige eigene Kunden. Dazu gehören Topköche, die eben sehr auf diese Person fokussiert sind und mit denen sie teils schon seit Jahrzehnten zusammenarbeiten.
Und was passiert, wenn sich eure Väter vollständig aus dem Geschäft zurückziehen?
Dario Bianchi: Dann müssen besagte Köche halt gleichzeitig in Pension gehen. (lacht)
Luca Bianchi: Unsere Väter haben bereits einige Kunden abgegeben. Aber mit vielen Köchen pflegen sie ein freundschaftliches Verhältnis. Peter Knogl (Cheval Blanc im Hotel Les Trois Rois in Basel, Anm.d.Red) ruft Darios Vater Giulio auch gerne mal um Mitternacht an, um etwas zu bestellen.
Ihr seid die CEOs in der Firma, eure Väter Paolo und Giulio Bianchi sind im Verwaltungsrat. Wie viel haben sie effektiv noch zu sagen?
Dario Bianchi: Strategisch haben sie schon eine grosse Verantwortung. Sie haben beide ihre Spezialthemen, bei denen sie sich einbringen.
Luca Bianchi: Bei allen zukunftsgerichteten Themen, die nichts mit Ein- und Verkauf zu tun haben, mischen sie sich nicht mehr ein. Wenn es um IT oder Marketing geht, lassen sie uns freie Hand. Auch bei Sitzungen zu den Neu- und Umbauten sind sie gar nicht mehr dabei. Ihnen ist wichtig, dass die Zahlen stimmen und die Kunden zufrieden sind.
Apropos bauen: Das Bianchi-Areal in Zufikon ist eine grosse Baustelle. Was wird alles neu?
Dario Bianchi: Wir merken einfach immer wieder, dass wir mit unseren Räumlichkeiten an Grenzen stossen. Zuletzt haben wir viel in die Fleischproduktion investiert und eine neue Fleischerei gebaut. Jetzt sind wir bei unserem Kerngeschäft, dem Fisch, wieder etwas zu klein. Wir vergrössern die Fischerei und die Delikatessenabteilung. Neu wird es einen Pilzraum geben, wo wir mit verschiedenen Temperaturen arbeiten können. Und die Büros für den Verkauf müssen vergrössert werden.
Luca Bianchi: Wir machen auch so viel neu, um den Arbeitsort aufzuwerten und unseren Mitarbeitern ein attraktives Arbeitsumfeld zu schaffen.
Dario Bianchi: Neu ist auch, dass wir einen dritten CEO haben. Alessandro Battaglia ergänzt uns quasi als neutrale Person. Er ist jemand, der immer sachlich bleibt. Das ist wichtig in einem Familienbetrieb, gerade wenn es emotional wird.
Luca Bianchi: Mit unserem Standort in der Westschweiz hat der Betrieb grundsätzlich an Komplexität gewonnen. Mit Alessandro können wir uns einfach noch breiter aufstellen.
Was macht ihr anders als eure Vorgänger?
Dario Bianchi: Wir haben ein funktionierendes Geschäft übernommen, das sehr gut aufgestellt ist, und wir konnten das Erfolgsrezept übernehmen. Wir haben gesehen, was Sinn ergibt und was funktioniert. Das möchten wir nicht verändern. Aber wir leben in einer Zeit, wo vieles digitaler ist. Diesen ganz brutalen Telefonverkauf von früher gibt es nicht mehr. Heute läuft vieles über Mail, Whatsapp oder den Onlinshop. Die Kommunikationswege zu unseren Kunden haben sich geändert. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir weniger mit unseren Kunden in Kontakt sind.
Luca Bianchi: Wir sind heute etwas professioneller aufgestellt. Bianchi war am Anfang ein Betrieb mit 40 Mitarbeitern. Als wir übernommen haben, waren es 300 und heute sind es noch mehr. Die Strukturen waren immer noch die eines KMU mit 40 Angestellten. Dadurch lasteten zu viele Verantwortlichkeiten auf den Schultern unserer Väter. Da sind wir jetzt professioneller aufgestellt, sodass das Geschäft auch läuft, wenn wir nicht da sind.
Wie war das eigentlich, als ihr in den Betrieb eingestiegen seid? Zwei Studierte! Haben euch die Büezer in der eigenen Firma ernst genommen?
Dario Bianchi: Unsere Väter haben das Geschäft immer sehr familiär gelebt. Und wir waren von Anfang an ein Teil dieser Familie. Deshalb war immer ein grosser Respekt vorhanden. Und für viele war es eine Sicherheit, dass eine nächste Generation den Betrieb übernimmt.
Luca Bianchi: Ein Generationenwechsel ist einerseits schwierig, gleichzeitig aber auch ein grosser Mehrwert. Die Angestellten wissen, dass es weitergeht und die Firma nicht an irgendeinen grossen Player verkauft wird. Diese Unterstützung haben wir immer gespürt. Und wir haben ein sehr breites Einführungsprogramm durchlaufen. Wir wurden in allen Bereichen eingearbeitet.
Dario Bianchi: Sicher gab es einige wenige, die Mühe hatten, dass wir übernehmen. Aber die haben sich mittlerweile damit arrangiert, dass jemand mit neuen Ideen kommt.
Luca Bianchi: Es erforderte sicher auch von unserer Seite eine gewisse Demut. Wir haben das wirtschaftliche Know-how. Von der Produkteseite her mussten wir sicherlich sehr viel lernen.
Dario, Sie sind für das Fleisch zuständig. Luca, Sie für den Fisch. Wie kam es zu dieser Aufteilung?
Luca Bianchi: Wir haben beide alles angeschaut und uns das Know-how angeeignet. Als unsere Väter verantwortlich waren, haben wir entschieden, übers Kreuz zu arbeiten. Das heisst: Ich habe mit Darios Vater Giulio den Fisch gemacht und Dario hat sich mit meinem Vater ums Fleisch gekümmert. Diese Aufteilung hat den Druck rausgenommen. Es war sicher einfacher mit dem Onkel zu arbeiten als mit dem Vater. Diese Formel hat sich bewährt und jetzt haben sich die Interessen entsprechend entwickelt.
Die Chefs stehen auf Produkte von kleinen Produzenten. Auch Bianchi mischt hier mit, nimmt immer mehr besondere regionale Produkte ins Sortiment. Ich denke da an Wagyu aus dem Aargau oder Apfelsäuli aus dem Thurgau? Lohnen sich solche Nischenprodukte?
Dario Bianchi: Absolut. Solche Produkte sind eine extrem gute Ergänzung zu unserem Sortiment. Das sind richtige Premiumlinien. Regionale Produkte sprechen Kunden an, die wissen, woher ihre Lebensmittel kommen. Und wir können eine Geschichte erzählen. Dadurch haben die Produkte einen höheren Preis und sind sicher nicht für die Masse gedacht. Aktuell bekommen wir etwa 30 Apfelschweine pro Woche. Das ist die perfekte Menge. Das Produkt ist sehr exklusiv, aber wir sind nicht sofort ausverkauft.
Es gibt immer mehr Fisch aus Schweizer Zuchten wie Lachsforelle aus Bremgarten oder Zander aus Susten. Ist regionaler Zuchtfisch die Zukunft?
Luca Bianchi: Zuchtfische aus der Schweiz sind sicher eine wichtige Ergänzung. Doch viele Köche wollen sich hier nicht auf die Schweiz beschränken, sondern auf die Qualität fokussieren. Da ist zum Beispiel Wildfang aus Frankreich oder Holland sehr spannend. Deshalb müssen wir international am Ball bleiben. Ausserdem macht es Spass, ein internationales Netzwerk aufzubauen und nahe am Produzenten zu sein. Beim Schweizer Zuchtfisch ist es zudem immer eine Preisfrage. Die Kosten schränken den Markt ein. Und auch für den Produzenten ist es ein zweischneidiges Schwert: Wenn man wirtschaftlich erfolgreich sein will, muss man im Detailhandel vertreten sein. Dann wiederum ist das Produkt für den Spitzenkoch nicht mehr so interessant.
Dario Bianchi: Wenn Schweizer Zuchtfisch die Zukunft sein soll, dann muss es wirtschaftlich «verheben». Aber weil man das Produkt nicht bis in die Unendlichkeit skalieren kann, ist das sehr schwierig.
Bianchi ist immer auf der Suche nach neuen Produkten. Wie scoutet ihr den Markt im In- und Ausland?
Luca Bianchi: Unser Einkaufsteam ist täglich in Kontakt mit unseren Lieferanten auf der ganzen Welt. Wir sind an Messen präsent und schauen uns Trends an. Wir lesen viel oder setzen uns mit dem Trendreport auseinander. Wir sind auch privat sehr foodinteressiert. Ich war gerade erst in Mexico City. Man geht in die Restaurants und schaut, was es dort gibt. Ich habe zum Beispiel den Kanpachi aus dem Golf von Mexiko entdeckt. Das ist eine Makrelenart. Dann haben wir geprüft, ob wir den importieren können. Wir starten eine Aktion und schauen, ob das Produkt beim Kunden ankommt. Und letztendlich kommt von unseren Köchen viel Input. Sie kommen mit spezifischen Produktanfragen und wir fragen sie, welche Grösse oder Qualität sie bevorzugen und warum.
Was darf man 2024 nicht verpassen?
Dario Bianchi: Wir haben eine neue Whiskey- und eine Cognacwurst im Sortiment
Luca Bianchi: Davon weiss ich gar nichts. Aber das klingt spannend. Es gibt noch ein weiteres unglaublich cooles Produkt in der Pipeline. Dario war kürzlich mit einigen Köchen im hohen Norden, um sich Kingcrabs anzuschauen. Der Produzent hat ein High-Pressure-Verfahren entwickelt, um das Fleisch auszulösen. Damit generiert man 100 Prozent Fleisch. Das ist wirklich unglaublich. Die Kingcrabbeine kann man dann vakuumiert und ohne jeglichen Abfall bestellen. Das sieht wirklich cool aus.
Dario Bianchi: Das ist ein interessantes Produkt, weil der Kingcrab eine invasive Krebssorte und somit eine Plage ist in Norwegen.
Luca Bianchi: Und der Kanpachi könnte bei den Sushiköchen gut ankommen. Den Fisch kann man sehr gut in der rohen Küche einsetzen. Jetzt warten wir auf Feedback.