Fotos: Olivia Pulver

Baujahr gibt Menü vor. Carlos Navarro steht in der Küche des Restaurants Rechberg 1837 und schält Pastinaken. Konzentriert und routiniert. «Die einfachen Dinge wie Rüsten finde ich immer noch am schönsten. Da komme ich fast in einen meditativen Zustand», sagt Navarro. Gemeinsam mit den Brüdern Alexander und Raphael Guggenbühl hat Navarro den «Rechberg» in den letzten neun Jahren zu einer festen Grösse in Zürich gemacht. Und das mit einem Konzept, das auf den ersten Blick nicht viel Spielraum zulässt. Es kommen nur Produkte auf den Teller, die es 1837 in Zürich gab – dem Baujahr des historischen Hauses. Industriell verarbeitete Lebensmittel? Fehlanzeige. 

Rechberg 1837 Zuerich - Maerz 2025 - Copyright Olivia Pulver

Modernes Lokal in altem Gemäuer. Das Gebäude stammt aus dem Jahr 1837. 

Erbsentartar mit Tropeazwiebeln und Lardo - Rechberg 1837 Zuerich - Maerz 2025 - Copyright Olivia Pulver

Erbsentartar mit Tropeazwiebeln und hausgemachtem Lardo.

Einschränkung oder Chance? Die Rechberg-Gründer haben dieses Konzept nicht aus Marketinggründen gewählt. Und auch nicht, weil es in den vergangenen Jahren einfach en vogue war, auf regionale Produkte zu setzen. Dahinter steckt eine intensive Auseinandersetzung mit Lebensmitteln und ein bewusstes Zurückgehen zu einer Zeit vor der industriellen Revolution, bevor Monokulturen und Prozessierung die Landwirtschaft dominierten. Das schliesst Produkte wie Kaffee, Schokolade und andere importierte Produkte aus. «Was andere als Einschränkung empfinden, setzen wir uns als Rahmen – und das Menü schreibt sich quasi von selbst.» 

Sauerteig Willi - Rechberg 1837 Zuerich - Maerz 2025 - Copyright Olivia Pulver

Das Brot wird im «Rechberg» immer selbst gemacht. Aus Sauerteig «Willi».

Sauerteigbrot, Butter, Buttermilch - Rechberg 1837 Zuerich - Maerz 2025 - Copyright Olivia Pulver

Ein Gang für sich: Sauerteigbrot, Butter und Buttermilch. 

Langjähriger Mitarbeiter: «Willi». Das ist natürlich ein Understatement. Die Saison und das Angebot der Bauern mag die Produkte vorgeben, damit sie aber zu schmackhaften Gerichten werden, dafür braucht es Talent und Kreativität. Navarro macht aus getrockneten Erbsen ein Tartar mit eingelegten roten Tropea-Zwiebeln und Lardo. Im «Rechberg» werden ausschliesslich ganze Tiere verwertet. Zum Beispiel ein Schwein vom Gut Reinau – halb Duroc, halb Hausschwein. Der Lardo für das Gericht ist hausgemacht. «Man muss das Fleisch nur einsalzen und sehr lange liegen lassen», erklärt Navarro. Sinnbildlich für den «Rechberg» steht das Sauerteigbrot, das beim Menü als eigenständiger Gang serviert wird. Für das Brot verwendet Navarro Aszitaweizen, eine alte Pro-Specie-Rara-Sorte. Der Sauerteig, der auf den Namen Willi hört, gibt es schon so lange wie den «Rechberg». Dazu gibt es frische Butter sowie für jeden Gast einen Gutsch Buttermilch – die Säure öffnet den Gaumen für alles, was noch kommt. Belohnt wird das Engagement vom GaultMillau mit 15 Punkten.

Carlos Navarro, Mitinhaber - Rechberg 1837 Zuerich - Maerz 2025 - Copyright Olivia Pulver

Carlos Navarro wählt nie den einfachen Weg. Denn der schwere zahlt sich irgendwann aus. 

Rechberg 1837 Zuerich - Maerz 2025 - Copyright Olivia Pulver

Im «Rechberg» gibt es auch immer wieder kulturelle Veranstaltungen.

Der strenge Weg. Das Gespür für Gastronomie bekam Carlos Navarro in die Wiege gelegt. Sein Vater Tony Navarro führte im Niederdorf rund 30 Jahre lang den «Turm». «Ich fand immer sehr cool, was mein Vater macht. Aber kochen habe ich nicht von ihm gelernt. Er hat immer gesagt: ‹Ich bin Wirt, nicht Koch!›» Das Handwerk lernte Navarro in der «Wirtschaft zur Höhe» in Zollikon, wo auch Koch-Ikone Daniel Humm schon gearbeitet hat. Danach folgten Stationen im Dolder, Navarro arbeitete bei Marcus G. Lindner im «Mesa» und heuerte beim Cateringunternehmen Franzoli an. Die wichtigste Lektion, die er auf seinen Lern- und Wanderjahren bekommen hat, war die von seinem damaligen Chef Nils Mager im Dolder. «Er sagte mir: ‹In der Küche kannst du immer den einfachen Weg oder den strengen Weg wählen. Der strenge Weg bringt dich weiter und bezahlt sich irgendwann aus.› Das trage ich heute noch in mir und sage häufig: Das machen wir nochmal und diesmal machen wir es richtig. Ich gehe eigentlich nie den einfachen Weg.»

Rechberg 1837 Zuerich - Maerz 2025 - Copyright Olivia Pulver

Carlos Navarros Geheimschrank: Hier sind die hausgemachten Würzmittel versteckt.

Rechberg 1837 Zuerich - Maerz 2025 - Copyright Olivia Pulver

Im «Rechberg» ist jede Zutat, jedes Produkt selbstgemacht – ausser der Käse. 

Rechberg 1837 Zuerich - Maerz 2025 - Copyright Olivia Pulver

Wegschmeissen? Auf keinen Fall! Aus der Pastinakenschale kann man Würze herstellen.

Andreas Bolliger managt das Tagesgeschäft. Das Rechberg-Ensemble führt nicht nur das Lokal bei der Zentralbibliothek, sondern auch das «Kultur Lokal Rank» im Niederdorf, das «Courtside Belvoir» – ein öffentliches Tennis-Club-Restaurant in Wollishofen – sowie die zwei Läden «Weber Comestible» in Zollikerberg und Binz bei Maur. Damit alles reibungslos funktioniert, hat Navarro seit rund drei Jahren einen Küchenchef im Rechberg, der für das Daily Business zuständig ist. Andreas Bolliger hat schon im Dolder gearbeitet und war zuletzt bei Sven Wassmer in Bad Ragaz, wo auch eine naturverbundene Küche zelebriert wird. «Ich vermisse die Berge, aber man findet auch am Üetliberg Wildkräuter – man muss nur wissen wo», sagt Bolliger, regelmässig nach Zutaten in der Natur sucht. 

Neu auch mittags geöffnet. Mit Andi Bolliger an der Front hat Navarro mehr Zeit für konzeptuelle und strategische Dinge. Denn nicht nur Projekte ausserhalb des «Rechbergs» sollen realisiert werden, auch das Mutterschiff soll weiterentwickelt werden. Neu gibt es nicht nur ein Menü, sondern auch eine À-la-carte-Auswahl. «Wir wollen die Hemmschwelle senken und den Rechberg zugänglicher machen. Vielleicht möchte jemand einfach drei Gänge essen und wieder gehen – das soll genauso möglich sein.» Ab Mai öffnet das Rechberg auch mittags wieder. Dann gibt es entweder ein einfaches, aber sorgfältig zubereitetes Mittagsmenü oder einen Business-Lunch, der einen Auszug aus der Abendkarte widerspiegelt. 

Carlos Navarro, Mitinhaber - Rechberg 1837 Zuerich - Maerz 2025 - Copyright Olivia Pulver

Navarros Küche im «Rechberg» wird mit 15 GaultMillau-Punkten ausgezeichnet. 

Rechberg 1837 Zuerich - Maerz 2025 - Copyright Olivia Pulver

Keine Marketingstrategie: Die «Rechberg»-Crew besinnt sich bewusst auf eine vorindustrielle Zeit.

Glace, Creme und Chips von der Pastinake - Rechberg 1837 Zuerich - Maerz 2025 - Copyright Olivia Pulver

Dessert aus Pastniaken-Glace, Pastinaken-Crème und Chips. 

Kochen für die Psyche. Obwohl Navarros Job mittlerweile eher dem des Geschäftsführers ähnelt als dem des Kochs, liebt er das Handwerk nach wie vor – und schält dann eben die eingangs erwähnten Pastinaken. Die sind nämlich für ein Dessert aus Andis Feder gedacht. Aus dem Wurzelgemüse gibt es ein Glace, ein Püree, Würfel und Chips. Carlos Navarro drapiert alle Komponenten auf abgeflämmter Meringue und streut noch etwas Lupinenpulver darüber. «Ich koche trotz all meinen anderen Aufgaben noch jeden Tag. Wenn es mir schlecht geht, schalte ich das Telefon aus und koche alleine. Das ist Nahrung für meine Psyche.»