Fotos: Joan Minder
Koch statt Bauer. Arno Sgier, aufgewachsen als Sohn eines Bauern im Val Lumnezia, hat längst eine neue Heimat und eine Tätigkeit gefunden, die ihm mehr liegt als Landwirtschaft unter erschwerten Bedingungen in der Einsamkeit. Der 57-Jährige, der den rund und melodisch klingenden Dialekt seiner Eltern nie abgelegt hat, führt seit bald 31 Jahren erfolgreich die «Traube» in Trimbach bei Olten und hat sein Restaurant als Topadresse im Mittelland etabliert.
Eigenwilliger Stil. Dies hat er mit einem Stil geschafft, der eigen und eigenwillig ist. Das betrifft die Einrichtung des Lokals ebenso wie die Art zu kochen. Auf den Tischen im Restaurant stehen keine Blumenarrangements, sondern liegen Steine, die aus Rebbergen stammen. Ganz hat Arno Sgier seine Wurzeln wohl nicht vergessen. Die Faszination für das, was der Mensch aus Erde und Gestein zu schaffen versteht, hat den Koch nie losgelassen. Nach dem Service fahren wir zu Sgiers Lieblingsbauer Roman Grob, der am Aare-Kanal in Winznau Gemüse anbaut. Wenn Grob keine Zeit hat, holt Sgier das Gemüse selbst aus der Erde.
Wie ein Teenager. In der «Traube» herrscht eine aufgeräumte, fast schon wissenschaftlich nüchterne Atmosphäre. Arno Sgier hat sein Lokal so eingerichtet, wie es ihm gefällt. Geschmacksmoleküle sind als Formel auf Milchglas zu sehen. Im Verlauf des Tages zeigt sich Arno Sgier zudem als erfahrener Koch, der genau weiss, was er tut, sich aber gleichzeitig den mentalen Zustand eines Teenagers in seiner Sturm-und-Drang-Phase bewahren konnte. Das hat ihn vor dem Stillstand in routinierter Langeweile gerettet.
Immer etwas Neues. In der Küche erteilt Arno Sgier humorvoll Anweisungen und erzählt uns gleichzeitig aus seinem Leben als forschender Koch. Er zeigt Formen, die für Tuiles verwendet werden und die Sgier mit einem 3D-Drucker erstellt hat. Dann verschwindet der Patron für einige Minuten, um mit einem Ingwerbier aus eigener Herstellung aus dem Keller zurückzukommen. «Ich brauche immer wieder etwas Neues», sagt Sgier. «Meine Projekte helfen mir, auch in anderen Gebieten kreativ zu sein. Das nützt auch beim Kochen. Wenn man etwas lange macht, besteht die Gefahr, dass man betriebsblind wird und sich ständig wiederholt», findet der «verrückte Küchen-Professor».
Neugier nach der Krise. Sgier gibt zu, dass auch die Last der Midlife-Crisis vor einigen Jahren dazu beigetragen habe, dass er sich voller Neugier in neue Abenteuer gestürzt hat. Er will herausfinden, wie man Sojasaucen herstellt, das Geheimnis des japanischen Reisweins Sake entschlüsseln und anderen Wundern des Geschmacks auf die Spur kommen. Dabei ist das Mitglied der Jeune Restaurateurs und der Grandes Tables de Suisse keiner, der sich allein in sein Labor zurückzieht, um dort in der Einsamkeit an einer neuen Rezeptur zu tüfteln. Stattdessen hat er eine Atmosphäre der gutgelaunten Unruhe geschaffen und andere, jüngere Leute hinzugezogen, deren Expertisen er schätzt.
Vater und Sohn. Mit seinem 26-jährigen Sohn Silvan hat der «Traube»-Chef viele Ideen wie eine Kaffeemischung entwickelt. Silvan Sgier arbeitet gerade an seiner Masterarbeit in Food Science an der ETH Zürich. «Viele Dinge sehen wir ganz ähnlich, bei anderen sind wir völlig unterschiedlicher Meinung», sagt Silvan Sgier über die kreative Zusammenarbeit mit seinem Vater. Entschieden ist, dass Silvan kein Interesse hat, die Beiz in Trimbach zu übernehmen. Aber trotzdem stellen sich die beiden Sgiers die gleichen Fragen: «Wir wollen verstehen, wie etwas funktioniert. Warum passiert etwas, warum schmeckt es so?», sagt Silvan. Viele Fragen drehen sich dabei um das Phänomen der Fermentation.
Fermentieren wie die Grossmütter. So werden – wie es die Grossmütter taten – wieder Früchte und Gemüse in Milchsäure eingelegt (saure Gurken, Sauerkraut oder Kimchi). Man setzt leicht kohlesäurehaltige Kombucha-Getränke an, und der Edelschimmelpilz Koji, der auf gekochtem Getreide gezogen wird, hat einen wahren Hype ausgelöst. Koji ist die Grundlage für den in der japanischen Küche grundlegenden Umami-Geschmack, etwa für die butterartige Sojapaste Miso, für Sojasaucen oder den Reiswein Sake. Sich beim Thema Fermentation nicht mit Koji zu beschäftigen, so hat es der dänische Starchef René Redzepi («Noma») formuliert, sei so, «als würde man nach Paris fahren und den Eiffelturm nicht sehen».
Immer neue Wege. Für Arno Sgier geht es auf seiner Abenteuerreise zu neuen Geschmackswelten um das «kreative Spiel mit verschiedenen Leuten». Beim Thema Koji tauscht er sich gerne mit Andy Gysin aus. Der 41-jährige Betriebswirtschafter hat im vergangenen Jahr seine «Schimmlerei» gegründet und kommt für ein «kreatives Pingpong» in die «Traube». Arno Sgiers Feedback sei wichtig: «Er weiss genau, wie etwas schmecken soll. Das wiederum hilft mir», so Gysin. Und vielleicht ist dies das Geheimnis des kochenden Forschers Sgier, der weiss, wie etwas sein soll, sich aber die Neugier bewahrt hat, den Weg dahin immer wieder neu zu entdecken.