Text: David Schnapp Fotos: Thomas Buchwalder, Olivia Pulver, Marcus Gyger, HO

«Mutters Küche.» Auf dem Menü des Gasthauses «Zum Gupf» in Rehetobel AR steht gerne mal Kalbskopfbäggli mit Kartoffelstock. «Gerichte aus Mutters Küche», nennt es Hausherr und Chef Walter Klose. Er ist einer der «Aufsteiger des Jahres 2019» im GaultMillau und hat neu 18 Punkten. Ein paar Kilometer weiter unten im Tal, mitten in der Stadt St. Gallen, gibt es im «Einstein» als Vorspeise geflämmten Saibling mit Kirsche, Pekannuss und Gurke. In der Küche stehen gleich zwei Chefs: Sebastian Zier und Moses Ceylan (grosses Bild oben rechts und links), auch sie sind «Aufsteiger des Jahres», haben neu 18 Punkte. Und doch könnten die beiden Restaurants unterschiedlicher nicht sein.

 

Wochenlang ausgebucht. Walter Klose, der «Gupf»-Chef, arbeitet seit 1998 in dem Bilderbuchhaus auf 1083 Meter über Meer. Für kurze Zeit musste er das Appenzeller Idyll mit einem der spektakulärsten Weinkeller des Landes verlassen, als der Hausbesitzer dem jungen Daniel Humm eine Chance geben wollte. Als sich der heutige Weltstar und damalige «Entdeckung des Jahres» nach Amerika absetzte, kehrte Klose zurück und führt mit seiner Frau Manuela seither dieses Haus mit grossem Erfolg. Das Restaurant ist an manchen Tagen auf Wochen hinaus ausgebucht, der Weinkeller ist schon fast eine Touristenattraktion.

rosa gebratene Taubenbrust mit Eierschwämmli, Kartoffeln und Herbsttrüffel - Chefkoch Walter Klose, Zum Gupf, Rehetobel - 17. August 2018 - Copyright Olivia Pulver

Klassische Küche: Taubenbrust von Walter Klose.

Kürbis mit Pilzvelouté im Einstein Gourmet.

Moderne Küche: Kürbis und Pilz-Velouté von Zier/Ceylan.

Von 0 an die Spitze. Die Geschichte von Sebastian Zier und Moses Ceylan im «Einstein Gourmet» in St. Gallen beginnt erst 2015, hat die beiden Deutschen Küchenchefs aber innert kürzester Zeit an die Spitze der Schweizer Gourmetwelt katapultiert. Zier war zuvor Küchenchef im «La Mer» auf Sylt (17 Punkte, 2 Sterne), Ceylan war in leitender Stellung bei einer ganzen Reihe Deutscher Drei-Sterne-Chefs: Christian Jürgens, Juan Amador, Joachim Wissler und Sven Elverfeld.

 

Faszination und Respekt. Dass zwei Restaurants mit derselben Note, aber komplett unterschiedlichen Küchenphilosophien auf einer Stufe im gleichen Gourmet-Guide stehen, zeigt die faszinierende Vielfalt auf den Tellern im Land. «Hybrid», nennt es GaultMillau-Chefredaktor Urs Heller: Faszination auf der einen Seite für eine Küche, die mit Konventionen bricht, die mit moderner Technik und guten Ideen neue Wege geht. Und gleichzeitig Respekt vor einer Küche, die den Mut hat, sich allen Versuchungen einem Trend zu folgen, zu entziehen.

Die gleichen Gäste. Erstaunlicherweise aber haben die beiden Restaurants die gleichen Gäste. «Walter hat einfach viel mehr davon», sagt Sebastian Zier lachend, als die drei sich bei der Präsentation des «GaultMillau 2019» treffen. «Wir schicken uns gegenseitig Kunden ins Haus», sagt Walter Klose. Und man esse auch gerne im Restaurant des jeweils andern. «Wir kochen so verschieden, dass wir uns nichts wegnehmen», so Klose. «Wir kochen zwar komplett unterschiedlich, aber letztlich verfolgen wir auch dasselbe Ziel: eine moderne Gastgeberkultur zu pflegen», sagt Sebastian Zier.

 

Gut für die Region. Moses Ceylan sieht sogar Parallelen in der Küche: «Wir kochen letztlich beide das, was uns schmeckt und schauen nicht nach rechts oder links.» Einig sind sich Ceylan, Klose und Zier (grosses Bild, v.l.n.r.) vor allem auch darin, dass die Auszeichnungen einen positiven Effekt auf die Region haben werde. Und die beiden Restaurants, so grundverschieden ihre Kochstile sein mögen, müssen letztlich vor allem durch Geschmack überzeugen. Stimmt der, sind Kategorien wie «klassisch» oder «avantgardistisch» nur Etiketten auf zwei Schubladen desselben Tisches.