Interview: Kathia Baltisberger Fotos: Olivia Pulver/Valeriano Di Domenico
2020 war nicht alles schlecht. Der GaultMillau stufte Sie auf 16 Punkte hoch. Hätten Sie damit gerechnet?
Nein, das kam total unerwartet. 2020 war wirklich ein krasses Jahr. Aber Eli (Elif Oskan, Geschäfts- und Lebenspartnerin, Anm. d. Red.) und ich haben es einfach so genommen, wie es kam. Wir haben eine Tür aufgemacht und schon ging irgendwie die nächste auf. Das ganze Team hat diese Einstellung geteilt. So gut wie dieses Jahr waren wir noch nie. Es war fast eins der erfolgreichsten Jahre.
Trotzdem war es ein hartes Jahr für die Gastronomie. Was sagt die Buchhaltung?
Als wir den Umsatz-Einbruch sahen, dachte ich: Fuck! Was machen wir nur? Hinzu kamen auch noch persönliche Schicksalsschläge im Team. Und trotzdem haben wir uns verbessert. Der Laden kann auch ohne Corona jederzeit Hops gehen. Ich wusste, unser Ego kann nicht der Grund sein, um an etwas festzuhalten, nur weil man sich nicht anpassen will. Aber dank genügend Platz und grossen Aussenterrassen im «Rosi» und im «Gül» hatten wir einen tollen Sommer.
Während des Lockdowns sind Take-aways wie Pilze aus dem Boden geschossen. Auch das «Gül» hat am Anfang Essen ausgeliefert.
Ob das funktioniert, ist sehr individuell. Im «Gül» dachten wir, wir ziehen das durch. Im «Rosi» sind wir auf Nummer sicher gegangen, haben nichts gemacht, weil wir nichts drauflegen wollten. In der ersten Woche waren wir motiviert, die Mitarbeiter zogen mit. In der zweiten Woche war es schon nicht mehr so lustig. Zu sehen, wie man die Gäste mit dem Essen glücklich macht, das hat gefehlt. Und die Lieferanten von Uber Eats, das sind anständige Menschen, aber die haben nicht das gleiche Verhältnis zur Gastronomie wie wir. Oft kamen die Gerichte nicht nach unseren Vorstellungen an. Und wir haben auch noch personalisierte Karten geschrieben. Das war alles zu viel Aufwand. Am Ende verlierst du Geld, anstatt dass sich die Lage stabilisiert.
Was war der beste Gang, den Sie 2020 auf den Tisch gebracht haben?
Am besten hat mir das Weihnachtsmenü gefallen. Da haben wir eine tolle Dramaturgie geschaffen. Der erste Gang war ein «Nikolaus-Sack». Die Komponenten erinnern an Orangen, Nüssli und Süssigkeiten. So gibt es ein Wachtelei mit einer Wolpertinger-Farce, Goldtaler-Butter, mit Thymiansorbet gefüllte Kumquats, ein Peanutbutter Jelly Sandwich, eine Mandarinen-Brühe und vieles mehr.
Gemüse war dieses Jahr extrem im Trend. Wie geht man in einem fleischlastigen, bayrischen Wirtshaus damit um?
Bei uns ist Gemüse nicht unbedingt ein Trend. Es war einfach schon immer präsent. Und man kann damit genau so viel Tiefe schaffen. Es gibt keinen Grund, keine Gemüseküche zu machen. Allgemein haben vegetarische Gerichte wie Mehl- oder Kartoffelspeisen in der bayrischen Küche einen hohen Stellenwert. Aber das heisst nicht, dass meine Liebe zu Würsten und Fleisch endet. Oder ein Cordon bleu – da kannst du nicht viel dagegen sagen.
Zum Jahreswechsel nimmt sich jeder etwas vor. Wie sehen Ihre Pläne für 2021 aus?
Wegen der 19-Uhr-Regelung machen wir zu und gehen im Januar sozusagen in den Lockdown. Jeder im Team hat die Aufgabe bekommen, darüber nachzudenken, was er nächstes Jahr machen möchte. Ich werde am neuen Menü arbeiten und unser Penicillin-Projekt vorantreiben. Wir hatten schon die Penicillin-Birne auf der Karte. Lucas Oechslin von Luma Delikatessen hat uns extrem unterstützt und geholfen Sporen hochzuziehen. Da wollen wir weiter dran arbeiten, neue Gerichte erfinden mit dem Edelschimmelpilz. Aber ich kann es jetzt schon kaum erwarten, wenn es wieder losgeht.
Corona hat Ihnen anfangs Jahr die Weltreise verdorben. Wie weit sind sie gekommen?
Unser Plan war, dass wir zwei Jahre nach der Eröffnung vom «Gül» eine längere Reise machen. Darauf haben wir wirklich hingearbeitet, geschaut, dass unser Team ohne uns auskommt. Wir sind losgeflogen, waren neun Tage in Japan und dann gings schon los. Wir sind frühzeitig heimgeflogen. Eigentlich wären noch weitere Destinationen wie Australien und Singapur geplant gewesen.
Wohin reisen Sie, wenn bessere Zeiten kommen?
Mexiko! Ich bin ja nicht so der Beachboy. Sand im Ohr, im Auge, im Schnauzer. Während Eli am Strand liegt, sitze ich lieber an der Bar. Aber in Mexiko ist es was anderes. Da kann man Tacos essen, Mezcal trinken.
Welche Kollegen wollen Sie besuchen?
Wir würden gerne noch nach Nord-Kalifornien ins «SingleThread» - ein Restaurant mit Gasthaus und eigener Farm. Ich habe mit dem Chef Kyle Connaughton zusammengearbeitet und er hat mir die Welt zur japanischen Küche geöffnet.
Sie sind der Spassvogel der Gastro-Szene, sind immer für einen Schabernack zu haben. Was verdirbt Ihnen die Laune?
Mit der Zeit wirklich immer weniger. Ich habe so ein schönes soziales Umfeld. Neulich gabs einen Tag, wo wirklich nichts gepasst hat. Aber da kamen Elis Eltern und brachten mich zum Lachen. Sie behandeln mich wie ihren Sohn, dafür bin ich so dankbar. Und wir dürfen so geschäfteln, wie wirs machen. Wir können wirklich jeden Tag zufrieden ins Bett.
Nicht mal das Virus selbst konnte Ihnen den Spass verderben.
Genau. Elif und ich hatten uns beide mit Covid-19 infiziert. Wir hatten Grippe-Symptome und zwei Wochen Geschmacksverlust. In dieser Zeit haben wir ganz viel kombiniert, was nicht zusammenpasst. Unser Favorit: Bananen-Canapé mit Zwiebeln.
Haben Sie es gesund nochmals probiert?
Ja.
Und?
Disgusting!
Was treiben Sie an Ihren Ruhetagen?
Im Lockdown haben wir erkannt: Fuck, wir haben keine Hobbies! Das müssen wir ändern. Jetzt mache ich viel Handwerkliches: Zinn giessen, etwas hämmern. Ich lese auch viele alte Kochbücher. Eli geht in den Sport. Sie will immer, dass ich mitkomme. Aber ich schlafe lieber. Obwohl, ich war auch schon im Spark Cycle mit ihr – das sind diese Indoor-Velos mit Techno-Musik.
Was haben Sie immer im Kühlschrank?
Essigkurgen, viel Eingemachtes wie Preiselbeeren. So scharfe Chili-Saucen müssen auch sein. Und eine gute Schokolade von La Flor. Zu viel Brot darf ich nicht zu Hause haben, sonst schimpft Eli.
Was würden Sie nie essen?
Da gibt’s nichts. Ich probiere alles. Ich will mich auch von jeglichen Vorurteilen befreien. In München hat mir ein Lieferant mal eine Delikatesse zum Probieren gegeben. Es schmeckte wie so eine cremige Dörrfrucht-Masse mit Nüssen. Es stellte sich heraus, dass es Exkremente von einem iranischen Baby-Esel waren. Mich hats fasziniert, weil Scheisse so geil schmecken kann.
>> Was war, was kommt? Der GaultMillau Channel zieht Bilanz: Mit zehn Starchefs, die in diesem speziellen Jahr mit individuellen, besonderen Herausforderungen konfrontiert waren. Tanja Grandits, Sebastian Zier, Stefan Heilemann, Nenad Mlinarevic, Ivo Adam, Tobias Funke, Laurent Eperon, Bernadette Lisibach, Marco Campanella und Markus Stöckle im sehr persönlichen Chef's Talk.