Interview: Daniel Böniger I Fotos: Thomas Buchwalder, Adrian Ehrbar
Herr Mahler, was ist gutes Essen?
Wenn ein Gericht aus hervorragenden Produkten besteht, dann schmeckt es auch. Die Saison ist dabei sehr entscheidend. Erst wenn die Erdbeeren reif sind, kann ich daraus ein gelungenes Dessert machen. Ganz egal, ob in einer Sterneküche oder zu Hause.
Dann ist der Einkauf wichtiger als die Kochtechnik?
Genau, ganz unabhängig von der Erfahrung und Technik einer Köchin oder eines Kochs.
Der Kochbuchautor Stevan Paul empfiehlt als Universalwaffe eine Mischung aus geröstetem Sesam und Salz, die man über fast alles streuen kann. Haben Sie auch solche Geheimzutaten, die Gerichten mehr «Wumms» verleihen?
Schweizerinnen und Schweizer kennen es alle, das gelbe Döschen mit der Streuwürze. Wir verwenden in der gehobenen Gastronomie natürlich kein Aromat – aber bei uns im Restaurant Focus hat Dashi eine ähnliche Funktion.
Dashi?
Eine japanische Brühe, hergestellt aus gerösteten Thunfischflocken und Kombu-Algen, die man etwa eine halbe Stunde im Wasser köcheln lässt. Wir verwenden solches Dashi ähnlich wie Salz, um den Wohlgeschmack der Zutaten zu unterstreichen. Inzwischen kann man Dashi ja auch fertig kaufen.
Während des Gourmetfestivals in St. Moritz haben Sie Kalbsbrust mit Jakobsmuschel serviert, die Sie mit einem Dashi-Beurre-blanc angegossen haben. Das war gut.
Danke, ja, da haben wir diese klassische Sauce einfach mit Dashi gewürzt – nicht zuletzt, weil so ganz viel Umami in diesen Gang kommt.
Wichtig für gutes Essen scheint die Balance aller Geschmacksrichtungen zu sein, neben Umami also auch Süsse, Salzigkeit, Säure und Bitterkeit. Was machen Sie, wenn beispielsweise Säure fehlt?
Da helfen oft ein paar Tropfen Zitronensaft oder auch Saft von Limetten, Orangen oder Mandarinen. Auch der Abrieb dieser Zitrusfrüchte kann Wunder wirken. Denken Sie an weissen Spargel, den man mit einer Sauce aus eingekochtem Spargelfond und Butter kombiniert. Wenn man kurz vor dem Servieren etwas Orangenzeste darüberreibt, ändert das alles.
Und Essig?
Ist ebenfalls empfehlenswert, sei es ein Fruchtessig aus Birnen oder ein weisser Balsamico – ein paar Tropfen davon können ein Gemüse in ganz neuem Licht erstrahlen lassen. Nur den dunklen Balsamico verwenden wir nicht, der ist zu dominant.
Wie viel Salz ist sinnvoll?
Ich finde, dass man an die Schmerzgrenze gehen kann. Ich gebe so viel Salz wie möglich auf meine Gerichte, aber immer so, dass sie noch nicht versalzen sind. Die Gäste sind aufgrund all des Convenience-Foods grösstenteils einen hohen Salzgehalt gewohnt.
Und wenn man aus gesundheitlichen Gründen das Salz ersetzen möchte?
Nehmen Sie andere Würzmittel, etwa Sojasauce. Eine weitere Lösung besteht darin, Saucen und Ähnliches beträchtlich zu reduzieren. So können Sie auf zu viel Salz verzichten.
Die wohl umstrittenste Geschmacksrichtung ist bitter, oder?
Man sollte eine Menüfolge sicher nicht mit extrem bitteren Zutaten beginnen. Ich achte darauf, dass ich auf der Speisekarte dazuschreibe, wenn ich beispielsweise ein Gericht mit Chicoreespitzen verfeinere. Dann kann der Gast immer noch sagen, das mag ich nicht.
Wie stehen Sie eigentlich zur klassischen Wunderzutat Butter?
Die richtige Menge Fett bleibt für den Wohlgeschmack matchentscheidend. Wir brauchen in unserer Küche zwar nicht mehr kiloweise Butter, aber als Geschmacksträger bleibt sie immens wichtig.
Nochmals zur Eingangsfrage: Wenn wir also alle Geschmacksrichtungen und verschiedene Konsistenzen kombinieren, dann wird ein Essen auch gut?
Im grossen Ganzen, ja. Es macht aber einen Unterschied, ob ich nur einen einzelnen perfekten Teller servieren will oder ein ganzes austariertes Menü. Wenn ich mehrere Gänge auftische, darf einer schon mal eher cremig oder eher saurer sein. Da geht es um die Balance beim Gesamterlebnis.
Kochen wir in Gedanken doch mal einen einzelnen Teller mit dem perfekten Gericht. Sagen wir, es soll Pouletbrust geben …
Da beginnt es schon: Welche Pouletbrust nehme ich? Und was mache ich damit? Ich kann sie im Ofen garen, in der Pfanne braten oder sie im Fond pochieren. Fülle ich sie oder nicht? Oft stelle ich mir darum eine zweite Hauptfrage: Auf was alles kann ich verzichten? Eine schöne Pouletbrust aus dem Alpsteingebiet braucht nur wenige Arbeitsschritte. Salzen und Anbraten reicht komplett.
Was gibt es dazu?
Sicher nichts, was den zarten Geschmack überdeckt. Vielleicht geröstetes Wurzelgemüse aus dem Ofen, einen einfachen Jus mit einem Spritzer Sherryessig.
Fehlt da nicht eine knusprige Komponente?
Nicht, wenn ich die Haut am Poulet dranlasse... Ich könnte aber auch einen Chip aus Wurzelgemüse draufsetzen. Oder etwas knusprigen Federkohl. Und sowieso muss es ja nicht immer knuspern …
Wohlgeschmack hat ja auch eine individuelle Komponente, nicht?
Das stimmt, allerdings gibt es heiklere Zutaten. Wir lassen im Restaurant, anders als vielleicht zu Hause, meist den Pfeffer und den Knoblauch weg. Diese Zutaten mag nicht jeder, je nach Prägung.
Hat man als Koch überhaupt eine Chance, dass es allen Leuten im Restaurant schmeckt?
Ich bin davon überzeugt. Regelmässig sagen mir Gäste, dass sie kein Lamm mögen. Ich erwidere dann, dass ich es auch nicht mag, wenn Fleisch nach Stall schmeckt. Dann gebe ich ihnen ein Pré-salé-Lamm zu probieren, das schmeckt so wunderbar, dass man damit die Leute abholen kann. Bei Fisch ist es dasselbe.
Welche Rolle spielt denn die Kultur, aus der man kommt?
Auch diese spielt eine Rolle. Menschen aus Japan reagieren sehr empfindlich auf unsere westliche Art des grosszügigen Salzens. Europäer sind dafür empfindlicher als Thailänder, wenn es um Schärfe geht.
Kochen wir nochmals in Gedanken. Sie empfangen daheim fünf, sechs Gäste, es soll drei Gänge geben, der Zeitaufwand zwei Stunden nicht überschreiben… Was kommt auf den Tisch?
Ehrlich gesagt, sind drei Gänge schwieriger als zwölf. Eine Regel ist sicher: Kochen Sie etwas, was Sie selber mögen!
Konkret?
Als Vorspeise schlage ich einen Salat vor. Klingt simpel, ist es aber nicht, wenn dieser wirklich gut sein soll. Da könnten zum Beispiel gebratene Pomelo drin sein, ein paar geröstete Nüsse, darüber hoble ich etwas Fenchel. Für die Vinaigrette nehme ich einen speziellen Essig, oder ich gebe dem ganzen mit Mirin und Sesam einen asiatischen Touch.
Als Hauptgang?
Pasta, mit der wichtigsten Zutat überhaupt: Zeit. Man kann keine gute Tomatensauce in einer Viertelstunde zubereiten. Erst muss man eine Salsiccia ausdrücken und das Fleisch anbraten. Dann zieht man Zwiebeln an, gibt das Fleisch aus den Würsten hinzu, schliesslich Tomaten aus der Dose. Dann braucht es Geduld.
Und das Dessert?
Sagen Sie Ihren Gästen, sie sollen eine Cremeschnitte mitbringen! Oder sonst etwas Süsses, das sie selbst mögen. Dann stösst zumindest der letzte Gang auf Begeisterung.
>> Dieses Interview hat Food-Journalist Daniel Böniger für die SonntagsZeitung geführt.