Text: Stephan Thomas I Fotos: Andrea Furger
Hochalpines Nose to Tail. Der offene Holzkohlegrill ist das Herzstück der Küche im «Berghuus» Radons. Hier grillt Fadri Arpagaus (grosses Bild oben) das doppelte Entrecôte, das wir nachher auf der Terrasse verzehren, mit Blick auf die imposanten Berge. Es ist nicht irgendein Fleisch, das Fadri serviert und nur hier im «Berghuus» zu haben ist. Zusammen mit dem Züchter Andreas Stgier pflegt Fadri eine Kreuzung aus Wagyu und Brown Swiss. Drei bis vier Tiere landen jährlich auf den Tellern des «Berghuus». Nicht nur Edelstücke sind gefragt, denn auch die hervorragenden Agnolotti wollen gefüllt sein. «Nose to tail» gilt also nicht nur in den Trendlokalen der Städte, sondern auch hier, in einem Seitental des Surses auf fast 1900 Metern. Hier ist man sich das seit Generationen gewöhnt.
Freiluft-Geschmack. Wieso aber genau diese Kreuzung und nicht reine Wagyus? «Das Fleisch ist etwas weniger marmoriert als bei reinen Wagyus, dennoch haben wir hier die ganze Zartheit der Edelrasse. Ich mag aber auch den Rindergeschmack, den die Brown Swiss einbringen.» In Anspielung auf die Verhätschelung, die japanische Rinder oft erfahren, witzelt Fadri: «Wir massieren sie mit Dom Pérignon».
Weltenbummler in Radons. «Sitzt meine Frisur?», fragt Fadri vor dem Fototermin. «Ich war eben noch auf dem Manitou unterwegs, um Arvenzapfen zu pflücken. Wir machen einen Schnaps daraus.» Nicht nur daran zeigt sich seine zupackende Art, die ihm ermöglicht hat, hier oben ein äusserst attraktives Hideaway aufzubauen. Aus der Gegend stammend hat er erst im «Waldhaus» Sils-Maria gelernt, dann als Weltenbummler in Bangkok und Lake Louise gewirkt, war Sous-Chef im Genfer «President Wilson», schliesslich Privatkoch bei einer sehr vermögenden norwegischen Familie. 2019 erfolgte der Kauf des «Berghuus» per Handschlag. 2020, als manche andere schlossen, war Eröffnung. Aus dem ehemaligen Selbstbedienungslokal war ein kleines Juwel entstanden, mit sehr viel Holz (man hat eine Schreinerei in der Familie), gemütlichen Zimmern und einer lauschigen Gaststube. Auch im Aussenbereich locken manche Annehmlichkeiten, nicht zuletzt ein Bergsee, in dem man baden kann. Das «Berghuus» ist einer der wenigen Betriebe der Gegend, die ganzjährig geöffnet sind, auch wenn in der Zwischensaison nicht immer kostendeckend gearbeitet werden kann.
Kaiserschmarrn über der Waldgrenze. Der Fokus liegt diesmal auf Fadris Rindern. Er fährt uns mit dem Haflinger hoch auf die Alp. Eine holperige Sache, aber: «Ich habe auch schon Milliardäre auf diese Weise chauffiert, die mit dem Heli angereist sind. Sie hatten eine Riesengaudi.» So erreichen wir die Alp Somtgant auf 2115 Metern. Hier wacht Gottfried über die 1300 Kühe, die hier sömmern, darunter auch jene von Fadri. Daneben unterhält Gottfried mit seiner Frau Maria eine kleine Gastwirtschaft, und der Kaiserschmarrn, den die beiden hier servieren, könnte auch in einem Punktelokal bestehen.
Gourmet für alle. Nachher geht es wieder bergab zum «Berghuus». «Mir ist es wichtig, ein breites Publikum anzusprechen, jung und alt. Wir haben hier Berg-Parties mit DJ, aber ebenso 90. Geburtstage.» Auch verschiedene Budgets hat man im Visier, bietet beispielsweise einen Arbeiter-Zmittag. Eine grössere Gruppe Werktätiger hat eigens dafür den langen Weg vom Talboden nach Radons auf sich genommen. Sie bekommen Fleischkäse und Spiegelei – allerdings so sorgfältig zubereitet und angerichtet, als wäre es ein Gang des abendlichen Gourmetmenüs.
Fotos: Noë Flum, Antoine Orsini