Text: Urs Heller | Fotos: Darrin Vanselow
Ofen aus, Herd aus. Vufflens-le-Château VD, 31. Juli, 05.00 Uhr. Bernard Ravet steht wie immer um diese Zeit in der Backstube der alten «Ermitage», schiebt in den Ofen, was seinen Gästen Freude bereitet: Brötli, Brote, Gipfeli, Viennoiseries, Aprikosenkuchen, Heidelbeerkuchen und weil es Sonntag ist auch einen riesigen Zopf. Es ist ein besonderer Sonntag: Ravet, seit 60 (!) Jahren Koch aus Leidenschaft, steht zum letzten Mal in seiner Backstube. Ofen aus, Herd aus - die «Ermitage des Ravet» schliesst. Weil auch ein Kämpfer wie Bernard mit 75 Jahren mal an Rücktritt denkt. Weil sich die drei Kids, alle Absolventen der Hotelfachschule und Profis im Gastgewerbe, über eine vernünftige Nachfolgeregelung nicht einigen konnten. Trotz Uneinigkeit in der Familie: Die Ravets verabschiedeten sich mit Stil und Klasse: «Dîner de clôture» mit beeindruckendem Siebengänger am Samstagabend, gemütlicher Brunch mit Freunden am Sonntagmittag im Garten. Der Makler, der die «Ermitage» auf dem Markt anbietet, sass bereits am Tisch. Der Pastor auch. - Grosses Bild oben: Bernard und Ruth Ravet mit ihren Kids Nathalie, Guy und Isabelle.
«Die längsten und schönsten Ferien meines Lebens.» Die Stimmung in der «Ermitage»? Natürlich gaben sich alle fröhlich, gut gelaunt. Aber die Vorstellung, zum letzten Mal in diesem historischen, wunderschönen Anwesen aus dem 16. Jahrhundert zu sein, zum letzten Mal für Gäste zu kochen, drückte allen schwer auf den Magen. Tapferkeit war angesagt, und trotzdem ging immer wieder eine Träne auf Reisen. «Wir sind überwältigt von den Reaktionen und Emotionen», sagt Juniorchef Guy Ravet, «wir haben aus den Diskussionen der letzten Wochen gelernt, wie wichtig unseren Gästen die «Ermitage» war. Sie haben hier gefeiert: Taufen, Geburtstage, Studienabschlüsse, Verlobungen, Hochzeiten.» Bernard Ravet war auch beim «final curtain» der Fels in der Brandung: «Für meine Frau Ruth und für mich beginnen jetzt die längsten und schönsten Ferien unseres Lebens.»
Wer kauft die «Ermitage»? Was planen die Kids? Isabelle ist Directrice eines Dreisterne-Hotels in Crans-Montana. Guy und Nathalie arbeiten an eigenen Projekten; spruchreif ist noch nix. Guy, Präsident auch der «Grandes Tables de Suisse»: «Keine Sorge: Man wird von uns noch viel hören. Heute bedanken wir uns bei unseren Eltern, die so viel für uns getan haben. Maman, Papa, wir lieben euch.» Wer zieht ein in die «Ermitage»? «Ein Privatier? Wieder ein Gastronome? Eine Luxusmarke aus dem Uhrenbereich? Ein Sportverband? Ich weiss es nicht. Die Liegenschaft lässt viele Möglichkeiten offen», sagt der Makler, der das Anwesen zu einem erstaunlich tiefen zweistelligen Millionenbetrag verkaufen wird.
Letztes Dinner, viele Emotionen? «Wir hatten 45 Gäste am Tisch, Papa und ich hatten in der Küche alle Hände voll zu tun und keine Zeit für Emotionen», sagte Guy Ravet, «die kommen dann wieder in den Tagen danach hoch.» Die Gäste, vorwiegend Freunde des Hauses, liessen sich ein letztes Mal verwöhnen: Borlotti-Mousse mit Kaviari Kaviar. Ein Langustinenschwanz vom anderen Ende der Welt (Tristan da Cunha) mit Liebstöckel. Schottischer Lachs, wunderbar sanft gegart. Agnolotti mit Erbsli. Wagyu A5 aus Kagoshima. Wunderbare Käseauswahl, darunter ein Reblochon aus dem Aargau. Desserts. Grosse Weine: Den eigenen «BR75» aus der Impérial-Flasche (sechs Liter!). Den Pinot Noir 2019 von Martha und Daniel Gantenbein zum Wagyu. Einen fantastischen Marsanne Blanche Grain Noble 2001 von Marie-Thérèse Chappaz danach. Ein Kamerateam des welschen Fernsehens war dabei: Reportage für die Primetime-Nachrichtensendung «Le 19:30».
«Merci, Bernard!» Bernard Ravet ist dienstältester GaultMillau-Spitzenkoch, seit 29 Jahren ausgezeichnet mit 19 Punkten. Er kann Fine Dining. Aber er kann auch ganz gemütlich. Der Brunch für Freunde am Sonntagmittag («La Garden Party des Ravets») war wunderbar. Aufgedeckt wurde draussen im Garten, aufgetragen alles, was Spass macht an einem so wunderschönen Sommertag. Herzhaftes wie Herztomaten, Kalbskopf, Terrinen, Felchen-Escabèche und natürlich auch der wunderbare Beinschinken von der Boucherie Ledermann in Bière VD, Luxuriöses wie die feinen Langusten, eingewickelt im Salatblatt, den Kaviar von Kaviari, die Wagyu Rib’s aus dem Jura. Und «la raclette», wie üblich unter Freunden. Auch für das «déjeuner sur l’herbe« galt: Alle waren tapfer. Alle machten einen auf fröhlich. Aber alle waren sehr traurig. Der GaultMillau sagt: «Merci Bernard, merci toute la famille: Es war eine wunderbare Zeit!»