Text: David Schnapp Fotos: Thomas Buchwalder, Olivia Pulver

Restaurantschliessung, Neubeginn, Koch des Jahres – können Sie das Wechselbad Ihrer Gefühle in diesem Jahr in Worte fassen?

Das beginnt bei Panik, Trauer und Existenzängsten und geht bis zu schier unendlicher Freude. Nach Schliessung des Restaurant Ecco habe ich zwar die Zuversicht nicht verloren, dass ich anderswo wieder starten kann. Aber ich habe mir vorgestellt, dass es ein paar Jahre dauert, um wieder etwas aufzubauen und auf das bisherige Niveau zu kommen.

 

Warum diese lange Zeit?

Im «Atlantis by Giardino» hatte ich schon mein Paradies gefunden, wir hatten sehr gute Voraussetzungen, und ich dachte, «so etwas findest du nur einmal im Leben». Aber im «Widder» ist es jetzt sogar noch besser, weil mit Gratian Anda ein Eigentümer involviert ist, der Freude am Essen hat. Und der Austausch mit so einem Menschen, der ein kulinarisches Verständnis hat, ist grossartig.

 

Wie war das, als Ihr Restaurant geschlossen wurde?

Ich bekam einen Anruf am Ostermontag, einen Tag später wurden dann alle Mitarbeiter informiert. Es war ein Schock. Der schlimmste Moment war, als ich alleine in der leeren Küche stand und mir bewusst wurde, dass nie mehr ein Teller über diesen Pass ausgegeben wird. Ich musste die Team-Fotos und Tafeln mit Auszeichnungen abhängen und in diesem Moment wurde mir die Aussichtslosigkeit der Lage bewusst und dass ich mit allem Kampfgeist daran nichts werde ändern können. Aber drei Wochen später kam die Anfrage aus dem «Widder» und alles sah wieder ganz anders aus.

 

Haben Sie die Zeit dazwischen wenigstens für sich nutzen können?

Dazu blieb kaum Gelegenheit. Wir konnten ja in Zusammenarbeit mit Jelmoli Food-Boxen produzieren, das war in der ganzen Lockdown- und Schliessungs-Tristesse ein Lichtblick.

Stefan Heilemann wird Koch des Jahres 2021

Wechselbad der Gefühle: Stefan Heilemann als Koch das Jahres 2021 mit GaultMillau-Chef Urs Heller. 

Stefan Heilemann wird Koch des Jahres 2021

Neuer Dienstwagen: Der Koch des Jahres fährt BMW und hat sich für einen kompakten M135 xDrive entschieden.

Schon im Juni ging es im Swiss Deluxe Hotel «Widder» weiter: Was war der beste Gang, den Sie am neuen Ort auf den Tisch gebracht haben?

Das ist schwer zu entscheiden, aber es sind wohl die Schweinsohren mit Thai-Gurkensalat.

 

Warum gerade dieser eher rustikale Gang?

Weil ich stolz bin auf meinen Mut, so etwas in einem Fine-Dining-Menü zu servieren. Er kommt super an und wurde auch von den Testern gelobt. Es muss nicht immer Hummer sein…

 

Wurden Sie dafür auch kritisiert?

Nein, überhaupt nicht. Aber es könnte auch nicht jeder Gang so sein. Daneben servieren wir ja auch die teuersten Produkte, die man überhaupt kaufen kann, und dass beides nebeneinander Platz hat, ist eine wichtige Erkenntnis.

 

Und welches Gericht wollen Sie demnächst unbedingt kochen?

Auf den Spargel im kommenden Frühling freue ich mich jetzt schon. An meinem Geburtstag am 18. März gibt es immer die ersten Badischen Spargeln, dann ist der Winter vorbei, die Natur erwacht und Spargel ist für mich ein sehr spezielles Produkt mit eigenem Charakter.

 

Seit Sie Koch des Jahres sind, wirken Sie wie befreit. Stimmt der Eindruck?

Ja, das stimmt. Die Auszeichnung gibt mir eine gewisse Sicherheit, die Gäste vertrauen mir: «Der wird schon wissen was er macht.» Ich glaube, dadurch traue ich mich unbewusst mehr und hoffe, der Gast spürt das auf dem Teller.

Stefan Heilemann, Chefkoch, Widder Hotel Zürich

Neuer Arbeitsort: Im Widder Hotel hat Stefan Heilemann und sein Team im Juni 2020 neu angefangen.

Stefan Heilemann wird Koch des Jahres 2021: Miral-Perlhun, Entenleber, weisser Trüffel

Luxuriöses Löffelgericht: Das Miréal-Perlhuhn mit Entenleber und weissem Trüffel ist ein typischer Heilemann.

Welche Erfahrung haben Sie in diesem turbulenten Jahr gemacht, die Sie weitergebracht oder geprägt hat?

Nicht aufzugeben und in Bewegung zu bleiben, war ganz wichtig. Und wenn man Menschlichkeit und Begeisterung ausstrahlt, bekommt man auch neue Chancen. Der Support von Gästen und Kollegen war unglaublich.

 

Was sagt die Buchhaltung zum Jahr 2020?

Im Restaurant performen wir ziemlich gut, wir sind voll auf Kurs. Aber die nicht gebuchten Hotelzimmer können wir mit der Gastronomie natürlich nicht ausgleichen.

 

Welches war das schönste Kompliment, das Sie 2020 bekommen haben?

Was mich sehr berührt hat, war das Video in dem unser Verwaltungsratspräsident Jürg Schmid, der von der Magie gesprochen hat, die wir in der Küche entfachen, und mit der wir unsere Gäste verzaubern. Diesen Rückhalt im Haus zu spüren, ist sehr wertvoll für mich.

 

Wohin wollen Sie reisen, wenn Sie wieder können?

Ich fliege am 3. Januar 2021 auf die Malediven, wir kochen an einigen Abenden und ich mache natürlich auch Ferien.

 

Und bei wem wollen Sie demnächst unbedingt essen?

Ich war sehr oft essen in letzter Zeit, deshalb habe ich gar nicht ein bestimmtes Restaurant im Sinn. Ich freue mich eher auf ein ungezwungenes Abendessen mit Freunden im grossen Kreis.

 

Welches Essen in letzter Zeit hat Sie besonders beeindruckt?

Ich mag unkompliziertes Essen, welches man löffelt, und das einfach glücklich macht. Christian Kuchler hat bei einem Abend im «Storchen» einen Gang serviert mit Ochsenschwanz-Ravioli und Entenlebersauce, das war so grossartig, dass gewissermassen ein Raunen durch den ganzen Saal ging, als das Gericht serviert wurde.

Stefan Heilemann und Team

Erfolgreichster Instagram-Post 2020: Das «Team Widder» feiert den Koch des Jahres.

Stefan Heilemann in der Küche

Mannschaftsspieler und hervorragender Handwerker: Stefan Heilemann in der «Widder»-Küche.

Gemüse war bei vielen Spitzenköchen in letzter Zeit ein grosses Thema. Welcher Trend kommt als nächstes?

Ich glaube an das Comeback der Brasserieküche mit Grosses Pièces und der Kombination aus guten Produkten, hochstehendem Handwerk und Einfachheit. Deshalb machen wir hier beispielsweise auch mal eine Wildpastete. Ich möchte, dass meine Köche wissen, wie man sowas macht. Je breiter man als Koch aufgestellt ist, desto mehr kann man seinen Gästen bieten.

 

Womit verbringen Sie Ihre Freizeit?

Meine Freizeit verbringe ich am liebsten mit meiner Partnerin oder mit anderen Leuten, die mir wichtig sind. Ich habe einfach gerne Menschen um mich, mit denen ich etwas teilen kann.

 

Was befindet sich immer in Ihrem Kühlschrank?

Mittlerweile habe zwei schöne Weinschränke, deshalb ist der Kühlschrank frei von Wein und Champagner. Aber Oyster- und Fischsauce oder Currypasten in allen Farben müssen immer da sein. Ich koche zu Hause meistens einfache Dinge wie Fried Rice oder vegetarische Currys – am liebsten mit wildem Broccoli.

 

Was essen Sie aus Prinzip nie?

Schnecken, das finde ich wirklich ekelhaft.

 

Und was essen Sie täglich?

Nichts, meine erste Amtshandlung jeden Morgen ist der Gang zur Kaffeemaschine. Sobald ich in der Küche bin, probiere ich ständig etwas und meinme erste richtige Mahlzeit nehme ich dann um 17 Uhr mit dem Team ein.

 

Welches war Ihr erfolgreichster Instagram-Post dieses Jahr?

Das war das Foto, beziehungsweise der Post zum Koch des Jahres, für den ich bislang 1141 Likes bekommen habe.

 

>> Was war, was kommt? Der GaultMillau Channel zieht Bilanz: Mit zehn Starchefs, die in diesem speziellen Jahr mit individuellen, besonderen Herausforderungen konfrontiert waren. Tanja Grandits, Sebastian Zier, Stefan Heilemann, Nenad Mlinarevic, Ivo Adam, Tobias Funke, Laurent Eperon, Bernadette Lisibach, Marco Campanella und Markus Stöckle im sehr persönlichen Chef's Talk.