Text: David Schnapp
Eine Köchin namens Clémence. Fünf bis sechs fein gehackte Schalotten, 250 Milliliter Weissweinessig, 350 Milliliter Fischfond sowie gemahlenen Pfeffer braucht es gemäss der Enzyklopädie «Larousse Gastronomique» für den Ansatz. Ist die Mischung um zwei Drittel eingekocht, werden 250 Gramm kalte Butterwürfel eingerührt und mit dem Schwingbesen aufgeschlagen, bis die Sauce bindet, aber auf keinen Fall schäumt oder gar kocht. Die Weisse Buttersauce (Beurre blanc) ist so etwas wie die Königin der Saucen der klassischen französischen Küche. Erfunden haben soll sie eine Köchin namens Clémence, die bei der Zubereitung einer Hollandaise die Eier vergessen habe.
Spargel, Petersilie, Aji Amarillo. Seither hält der Erfolg an, eine zufällige Bestandesaufnahme bei Restaurantbesuchen der letzten Tage und Wochen zeigt die ungebrochene Popularität der Buttersauce. Kaum ein Menü ohne Beurre blanc: Joël Ellenberger beispielsweise serviert im «IGNIV by Andreas Caminada» im Grand Resort Bad Ragaz zurzeit gerade eine Variante mit fermentiertem Spargelsaft zu weissem Spargel aus Fläsch (grosses Bild oben) sowie eine weitere Abwandlung mit Zitrone zum konfierten Heilbutt. Christian Kuchler mixt Petersilie in die Beurre blanc und serviert sie zum gebratenen Steinbutt. Und im Zürcher Szene-Lokal «Rechberg 1837» wird ebenfalls Spargel mit der Buttersauce kombiniert. Oscar de Matos (Ex-«Maihöfli») wiederum macht beim 6-Hands-Lunch für Kunden von Mercedes-Benz im Luzerner «Lucide» aus der Beurre blanc eine Umami-Granate und würzt sie explosiv mit Yuzu, Aji-Amarillo-Chili und seinem hausgemachten fermentierten Buchweizen-Konzentrat.
Vin Jaune für die Frische. «Diese Sauce bietet eine fast grenzenlose Vielfalt. Wir verwenden rund 20 Variationen davon», sagt Patrick Mahler vom «Focus Atelier» (18 Punkte) im Park Hotel Vitznau. In vier von elf Gängen seines aktuellen Menüs variiert der gebürtige Aargauer die Beurre blanc in alle möglichen Richtungen – zum Beispiel mit Vin Jaune zu Fisch, eine der Lieblingsanwendungen des Küchenchefs: «Ich achte immer darauf, dass die Sauce nicht wie mit einem Dampfhammer Schwere ins Gericht bringt. Aber der Vin Jaune ist perfekt, um Frische und Leichtigkeit hinzuzufügen», sagt er. Und indem Mahler das klassische Rezept abwandelt, und die Sauce gerne mit einer Roux (Mehlschwitze) ansetzt, braucht er nicht ganz so viel Butter, um die Emulsion zu binden, und die Sauce lässt sich auf diese Weise sogar in Gläsern haltbar machen.
Hebebühne für den Geschmack. Einer ihrer faszinierenden Aspekte ist, dass die Beurre blanc oft verwendet wird, um einem Gericht durch eine gewisse Leichtigkeit zu verleihen, während gleichzeitig der Anteil von meist mehr als 50 Prozent Butter wie eine Hebebühne für den Geschmack des Grundproduktes wirkt. Das eigne sich besonders gut für Zutaten wie weisser Fisch oder Hummer, die einen geringen Fettanteil aufweisen. «Zu einem Thunfischbauch hingegen würde man sie nicht servieren», sagt 19-Punkte Chef Heiko Nieder («The Restaurant»). Der Culinary Direktor im Swiss Deluxe Hotel Dolder in Zürich verwendet die Buttersauce mit Bedacht, zurzeit etwa zu einem Steinbutt mit Gänseleber. «Wir setzen für dieses Gericht die Beurre blanc mit einem Süssholzfond an und verwenden weniger Butter als im Originalrezept.» Übereinstimmend sagen alle befragten Chefs, dass die Kunst beim Einsatz der Sauce darin bestehe, sie gut zu dosieren. «Mehr als vier Esslöffel verträgt es nicht in einem Gericht», findet Heiko Nieder.
Stefan Heilemanns Trick. Christian Kuchler vom «Schäfli» (18 Punkte) in Wigoltingen TG hat die Beliebtheit der Beurre blanc einen simplen persönlichen Grund: «Ich bin mit dieser Sauce immer gut gefahren und setze sie ganz klassisch an.» Auf einen Liter Schalotten-Essig-Weisswein-Reduktion kommen bei ihm 700 Gramm Butter. «Mit viel frischen Kräutern – vor allem Petersilie – ist sie einfach perfekt zu Fisch», findet Kuchler. Sein Freund Stefan Heilemann hingegen nutzt den Klassiker in seinem aktuellen Menü im 18-Punkte-Restaurant Widder (The Living Circle) in Zürich auch zu Fleisch und spielt mit der Illusion der Leichtigkeit, welche die Beurre blanc ermöglicht: Zum geschmorten Schweinebauch mit Sauerkrautcreme und Gulaschsauce kommt zusätzlich etwas Buttersauce. «Deren Säure lässt das eher mächtige Gulasch leichter erscheinen», sagt Heilemann. Der Trick des ehemaligen Schülers von Kochlegende Harald Wohlfahrt: «Ich mixe immer zum Schluss noch etwas Champagner in die Beurre blanc. Die frische Säure gibt der Sauce meiner Meinung nach den entscheidenden Kick.»
Fotos: Thomas Buchwalder, Olivia Pulver, David Schnapp