Text: Urs Heller Chefredaktor GaultMillau Schweiz Fotos: AFP/AP

Twitter aus dem Innenministerium. «Paul Bocuse ist tot. Die Gastronomie trauert. Monsieur Paul war Frankreich. Einfachheit und Grosszügigkeit. Vorzüglichkeit und die Kunst zu leben. Der Papst der Gastronomen hat uns verlassen.» Verfasser dieses Textes (via Twitter): Der französische Innenminister Gérard Collomb, früher Bürgermeister von Lyon. Der Tod Bocuses ist in Frankreich eine Staatsangelegenheit. Und «Monsieur Paul» schon lange vor seinem Tod eine Legende.

 

Der «Koch des Jahrhunderts». Für GaultMillau Frankreich war Paul Bocuse ein «Koch des Jahrhunderts». Ob er wirklich der beste war, darüber lässt sich streiten. Aber keiner hat die Küche so radikal verändert wie er. Er gehörte zusammen mit Michel Guérard den Vorreitern der «Nouvelle Cuisine». Er hat die urklassische französische Küche entstaubt, setzte auf frische Produkte, auf Regionalität. Das ist heute eine Selbstverständlichkeit. Aber damals eine Revolution. Wobei für Monsieur Paul auch die Revolution ihre Grenzen hatte: «Ich mag Gerichte mit Knochen und Gräten», lautete sein Credo. Für Experimente war Bocuse nicht zu haben.

 

«Der Rockstar der 80er und 90er!» Bocuse war mit den besten Schweizer Köchen freundschaftlich verbunden, vor allem mit Fredy Girardet und Hans Stucki. Auch André Jaeger war immer wieder Gast in Lyon – und ist voller Bewunderung für das Lebenswerk: «Er war der Rockstar der 80er und 90er-Jahre. Wir haben im alle so viel zu verdanken», sagt der Schaffhauser 19-Punkte-Chef im Ruhestand, «er war unser Vorbild. Er hat nicht nur das Berufsbild des Kochs neu definiert. Er hat viele junge Köche ausgebildet. Ein Stage bei ihm in Lyon – das für uns alle der grosse Traum.» Ein furchterregender Patron? André Jaeger: «Paul Bocuse hatte markante, strenge Gesichtszüge. Aber dieser Eindruck täuscht: Monsieur Paul war ein sehr warmherziger, liebenswürdiger Mensch.»  Jaegers kulinarische Erinnerung? «Die Saucen. Sie waren bis zuletzt genial!».

Paul Bocuse

Paul Bocuse in Collonges-au-Mont-d’Or bei Lyon. Das Headquarter seines Imperiums.

Der Mann mit dem Toque. Im letzten Jahrhundert gab es auch für grosse Köche nur einen Platz. Den Platz am Herd. Bocuse war der erste der raus ging zu seinen Gästen. Mit stolz geschwellter Brust. Mit steif gebügeltem Toque. Mit der Trikolore am Revers. Erst das Kochen, dann die Show – das war neu in der Szene. Bocuse liebte die Inszenierungen bis zu seinem Tod, hielt auch mit 90 Jahren noch Hof: Der «Bocuse d’Or», der vielleicht wichtigste Kochwettbewerb der Welt, war immer auch eine Hommage an ihn. Bocuse liebte auch die Frauen: In jüngeren Jahren war er mit drei Frauen gleichzeitig liiert; «Monsieur Craque-Madames», nannte ihn die französischen Medien beeindruckt.

 

Drei Sterne seit 1965. Paul Bocuse, in jüngeren Jahren eröffnete auf der Welt über zwanzig Restaurants. Hauptsitz war die «Auberge du Pont» in Collonges-au-Mont-d’Or bei Lyon. Seit 1965 leuchten über seinem Restaurant drei Michelin-Sterne, mal gleissend hell, mal weniger hell. Die Bewertungen blieben unverändert hoch; wer wollte schon an einem Denkmal rütteln. Ein Gericht hält sich in Lyon seit 1975 auf der Karte: «La Soupe aux Truffes V.G.E.», eine kraftvolle Trüffelsuppe, versteckt unter einer Blätterteighaube. Bocuse hatte sie für den französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing kreiert. Der machte ihn im Gegenzug zum Mitglied der Ehrenlegion.