Text: David Schnapp | Fotos: Thomas Buchwalder
Alphorn und Birnen. Hinter einem Hof unweit der Hauptstrasse steht ein Mann auf einer verschneiten Wiese und spielt Alphorn. Philippe Freiburghaus heisst passenderweise der Mann, der uns im Kanton Fribourg mit warmen Heimatklängen empfängt. Der gastfreundliche Freiburghaus im Ort Matran ist einer von 25 Landwirten, welche als Bruderschaft der Büschelibirne die Poire à Botzi AOP anbauen, so etwas wie die Wappenfrucht des Kantons am Röschtigraben. «2002 habe ich damit angefangen und meine Bäume gepflanzt, weil mir Traditionen am Herzen liegen», erklärt Freiburghaus.
Tarte au vin cuit zum Frühstück. Rund eine Tonne Birnen pflückt der heimatverbundene Mann jedes Jahr von seinen Bäumen, die, wie er erklärt, ziemlich wild Äste treiben und nur schwer zu beschneiden sind. Roh sind die Büschelibirnen kein besonderer Genuss, in Fribourg kocht man sie deshalb unter anderem zu Birnendicksaft ein. Den Vin cuit, wie das hier heisst, produziert Philippe Freiburghaus nach der Ernte im Herbst in grossen Kesseln hinter seinem Haus. Daraus entsteht klassischerweise wiederum eine Tarte au vin cuit, die uns der Birnenbauer zum Frühstück auftischt. «Die Büschelibirnen können auch getrocknet oder eingemacht werden, sie passen gut zu Lammgigot oder Wild», sagt Freiburghaus.
Ayer im Botta-Bau. Von der Hauptfrucht geht es in die Hauptstadt, im vollelektrischen Mercedes EQS fahren wir komfortabel und entspannt ins Zentrum, wo uns ein weiterer Klassiker Fribourgs erwartet: Im «Les Pérolles» arbeitet seit 2019 einer der grossen Chefs des Kantons: Pierrot Ayer hat zusammen mit seinem Sohn Julien im Bau von Mario Botta und im Alter von 60 Jahren nochmals einen Neustart gewagt. Oben gibt es ein Café und Tagesteller für 21 Franken, unten kocht der frühere Präsident von Les Grandes Tables de Suisse mit einer jungen Brigade auf hohem Niveau (17 Punkte): «Das ist jetzt mein drittes Restaurant in Fribourg, und es begeistert mich immer noch, mit talentierten Köchen zu arbeiten», sagt Ayer. Die meisten Kollegen aus seiner Brigade seien jünger als 30 Jahre. «Es ist wichtig, dass wir unsere Erfahrungen weitergeben, damit die gehobene Küche hier eine Zukunft hat», findet der Chef.
Meister der Zitrus-Aromen. Einen Neuanfang hat auch Romain Paillereau gerade hinter sich, der vor wenigen Wochen das aufwändig renovierte Restaurant des Trois Tours als neuer Pächter und Küchenchef wiedereröffnet hat. Der 37-Jährige gilt als eines der grössten kulinarischen Talente im Kanton, sein «Signature-Aroma» ist die Zitrusfrucht, die er konsequent einsetzt, «weil das den Geschmack eines Gerichtes hebt», wie er sagt. Seine Küche zwischen Klassik und Avantgarde ist offensichtlich höchst erfolgreich, am Donnerstagmittag sind die 45 Plätze im wohnlich gestalteten Restaurant voll belegt. «Viele Gäste sind mir aus der ‹Pinte des Mossettes› gefolgt, andere sind neugierig zu sehen, was wir hier machen», sagt Paillereau, bevor er zwei beeindruckende Gerichte serviert: Den Waadtländer Saibling an einer «Creme blanc», die statt mit Butter mit Rahm aufmontiert wird, würzt der Koch mit etwas Bonito-Essig und Yuzu, zum gerösteten Lauch mit Kakaocreme und Petersiliensorbet fügt ein Zitronengel die erwünschte fruchtig-frische Note bei.
Fondue und Joghurt. Fribourg ist ohne Poire à Botzi ebenso wenig denkbar wie ohne die Gruyère-Gegend, den gleichnamigen Käse und das Fondue. Auf dem Weg in die anmutige alpine Landschaft machen wir einen Einkaufsstopp in der Laiterie de la Tour in der Gemeinde La Tour-de-Trême. Hübsche Käseläden wie dieser gehören ebenso zum typischen Ortsbild der Region wie Bäckereien – wir kommen darauf noch zurück. Fromagier Christophe Dumas affiniert in seinem Keller Gruyère und Vacherin und stellt daraus Fondue-Mischungen zusammen, die selbst in Zürich gefragt sind. Rund 40 Tonnen verkauft und verschickt der sympathische 42-Jährige pro Jahr. Sein Rezept: «Ich mag das Fondue weder zu salzig noch zu süss. Bei unserer klassischen Mischung kombinieren wir fünf verschiedene Vacherin- und zwei Gruyère-Sorten im Verhältnis 60 zu 40», erklärt der Käser. Sein kleiner Laden lohnt den Besuch aber auch wegen der hausgemachten Joghurts, die zum besten gehören, was wir in dieser Kategorie schon probieren konnten.
Die erstaunliche Frau Müller. Es ist Abend geworden, und dank der EQS-typischen Mischung aus absoluter Ruhe und müheloser Gelassenheit fahren wir im Mercedes entspannt Richtung Jaunpass und zu unserer letzten Station dieses Tages: Bei der besten Köchin im Kanton isst man nicht nur ausgezeichnet, ihr Romantik-Hotel L’Etoile in Charmey verspricht auch erholsamen Schlaf. Alexandra Müller, die nicht nur seit zehn Jahren den Betrieb führt, sondern auch noch einen Stern und 14 Punkte kocht und zwei Kinder im schulpflichtigen Alter alleine erzieht, ist eine erstaunliche Frau und eine hervorragende Gastgeberin. Der Elan des JRE-Mitglieds ist beeindruckend, die Leitlinien ihrer Küche sind unmissverständlich: «Bei uns ist bis auf das Brot alles hausgemacht, wir benutzen keine Wasserbäder, sondern pflegen das klassische Kochhandwerk», stellt sie klar. Auf dem Teller soll man eine «feminine Handschrift» erkennen, sagt die 41-Jährige, die das Kochen bei der Lufthansa in Frankfurt am Main gelernt hat, bevor sie zehn Jahre in Gstaad gelebt und gearbeitet hat und dann über den Jaunpass ins Gruyère-Land gezogen ist. «Die Greyerzer sind wie deutsche Eichen», sagt sie über ihre Landsleute im charmanten Ort.
Beiz und Gourmetlokal. Alexandra Müllers «L’Etoile» ist Hotel, Dorfbeiz und Gourmetlokal zugleich, im Erdgeschoss gibt es etwa ein ausgezeichnetes Zürcher Geschnetzeltes mit Rösti; ein gutes Beispiel für die Idee, das gerade vermeintlich einfache Gerichte die handwerkliche Qualität einer Köchin oder eines Kochs am besten zur Geltung bringen können. Im ersten Stock hingegen werden filigranere Teller aufgetragen. Etwa die Entenleber-Terrine mit Randen-Pflaumen-Ketchup, Granatapfel und Randen – eine feinsinnige Komposition mit erdigen, fruchtigen und dezent süssen Noten.
Ballett am Feuer. Einen Tipp gibt uns die Köchin für den nächsten Tag noch auf den Weg: Nur ein paar Elektroautominuten ausserhalb von Charmey lebt und arbeitet der Bäcker, der auch für ihr Haus Brot herstellt. Auf dem Weg nach Cerniat präsentiert sich das Greyerzerland (grosses Bild oben) in seiner schönsten Form, und als wäre dies nicht schon Postkarten-Idylle genug, treffen wir schliesslich auch noch auf einen Mann, der einem Bilderbuch für Bäcker entsprungen zu sein scheint: Die nackten Füsse in bequemen Sandalen, steht André Isenegger kurzärmlig vor einem mächtigen Holzofen, ständig ist seine Schaufel mit dem meterlangen Stiel in Bewegung, Brote werden in die Hitze geschoben und wieder herausgeholt, wären sie Teil eines Balletts im Feuer.
Ofen von 1920. Der 60-Jährige «Ballettmeister» hat Soziologie studiert und irgendwann entschieden, «etwas Romantischeres und Grundlegenderes» tun zu wollen, wie er erzählt, während er weiter Brote bewegt wie Tänzer auf einer Bühne. Seit zwölf Jahren bäckt Isenegger hier oben in diesem Ofen von 1920, seine wichtigsten Zutaten sind Bio-Mehle, Wasser und Sauerteig, nur für die süssen Gebäcke kommt etwas Hefe zum Einsatz. Die Pain au Raisin oder Apfelkuchen werden frühmorgens in der Resthitze des Holzofens gebacken, wenn um drei Uhr der Arbeitstag des Bäckers beginnt. Dann wird der Ofen wieder angefeuert, rund 20 verschiedene Sorten stellt André Isenegger her, vom Baguette de Campagne bis zum Feigenbrot. Gebacken wird nur donnerstags und freitags. Am Freitag ab 16 Uhr lädt der Artisan Boulanger vor seinem kleinen Holzhaus die Kunden zum Tee. Da kommt dann wohl auch der Soziolge wieder zum Vorschein, wenn aus einem simplen Alltagsgeschäft ein gemeinschaftliches Ereignis wird.
Neuer Chef am Herd. Wir fahren weiter auf der schmalen Strasse durch die Gruyère-Schönheit zum letzten Ziel dieses Trips durch einen zu Unrecht eher wenig beachteten Kanton voller Überraschungen. In pittoresker Abgeschiedenheit finden wir schliesslich «La Pinte des Mossettes», wo seit kurzem ein neuer Chef am Herd – und am Feuer – steht: Nicolas Darnauguilhem ist weit gereist, hat sich in Asien, Amerika und Europa inspirieren lassen, war Sommelier und F&B-Manager, ist gelernter Koch und Patissier und wohl einer der interessantesten Cuisiniers der Romandie. In der Abgeschiedenheit von Cerniat steht er erst am Anfang. Aber jene paar Gerichte, die Darnauguilhem in seinem einmaligen Lokal serviert, das eine Mischung aus hölzerner Heimeligkeit und moderner Gastronomie ausstrahlt, sind ein starkes Versprechen für die Zukunft.
Spektakel mit Jazz. «Ich arbeite mit dem, was wir um uns herumhaben, aber jede Technik der Welt ist willkommen, um diese Zutaten zu veredeln», erklärt er seinen Ansatz. Ravioli, gefüllt mit Kürbis, in einer Sellerie-Topinambur-Bouillon mit Miso, einen Bretzel mit schwarzer Knoblauch-Mayonnaise, Sauerteigbrot mit einer herausragenden Schweinsrillette oder geschmorte Rinderschulter mit Kimchi – der 40-Jährige Koch lässt eine eigene, unvergleichliche Geschmackswelt entstehen, während Olivier Dopke als Chef de Service alle zwanzig Minuten eine neue Vinyl-Jazzplatte auflegt. Der Plattenspieler am Eingang, das offene Feuer vor der Tür, das aussergewöhnliche Menü, der Blick in die Natur – es ist ein letztes, leises, aber grossartiges Spektakel auf unserer kurzen kulinarischen Fribourg-Reise.
>> Der Country Guide ist eine Kooperation von GaultMillau und Mercedes-Benz. Bisher erschienen: Appenzell Teil 1 und Teil 2. Fortsetzung folgt.